Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Von Hailwood bis Márquez: Die Größten aller Zeiten?

Kolumne von Michael Scott
Marc Márquez feierte 2018 seinen fünften MotoGP-Titel

Marc Márquez feierte 2018 seinen fünften MotoGP-Titel

Marc Márquez feierte 2018 mit nur 25 Jahren seinen fünften MotoGP-Titel. Vergleiche mit großen Namen wie Mike Hailwood und nicht zuletzt Valentino Rossi drängen sich auf. Aber wer ist nun der Größte aller Zeiten?

Bäume sind groß. Sie berühren den Himmel aber nicht. Mit diesem pseudo-philosophischen Vergleich will ich die Dinge in Relation setzten: Wenn man an etwas zu nahe dran ist, ist es einfach, seine Wichtigkeit zu sehr aufzublasen.

Wir hatten jetzt einige Wochen Zeit, um auf die MotoGP-Saison zurückblicken – eine Saison, die immer noch Ehrfurcht einflößt. Wie aber kann man die erbrachte Leistung wirklich messen? Haben wir nun die Übergabe des Staffelstabs von einem G.O.A.T. («Greatest of All Time», zu Deutsch: der Größte aller Zeiten) auf den nächsten gesehen?

Es kann nur einen Größten aller Zeiten geben – das setzt die Formulierung voraus. Und für viele Jahre, sicherlich für meine Generation und für viele der nächsten, war es einfach. Mike Hailwood, für immer. Ich sah ihn zu seinen Glanzzeiten nonchalant und überlegen – und dann nochmals, als er zurückkam, um auf der Isle of Man zu gewinnen, nach elf Jahren Pause. Unvergesslich.

Giacomo Agostini gewann mehr Rennen und mehr Titel – und war ebenfalls ein Gigant. Auch Angel Nieto. Aber «Mike the Bike» gewann zweimal drei Klassen bei nur einem Grand Prix: 250er, 350er und 500er in Ostdeutschland 1963 und in der Tschechoslowakei 1966. Mehr als das war es sein Stil, mit dem er gewann, seine lässige Freude, die den Ausschlag gab, noch vor seinem zweifach erfolgreichen TT-Comeback in den späten 1970er-Jahren.

Es hat viel mit Sportgeist zu tun. Hailwood war nach außen hin gutmütiger psychologischer Kriegsführung nicht abgeneigt – und er genoss das Siegen. Natürlich. Aber nicht auf die Art und Weise wie später Barry Sheene.

Sheene war sehr populär, ein Rossi-Prototyp mit dem Draht zu den Menschen, der das Motorradrennfahren im Alleingang einem breiteren Publikum bekannt machte. Er war so schlagfertig, wie er auf dem Motorrad schnell war. Aber sein Siegesjubel kam weniger davon, dass er Erster geworden war. Es ging nicht um das Siegen, es ging darum, seine Rivalen zu schlagen. Das ist ein Merkmal eines Champions, aber es ist auch der Grund dafür, warum er es so schlecht aufgenommen hat, als er zu verlieren begann.

Andere Große kamen und gingen. Kenny Roberts kam für Sheene – und er hat wirklich die Augen geöffnet, mit seiner wilden Kombination aus intelligent konzentriertem Talent und angsteinflößender Entschlossenheit.

Freddie Spencer war sein Verderben, und während die Ära des damals Jüngsten aller Zeiten kurz war, war er ein schillerndes Talent.

Seriensieger Mick Doohan war seinen Zeitgenossen haushoch überlegen in seiner fünfjährigen Herrschaft, die aufgrund von Verletzungen beendet wurde. Bis dahin hatte Eddie Lawson als erster zwei Titel hintereinander auf zwei verschiedenen Bikes gewonnen; Rainey und Schwantz hatten das Rennfahren mit ihrer Rivalität belebt.

Dann tauchte Rossi auf – und für alle, für die Hailwood eine Schattenfigur aus einer weit entfernten Vergangenheit ist, ist er definitiv der Größte aller Zeiten.

Es gibt gute Argumente für diese Ansicht. Resultate, natürlich, aber auch dass Rossi seinen Gegner soweit überlegen war, dass er die Rennen für die Fans unterhaltsam machte, und immer noch mehr oder weniger nach Belieben gewinnen konnte. Dabei strahlte er wie Hailwood pure Freude aus; und im Großen und Ganzen macht er es immer noch – auch wenn er jetzt geschlagen wird. Das ist nur einer der Gründe, die ihn so großartig machen. Aber boshafte Streiterein über die Jahre, mit Biaggi, Gibernau und nun mit Márquez, nehmen einen Teil des Glanzes weg. Oder geht es nur mir so?

Die Ära von Rossi war länger als jene von Hailwood, vor allem im Hinblick auf die Kontinuität. Aber alle gute Dinge finden ein Ende, und während seine Langlebigkeit verblüffend und sein Kampfgeist atemberaubend bleiben, siegt er nur mehr ab und zu – 2018 ist seine erste Saison in allen Klassen (abgesehen von den zwei Ducati-Jahren), die er ohne einen einzigen Sieg beendet.

Jetzt übertrumpft Márquez Rossi, Wochenende für Wochenende und Jahr für Jahr. Und nicht nur Rossi. Seine Performance in der Saison 2018 übertraf sogar seine eigenen bisherigen Bestleistungen. Abgesehen davon, dass er den Löwenanteil an Siegen für sich beanspruchte – 9 von 18 – sammelte er vier zweite und einen dritten Platz, um auf insgesamt 14 Podestplätze zu kommen. Andrea Dovizioso war der Nächstbeste mit neun; Rossi und Viñales kommen je au 5. Und das in einer Zeit, in der die Rennen enger als je zuvor sind, die völlig zurecht als Goldenes Zeitalter bezeichnet wird.

Es ist aber immer noch zu früh, um Márquez zum Größten aller Zeiten zu küren. Es scheint sicher, dass dieser Zeitpunkt einmal kommen wird, aber bis es soweit ist... Nun, er muss eine Weile weitermachen.

Und während es wahrscheinlich zu viel verlangt wäre, dass er auf der Isle of Man gewinnt, könnte er nicht in mehr als einer Klasse Rennen fahren?

Vielleicht nicht. Die Zeiten haben sich geändert, Techniken verfeinert. Sich auch nur auf eine andere Reifen-Marke einzustellen, erfordert eine gewisse Zeit, um sich anzupassen.

Wie auch immer, die Größten aller Zeiten kommen und gehen. Es ist wichtig, dass sie und wir nicht vergessen, dass auch große Bäume eines Tages umfallen.

Frohes neues Jahr.

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