Hockenheim: Weisse Haie, Affentheater, Ferientrauma

Von Mathias Brunner
​Wer glaubt, dass beim letzten Rennen vor der Formel-1-Sommerpause in Deutschland nur eitel Sonnenschein herrsche, der irrt gewaltig: Vier Themen erzeugen auch in Hockenheim heisse Köpfe.

Die Formel 1 reist zerstritten und gespalten wie nie nach Hockenheim. Die Fans sind unzufrieden mit dem Reglement. Die Fahrer kritisieren die FIA. Die Teams streiten sich über den Kopfschutz Halo. Zu einigen der brisanten Themen im Rahmen des Grossen Preises von Hockenheim nimmt der «Red Bull Racing Spy» Stellung, ein anonymer Kommentator, der ab und an zur Feder greift, um aktuelle Ereignisse (nicht immer bierernst) zu beleuchten.

«Sorry, Freunde, ich habe nicht viel Zeit, denn noch sehe ich Budapest im Rückspiegel, und schon taumle ich atemlos weiter nach Hockenheim, da bleibt zwischen Kofferaus- und Koffereinpacken nicht viel Zeit, um in die Tasten zu hauen.»

«In Ungarn war ich wirklich von den Socken, und das ist wörtlich zu verstehen. In der einen Minute herrschte Saunaklima, in der nächsten kübelte es runter wie in Malaysia, kein Wunder roch es nach kurzer Zeit in meinem Hotelzimmer nach feuchtem Dackel. Gott weiss, was das Hotelpersonal von mir hält.»

«Der Regen in Ungarn konnte die Gemüter nicht abkühlen. Denn wir befinden uns kurz vor der Ziellinie eines komplett durchgeknallten Marathons – sechs Rennen in acht Wochen auf drei Kontinenten, ich meine, welcher Irre lässt sich so etwas einfallen? Allein schon die Flucht aus Kanada Richtung Baku war Guinness-Buch-der-Rekorde-würdig, und die Reisen von Österreich nach England oder von Ungarn nach Deutschland verliefen ähnlich hektisch. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum der Unmut im Fahrerlager über einige Reizthemen gross bleibt, und einige dieser Themen werden uns auch in Hockenheim noch beschäftigen.»

Regeln, wer braucht schon Regeln?
«Wenn ich das Sportgesetz richtig verstehe, was zugegeben nicht ganz einfach ist, dann hätte fast das halbe Startfeld in Ungarn nach dem ersten Quali-Segment strafversetzt werden müssen. Weil all diese Fahrer zu langsam waren. Ich finde das an sich für die Formel 1 ja schon mal drollig: Zu langsam fahren ist in der Regel nicht, was wir mit dem GP-Sport in Verbindung bringen. Aber die Startaufstellung auf den Kopf zu stellen, war der Rennpolizei offenbar ein wenig zu aufwändig, vielleicht wollten sie nach der langen Diskussion um Nico Rosberg und seine Pole-Position endlich ein leckeres Gulasch essen gehen.»

«Jedenfalls wurde das Problem auf überaus unbürokratische Weise gelöst, indem die Regelhüter für einmal Fünfe gerade sein liessen und das Problem einfach zur Seite schoben. Es hätten halt besondere Umstände geherrscht. Ja, also bitteschön, was ist denn nun los? Wann haben sich denn gesunder Menschenverstand und praktisches Denken ins Formel-1-Fahrerlager geschlichen? Wo soll das noch enden ...»

Schweigen ist Gold
«Ah, die Funkeinschränkungen – das ist wie ein Weihnachtsgeschenk der FIA, von dem du auch noch im Juli etwas hast. Der jüngste Akt dieses Affentheaters: Wann ist ein Funkspruch sicherheitsrelevant und wann nicht? Ich persönlich finde ja, die Piloten sind allesamt komplett verweichlicht. Der Motor von Lewis Hamilton zieht nicht richtig? Pech gehabt. Das Getriebe von Nico Rosberg ziert sich, etwas mehr als den siebten Gang herzugeben? Dann sei es so. Das Bremspedal im McLaren von Jenson Button fällt durch? Das gehört zum Job, Junge, steht auf deinem Dauerausweis – motor racing is dangerous. Nein, ich bin der Meinung, die Einschränkungen müssten noch viel konsequenter angewandt werden. Etwa in der Art von Kimi Räikkönen: «Kann ich nach dem Grand Prix ein Eis haben?» – «Sorry, Kimi, aber diese Information dürfen wir dir nicht geben.»

Eine Piste ist eine Piste ist eine Piste
«Jetzt mal ehrlich, Freunde, wieso diskutieren wir eigentlich darüber, wo eine Rennstrecke aufhört, ob man 20 Zentimeter auf einem Randstein fahren darf oder wieso Rumpel-Kerbs Flügel und Aufhängungen zerbröseln? Reden wir hier nicht von Rundstreckensport? Beinhaltet dies nicht die Vorgabe, dass Rennwagen auf einer Rennstrecke fahren und nicht daneben? Fürs Danebenfahren gibt es, liebe GP-Piloten, auch eine Kategorie, sie heisst Rallye. Ich würde nicht so weit gehen, und abseits des Asphalts Bäume aufstellen oder Backsteinmauern. Aber ein oder zwei Wassergräben mit weissen Haien fände ich ganz angebracht, um die Piloten wieder auf der Piste zu halten.»

Wo ist meine Badehose?
«Nach Hockenheim begeben sich die Mitglieder der Formel 1 in die Sommerferien. Das beinhaltet, nach Hause zu kommen, dort eine fremde Frau zu treffen, die behauptet, wir hätten sie einmal geehelicht, dazu sehen wir eine Schar Kinder, die wir gefühlt vor acht Jahren zum letzten Mal erblickt haben. Wann nur sind die so gewachsen?»

«Wenn die Normalität dann endlich zurück ist, gibt es nur zwei Wege: Die Hälfte der dauergestressten Formel-1-Fachkräfte pflanzt sich aufs Sofa, öffnet eine Flasche Bier und Tüte Chips und fühlt sich nach dreissig Minuten schuldig. Einige davon packen dann ihr Rennrad, um eine Etappe der Tour de France nachzustellen. Andere packen einen Stapel Datenausdrucke, um zu ergründen, wieso ihr Fahrer im zweiten freien Training von Baku in Kurve 3 Untersteuern hatte. In beiden Fällen ist mit wenig Begeisterung der Familie zu rechnen.»

«Die anderen reisen mit ihren Liebsten an einen schönen Ort, richten sich dort im Hotel innerhalb von zwölf Minuten ein (so etwas lernt man in der Formel 1), setzen sich in einen Liegestuhl am Strand, neben sich die beste Ehefrau von allen, sichtlich glücklich, vor sich im Sand die besten Kinder der Welt, hörbar vergnügt, und dann kriechen die ersten Gedanken herbei: Wieso nur hatte mein Fahrer im zweiten freien Training von Baku in Kurve 3 Untersteuern?»

«So, und jetzt müssen Sie mich entschuldigen, ich muss den nächsten Zug nach London-Heathrow erwischen.»

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