Motorsport in Deutschland: Droht die düstere Zukunft?

Von Günther Wiesinger
Sachsenring-GP: Wie kann der WM-Lauf dauerhaft gerettet werden?

Sachsenring-GP: Wie kann der WM-Lauf dauerhaft gerettet werden?

Aus Rennstrecken werden Geisterstädte, Rennserien wie DTM und IDM liegen darnieder, die Formel 1 macht einen Umweg – was ist los mit dem deutschen Motorsport?

Deutschland war noch nie ein motorsportlichen Schlaraffenland und wird auch nie eines werden.

Da können wir mit Großbritannien, dem angeblichen Mutterland von «Motor Racing», Spanien und Italien nicht mithalten.

Es existieren zwar mit dem Hockenheimring, dem Nürburgring Oschersleben und dem Eurospeedway Lausitz vier permanente Rennstrecken, dazu wird der Motorrad-GP auf dem Sachsenring ausgetragen, der hauptsächlich ein Verkehrssicherheitszentrum beherbergt, keine festen Tribünen hat und mit einer fixen Anzahl an Lärmtagen das Auslangen finden muss.

Auch in Hockenheim kann nur an einer festgelegten Anzahl von Tagen Motorsport betrieben werden.

Dabei sind die Rennstrecken in Deutschland, Tschechien, der Slowakei oder Österreich allein schon wegen ihrer geografischen Lage und der niedrigen Temperaturen im Herbst und Winter gegenüber der südlichen Konkurrenz enorm benachteiligt.

Seit 1998 wird dort der Motorrad-GP ausgetragen, doch 2017 erschienen an drei Tagen rund 67.000 Zuschauer weniger als im Vorjahr, die Veranstaltung erwirtschaftetet einen Verlust im «hohen sechststelligen Bereich».

Naja, und in der Formel 1 brachte Deutschland 2015 und 2017 gar keinen Grand Prix zustande. Trotz Weltmeister Rosberg, trotz Vettel, trotz Mercedes und so weiter.

Lausitzring verkauft: Kein Motorsport mehr?

Rund 800.000 Arbeitsplätze hängen in Deutschland an der Automobilindustrie, das haben wir im Zusammenhang mit dem Dieselskandal oft genug gehört, den sich VW, Audi, BMW, Porsche und Mercedes eingebrockt haben.

Deutschland ist die stärkste Wirtschaftsmacht in Europa, nur der Motorsport führt hier ein stiefmütterliches Dasein.

Das hat viele Ursachen, viele sind unverständlich.

Klar, die Hersteller Mercedes, BMW, Audi und Porsche drängen jetzt in die Formel E.

Ob es sich dabei um Motorsport handelt, darüber streiten die Experten.

Und wenn man hört, dass bei Tesla die Herstellung einer Batterie so viel fossile Energie benötigt wie der Erdgasantrieb eines Fiat Punto über 200.000 km, dann darf man sich fragen, wie sinnvoll es ist, sich dieses grünes Mäntelchen umzuhängen.

Es wäre sinnvoller, die Forschung für Erdgasantriebe aus Biomasse voranzutreiben.

Aber schweifen wir nicht ab.

Auf die Motorsportfans in Deutschland kommen keine erfreulichen Zeiten zu.

Der Eurospeedway Lausitz wurde vor zwei Wochen an die Prüfanstalt DEKRA verkauft. Dort soll jetzt ein Spielplatz für autonomes Autofahren entstehen, eine Geisterstadt, in der gefahrlos alle automobilen Assistenzsysteme bis zur Serienreife entwickelt werden können.

Wie viele Motorsportveranstaltungen wir in der Lausitz künftig noch erleben werden, kann niemand beurteilen.

Mercedes hat den Ausstieg aus der DTM per Saisonende 2018 verkündet. Damit zerbricht das seit 2012 bestehende Audi-BMW-Mercedes-Kartell, das diese merkwürdige Meisterschaft jahrelang am Leben gehalten und alle anderen Hersteller abgeschreckt hat.

Die DTM kochte über Jahre hinweg ihr eigenes technisches Süppchen, das Reglement war mit keiner anderen Tourenwagen-Meisterschaft auf der Welt kompatibel, deshalb wurde nie etwas aus der Teilnahme von Firmen wie Nissan, Volvo, Honda, Seat oder gar VW.

Und wenn ein ausrangierter Formel-1-Rennfahrer wie Ralf Schumacher, Alesi oder Couthard als Attraktion in die DTM kam, wurde er solange mit Vorjahresautos kaltgestellt, bis ihm die Lust verging.

Jetzt steht der neue DTM-Manager Gerhard Berger vor einem Scherbenhaufen, der sich freilich angesichts der Umstände längst abgezeichnet hat.

Formel 1: kein deutscher Nahwuchs

Aber wir wollen nicht nur schwarzmalen.

Immerhin könnte Deutschland 2017 zum zweiten Mal in Serie 2016 den Formel-1-Weltmeister stellen.

2010 nahmen sogar erstmals sechs F1-Stammpiloten aus Deutschland teil: Michael Schumacher, Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Adrian Sutil, Timo Glock und Nico Hülkenberg.

Schon 2007 tummelten sich sechs Deutsche auf der Formel-1-Piste – allerdings nur beim Heimrennen auf dem Nürburgring: Ralf Schumacher, Nick Heidfeld, Timo Glock, Adrian Sutil, Sebastian Vettel und Markus Winkelhock.

Und wir erfreuen uns immer noch an dem siegreichen deutschen Rennstall Mercedes-F1. Die Österreicher sorgen mit Red Bull Racing (vier WM-Titel mit Vettel) und Toro Rosso in der Formel 1 für Abwechslung, die Schweizer mit Sauber; es befinden sich also vier Teams unter deutschsprachiger Regie.

Aber wann ist ausser Wehrlein der letzte neue deutsche F1-Fahrer in die Königsklasse gekommen? Warum herrscht in der Schweiz seit Buemi fahrerische Funkstille, in Österreich seit Wurz und Klien?

Weil die nationalen Nachwuchsserien in punkto Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität mit den Meisterschaften im Ausland nicht mehr mithalten können, weil sich die Verbände mit ihren lahmen Funktionären im Tiefschlaf befinden, auch wenn sie von einem ehemaligen Formel-1-Fahrer wie Hans Stuck dirigiert werden, sich aber in erster Linie selbst beweihräuchern, während die Anzahl der Lizenznehmer dramatisch abnimmt und die spannenden Rennserien wegsterben, auch in Österreich und in der Schweiz.

Langsam kann man sich die Halbwertszeit der Landesverbände ausrechnen.

Die Internationale Deutsche Motorrad-Meisterschaft (IDM) liegt seit Jahren auf dem Sterbebett, sie hat bis Ende Juli gerade drei Veranstaltungen zustande gebracht. Das Konzept einer Teilnehmer-finanzierten Meisterschaft hat sich als grandioser Fehlschlag erwiesen. Namhafte Fahrer? Fehlanzeige – Ausnahme Markus Reiterberger.

Wen wundert's, wenn erstmals in der 78-jährigen Motorrad-GP-Geschichte seit fünf Jahren kein neuer deutscher Stammfahrer mehr in den GP-Sport gekommen ist? Wenn 2018 nur noch drei deutsche GP-Fahrer (Öttl, Schrötter, Folger) zu erwarten sind, die Spanier haben allein in der MotoGP-Klasse zehn!

So schafft sich der DMSB mit der Zeit sehendes Auges selber ab.

Sorgen um den Sachsenring-GP

In den 1990er-Jahren schauten sich in Hockenheim und auf dem Nürburgring nur 17.000 Zuschauer den Motorrad-GP an. 1998 wurde der Grand Prix deshalb auf den Sachsenring verfrachtet.  Meist erschienen dort an drei Tagen mehr als 200.000 Besucher.

Aber die Sachsenring Rennstrecken Management GmbH (die SRM setzt sich aus den umliegenden Gemeinden zusammen und sollte eigentlich nur die Fördergelder des Freistaats einkassieren) als Promoter (seit 2012) erwirtschaftet rote Zahlen, das kann kein Dauerzustand sein. Am 2. Juli 2017 wurde beim deutschen Motorrad-GP das schlechteste Zuschauerergebnis in diesem Jahrtausend erzielt.

Inzwischen muss man sich auch über diesen Event Sorgen machen. Denn GP-Vermarkter Dorna hat die Gebühren für die Austragungsrechte für 2012 von 1,7 auf 3 Millionen Euro und für 2017 auf 4 Millionen erhöht.

Ein Pappenstiel gegen jene 27 Millionen Euro, die Bernie Ecclestone jahrelang beim Valencia-GP und wohl auch in der Eifel und in Hockenheim einkassierte. Und die gleiche Summe, die die Dorna bei den GP-Veranstaltern von Assen bis Mugello einkassiert.

Aber die Sachsenring-Besucher ließen sich die 30-prozentige Ticketpreiserhöhung beim bestbesuchten Sportereignis Deutschlands 2017 nicht gefallen – wen wundert’s?

Wie soll es mit dem deutschen WM-Lauf weitergehen?

Entweder lässt sich der Freistaat Sachsen, der ja von der Umwegrentabilität in der strukturschwachen Region am meisten profitiert, selbst als GP-Promoter einspannen, wie es in Brünn, Misano, Jerez und so weiter vorgemacht wird. Oder die ADAC-Zentrale in München übernimmt eine Ausfallshaftung.

Ob ein Weiterwursteln in Sachsen oder ein Ausweichen auf den Nürburgring sinnvoll wäre, vielleicht im Zwei-Jahres-Intervall, ist schwer zu beurteilen. Darüber müssen der ADAC, die Dorna und die FIM beratschlagen.

Wer dieses Thema anspricht, wird reflexartig als Ossie-Feind abgestempelt.

Aber wenn jemand vor 1998 den Sachsenring als GP-Schauplatz befürwortet hat, wurde er keinesfalls als Wessie-Gegner bezeichnet. Die bescheidene Piste im Freistaat gal als Hoffnungsträger.

Dabei hatte der Sachsenring anfangs nicht einmal die erforderliche Mindestlänge von 3,5 km, die 500-ccm-Maschinen erreichten nur mit Mühe mehr als 200 km/h Top-Speed. «Eine Mickey-Mouse-Piste», beschwerte sich Weltmeister Mick Doohan.

Heute hat sich der Grand Prix in Sachsen als MotoGP-Event etabliert. Die Strecke ist einzigartig, aber nicht unumstritten, die Zuschauer sind begeistert, sie sind ungeheuer fachkundig – aber sie erscheinen nicht mehr zahlreich genug.

Ich fürchte: Wenn dauerhaft rote Zahlen geschrieben werden, wenn kein zukunftsträchtiges Konzept entwickelt wird, wird der ADAC irgendwann auf dem grünen Tisch neue Entscheidungen treffen.

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