Yamaha steht vor Einigung mit neuem Kundenteam

Stefan Bradl: Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes

Von Günther Wiesinger
Stefan Bradl in Indianapolis 2014

Stefan Bradl in Indianapolis 2014

Weil er sich nach drei Jahren gegen Honda und für Yamaha entschieden hat, schlägt Stefan Unverständnis entgegen. Warum eigentlich?

Es ist kein Zufall gewesen, dass der fünffache Weltmeister Toni Mang zu Beginn seiner Karriere für das «Immerfeicht Racing Team» antrat.

Auch später war der Bayer nicht unbedingt für seine asketische Lebensweise bekannt.

Deshalb amüsiert mich jetzt, wenn der gute Toni seinem Landsmann Stefan Bradl gute Ratschläge gibt und dessen körperlichen Zustand und dessen Fitnesslevel kritisiert.

Ich denke, Bradl hat 2013 und 2014 keinen einzigen Punkt wegen unzureichender Kondition verspielt.

Und Toni Mang, der nur sporadisch in der Königsklasse fuhr, sollte sich vor Augen halten: Bradl hat es mit Márquez, Pedrosa, Rossi und Lorenzo zu tun.

Niemand will die grossartigen Leistungen von Toni Mang schmälern. Aber er musste in den Klassen 250 und 350 ccm nicht einmal annähernd solche Kaliber bekämpfen wie heute Bradl, manchmal gar nur Fahrer wie Marchetti und Freymond.

Dass Bradl in den Rennen manchmal die Trainingsergebnisse nicht wiederholen kann, lässt sich allerdings nicht bestreiten. Und dass der Bayer bisher nicht alles gezeigt hat, was ihn im steckt, weiss er selbst.

Bradl war in diesem Jahr im Quali schon zweimal Dritter und zweimal Vierter. In den Rennen hat er einen vierten und zwei fünfte Plätze verzeichnet. Im Qualifyer-Award liegt er an sechster Position, in der WM-Tabelle an Neunter.

Bradl hat in der ersten Saisonhälfte die Erwartungen nicht erfüllt. Das weiss keiner besser als er selbst.

Die Honda Racing Corporation hat ihn deshalb fallen gelassen.  Trotzdem machte ihm LCR-Honda-Teambesitzer Lucio Cecchinello schliesslich noch ein Angebot für 2015, aber erst nachdem Maverick Viñales, Aleix Espargaró, Cal Crutchlow abgewunken hatten, auch zu Iannone gab es Kontakt, aber keiner sagte zu, aus unterschiedlichen Gründen. Der 19-jährige Moto3-WM-Leader Jack Miller wird seit Mai geködert, er hat bisher nicht zugesagt.

Viñales ist sauer auf Honda, weil sie ihm 2012 kein siegfähiges Moto3-Motorrad hingestellt haben. Aleix Espargaró wollte bei Honda nicht im Schatten von Márquez und Pedrosa stehen, ausserdem dachte er vielleicht ein Jahr zurück. Damals wechselte sein Martinez-Team von Aprilia zu Honda, aber Honda drückte den Japaner Aoyama ins Team – und liess Aleix zu Forward-Yamaha gehen, was sich für den schnellen Spanier als Glücksfall erwies.
Crutchlow lehnte das LCR-Angebot ursprünglich wie im Vorjahr wegen der niedrigen Gage ab.

Bei HRC überstrahlt Márquez alles

Bei HRC werden momentan alle Fahrer an Marc Márquez gemessen. Aber selbst ein Star wie Dani Pedrosa steht völlig im Schatten seines Landsmanns, obwohl er die neunte Saison im Repsol-Honda-Team fährt, bisher ohne Titelgewinn. Im Indy-Qualifying war Pedrosa Achter, Bradl Zehnter.

«Ich hätte auf mich selber hören und meine eigene Runde fahren sollen – ohne Windschatten», ärgerte sich Stefan.

Der Deutsche hat am 5. August für 2015 bei Forward-Yamaha unterschrieben.

Das bringt ihm zum Beispiel beim TV-Sender Sport1 viel Kritik ein.
Warum eigentlich? Wird auch jeder Fussballspieler als Depp abgestempelt, der den Club wechselt? Bradl fühlte sich bei LCR und Honda wohl als Notnagel, er spürte wenig Rückhalt, deshalb sah er sich rechtzeitig um eine Alternative um, die ihm zusagte.

Zum Glück für ihn gibt es durch die Rückkehr von Suzuki und Aprilia momentan mehr lukrative Teamplätze als Top-5-Kandidaten.

Bei Honda wird ein vierter Platz als Versagen gewertet, schliesslich gilt die RC213V als das beste Motorrad.

Naja, vielleicht verfügt HRC auch nur über den besten Fahrer.
Denn ohne Márquez stünde die beste Honda in Indianapolis auf dem achten Startplatz.

Und ein Riesendilemma erwartet Bradl bei Forward in der nächsten Saison nicht. Yamaha steht in Indy auf den Startplätzen 3, 4, 5 und 6.
Stefan übernimmt bei Forward den Platz von Aleix Espargaró, der beim Indy-GP als Vierter (vor Rossi) losfährt. In Assen stand er auf Pole-Position, in Sachsen ebenfalls auf Platz 4.

In diesem Jahr treten die Privatteams wie Forward-Yamaha in der Open-Class an, so bekommen sie bekömmliche Vorteile gegenüber den Factory-Piloten, zu denen auch LCR mit Bradl gehört.

Die Vorteile lauten: 24 statt 20 Liter im Rennen, zwölf statt fünf Motoren pro Saison, weichere Hinterreifen, weniger Testbeschränkungen, Motorenentwicklung nicht eingefroren.
Einziger Nachteil: Die Open-Teams müssen die Einheits-ECU von Magneti Marelli verwenden.

Seltsamerweise wurden diese Zugeständnisse auch dem Ducati-Team mit den vier Piloten Dovizioso, Crutchlow, Iannone und Hernandez eingeräumt, auch für 2015. Sie fahren zwar unter der Factory-Option, aber geniessen die Open-Class-Vorzüge. Weil Ducati 2013 kein Rennen gewonnen hat – und bei Laune gehalten werden sollte.

Stefan Bradl: 2015 mit Open-Vorteilen

Stefan Bradl hat oft gerätselt, was die Open-Vorteile genau bewirken. 2015 kann er sie auskosten.

Man erlebt bei Ducati, dass dauernd Motoren-Updates kommen, weil man mehr Triebwerke verheizen, mehr Sprit verbrauchen und die Drehzahl hochjagen kann.

Bei den vier Factory-Piloten von Honda (Márquez, Pedrosa, Bradl, Bautista) und Yamaha (Rossi, Lorenzo, Pol Espargaró, Smith) muss bei den Motoren bereits gespart werden.

Bautista verwendet den fünften, Bradl den vierten. Wenn Bautista noch einen sechsen Motor in Betrieb nimmt, muss er zur Strafe einmal aus der Boxengasse starten.

Diese Sorgen kennt Forward-Yamaha-Pilot Aleix Espargaró nicht: Er operiert bereits mit dem achten Triebwerk.

Forward-Teambesitzer Giovanni Cuzari will Bradl im November das Eigenbau-Chassis (gebaut von Ex-FTR-Designer Mark Taylor) und das Orginal-Yamaha-Werks-Chassis testen lassen. Dann soll der Bayer die besten Komponenten auswählen.

Auf Sport1 war zu hören, das sei vom Reglement verboten. Wo denn bitte?

Aleix Espargaró fährt bisher ein Yamaha-Chassis. Und Honda wird nächstes Jahr alle Open-Teams mit den diesjährigen Factory-Bikes in der Open-Class fahren lassen, kein Team muss deshalb andere Fahrwerke bauen.

Das Forward-Team traut Bradl zu, 2015 ähnliche Resultate wie Aleix Espargaró (aktuell WM-Sechster) zu erzielen.

Das ist nicht allzu weit herbei geholt. Bradl ist der einzige Fahrer, der in den letzten vier Jahren einen Titelgewinn von Marc Márquez verhindert hat – 2011 in der Moto2. Und er hat bisher 19 GP-Podestplätze errungen, Aleix Espargaró einen.

Eines ist klar: Bradl ist jetzt WM-Neunter. Das ist ihm auch auf einer Forward-Yamaha zuzutrauen.

Auf Sport 1 war auch zu hören: Wenn Yamaha wirklich so grosses Interesse an Bradl hätte, dann hätte man ihn für das Tech3-Team engagiert und nicht bei Forward unterschreiben lassen.

Ich könnte mir aber vorstellen, dass Stefan Bradl als langjähriger Red Bull-Athlet nicht so perfekt auf eine Monster-Yamaha passen würde.

Und den Yamaha-Managern Tsuji, Nakajima und Jarvis ist es wohl lieber, wenn sie bei Forward-Yamaha einen 24-Jährigen haben, der die Open-Class gewinnen kann, wenn schon die Factory-Class von Honda und Márquez dominiert wird.

Klar, Bradl hat in 46 MotoGP-Rennen mit erstklassigem Material nur einen Podestplatz (2013 Platz 2 in Laguna Seca) erreicht.

Aber: In der Rookie-Saison 2012 durfte niemand wirklich Top-3-Ränge erwarten, da fallen schon mal 18 Rennen weg.

Und Fahrer von Kundenteams sind nun mal höchst selten Besucher auf dem MotoGP-Siegerpodest: 2014 hat es bei neun Rennen und 27 möglichen Podestplätzen bisher nur ein Nicht-Werksfahrer aufs Podium geschafft – Bautista.

Bautista und Bradl standen in ihrer dritten Honda-MotoGP-Saison enorm unter Druck. Bautista begann die Saison mit drei Rennstürzen in Doha, Austin und Las Termas.

Bradl stürzte in Katar in Runde 8 auf Platz 1 liegend. In Jerez wurde er wegen «arm pump»-Problemen nur Zehnter. In Mugello räumte ihn Crutchlow ab. Danach stieg der Druck für Bautista (30) und Bradl (24) weiter.

In Assen stürzte Bradl in der Besichtigungsrunde. Ein Anfängerfehler. Beim Deutschland-GP war ihm klar, dass seine Tage bei LCR-Honda gezählt waren, wenn nicht innerhalb von zehn Tagen ein Sponsor für einen zweiten Fahrer gefunden würde, was zu diesem Zeitpunkt höchst ungewiss war.

Bradl und sein Team machten beim Deutschland-GP ein Gamble. Während alle anderen Stars aus der Boxengasse losfuhren, liess Bradl sein Bike auf dem Startplatz aufs Trocken-Set-up umbauen. Doch die Zeit reichte nicht. Er führte sechs Runden lang, dann wurde er 16. «Stefan braucht nur mal wieder eine Glückssträhne», meinte kürzlich Ex-Rennfahrer Randy Mamola.

Der deutsche Moto2-Weltmeister von 2011 lässt sein Können immer wieder aufblitzen – wie mit der Bestzeit Samstagfrüh in Indy.
Stefan gehört in der MotoGP-WM neben Aleix Espargaró, Andrea Iannone, Bradley Smith zu den besten Mittzwanzigern.

Andrea Dovizioso läuft erst in seiner siebten MotoGP-Saison zur Höchstform auf. Er hat nach vier Honda-Jahren und einer Yamaha-Saison bei Ducati seine Bestimmung und das richtige Umfeld gefunden.

Man mag sich vorstellen, dass es für Spitzenleistungen nicht unbedingt zuträglich ist, wenn am Arbeitsplatz jeden Tag neue Nachfolger ins Spiel gebracht werden. Vor allem, wenn keiner dabei ist, der wirklich besser ist.

Jedenfalls war Stefan Bradl in der ersten Saisonhälfte 2014 nicht derselbe Bradl wie 2011 oder 2012.

«Wenn es im Kopf nicht stimmt, kannst du mit dem besten Motorrad nicht optimal fahren», sagte kürzlich Weltmeister-Macher Aki Ajo.
Der beste deutsche MotoGP-Fahrer aller Zeiten hat sich für Yamaha entschieden.

Was ist daran so schlimm?

Immerhin hat Yamaha die MotoGP-WM 2004, 2005, 2008, 2009, 2010 und 2012 gewonnen, Honda 2006, 2011 und 2013.

Hat nicht jeder von uns das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes?

Stefan Bradl hatte in seiner Laufbahn bisher oft ein gutes Gespür. Ende 2009 entschied er sich für den Aufstieg in die Moto2, genau zum richtigen Zeitpunkt. Nach der Saison 2010 stieg er von Suter auf Kalex um – auch da hatte er die richtige Nase. Und Ende 2011 liess er sich auf das MotoGP-Abenteuer ein –  und etablierte sich rasch in der Königsklasse.

Nur weil seit Valentino Rossi 2003 kein Rennfahrer mehr eine Factory-Honda ausgeschlagen hat, muss es ja kein Abstieg sein.
Rossi hat’s jedenfalls ganz gut überstanden.

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