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Stefan Bradl: Warum er bei Honda 2014 enttäuschte

Von Günther Wiesinger
Stefan Bradl erlebte 2014 eine enttäuschende Saison. Er zerbrach am Druck durch Honda, es zählten nur Podestplätze. Bei Forward-Yamaha wird er aufblühen.

Die meisten Berichte und Interviews über und mit Stefan Bradl lösen auf SPEEDWEEK.com überdurchschnittlich viele Postings aus.

Ich weiss nicht, ob sich Kritiker, Befürworter und Fans des deutschen MotoGP-Piloten die Waage halten.

Dem Moto2-Weltmeister von 2011 wird jedenfalls einiges vorgeworfen, nicht alles hat Hand und Fuss.

Bradl habe die Werks-Honda nur wegen seiner deutschen Herkunft erhalten, er habe keine ausreichende Kondition, nicht genug Kampfgeist, stürze zu oft, er jammere zu viel, er sei kaum besser als seine deutschen Vorgänger in der MotoGP-Klasse und so weiter.
Die Fans legen sich dann für Bradl mächtig ins Zeug und entkräften so manchen nicht ganz verständlichen Vorwurf.

Naja, halten wir uns mal an die Fakten: Bei der Honda Racing Corporation (HRC) bekam Bradl bereits beim ersten MotoGP-Test zu hören, er werde den Vertrag nicht bekommen, weil er Deutscher sei, sondern weil er die Moto2-WM gewonnen habe.

Auch 2014 betonte HRC-Vizepräsident Shuhei Nakamoto mehrmals, die Nationalität und Persönlichkeit spiele keine Rolle, es würden nur die Resultate zählen.

Und die stimmten bei Bradl 2014 mit den Erwartungen nicht mehr überein.

Erstmals seit 2010 – genau genommen.

Blenden wir zurück:

2010 riskierte Bradl mit 21 Jahren den frühen Einstieg in die neue Moto2-Klasse, er wechselte vom 125er-Zweitakter auf den 600er-Viertakter. Er glänzte gleich beim Saisonauftakt in Katar mit Bestzeiten – und gewann das vorletzte Rennen der Saison.

2011 sicherte sich Bradl die Moto2-WM gegen keinen Geringeren als Marc Márquez. Der Bayer ist somit der einzige Fahrer seit 2010, der einen Titelgewinn des spanischen Ausnahmekönners verhindert hat.

2012 beendete Bradl die MotoGP-WM als Neuling auf Platz 8, er kämpfte bei fünf Rennen um einen Podestplatz und wurde als «Rookie des Jahres» geehrt.

2013 sicherte sich Bradl in Laguna Seca die Pole-Position, er führte dort im Rennen 21 Runden lang, schliesslich glänzte er mit Rang 2 hinter Márquez – vor Rossi.

HRC belohnte ihn mit einem neuen Werksvertrag für 2014.

Der Druck von Honda

Aber die Botschaft war unmissverständlich: Bradl sollte 2014 konstant unter die ersten drei fahren und Dani Pedrosa entzaubern, der seit 2006 auf der Repsol-Honda sitzt. HRC wollte Bradl 2015 im Werksteam sehen, sonst wäre die Nachwuchsförderung für ihn rausgeschmissenes Geld gewesen, wurde ihm bereits im November 2013 klargemacht.

«An diesem Druck bin ich zugrunde gegangen», räumt Bradl heute ein. «Als ich im Juni und Juli immer deutlicher gespürt habe, dass HRC keine Hoffnungen mehr in mich setzt und dauernd andere Fahrernamen ins Spiel kamen, ist mein Selbstvertrauen zerbröckelt.»

Bei Bradl häuften sich die Fehler und Stürze, es reihten sich Enttäuschungen aneinander, im LCR-Team ging die Nestwärme verloren, jedes Wochenende geisterten neue Nachfolge-Kandidaten durch die Medien – von Vinales über Miller und Rea bis zu Iannone, Aleix Espargaró und Crutchlow.

Bradl wurde vorgeworfen, er verliere in der zweiten Rennhälfte zu viel Zeit, er fahre in Linkskurven 2 Grad zu wenig Schräglage, er wurde ständig mit Marc Márquez verglichen.

Dass gegen den Weltmeister auch Stars wie Rossi, Lorenzo und Pedrosa teilweise erbärmlich aussahen, ging unter.

Dani Pedrosa hat 2012 sieben MotoGP-Rennen gewonnen, 2014 nur eines. Da drängt sich die Frage auf: hat HRC das Motorrad zu sehr auf die Bedürfnisse von Márquez massgeschneidert und zu wenig Rücksicht auf die Fahrweise von Pedrosa, Bautista und Bradl genommen, die allesamt enttäuschten?

Die Frage lässt sich mit «Ja» beantworten, denn jetzt werden für die nächstjährigen Factory-Honda-Fahrer Pedrosa, Crutchlow und Redding unterschiedliche Chassis-Versionen gebaut.

Fakt ist: Bradl begann die Saison in Katar spektakulär, er führte acht Runden lang – dann stürzte er. Beim zweiten Rennen in Texas landete er auf Rang 4, da war das Team bereits stark enttäuscht, Rang 3 lag in Reichweite. (Rossi wurde Neunter, alle Fahrer litten an Problemen mit den Vorderreifen). Es folgte Platz 5 in Argentinien, auch dieses Ergebnis wurde von Honda als Schmach gewertet.

Bei LCR-Honda wurde 2014 manchmal vergeblich nach dem optimalen Set-up geforscht, vielleicht wäre ein Teamkollege nützlich gewesen. Die Misserfolge blieben freilich am Fahrer hängen.

Als Bradl Mitte Juni in Barcelona wieder einen starken fünften Platz erkämpfte, war sein Schicksal bei HRC längst besiegelt.

Das ist verständlich, ein Podestplatz in zweieinhalb Jahren war aus Sicht der Japaner unzureichend.

Aber: Stars wie Márquez, Rossi, Lorenzo, Pedrosa und Dovizioso lassen sich nicht so ohne weiteres besiegen. Rossi bestritt seine 16. Saison in der Königsklasse, Pedrosa seine neunte, Lorenzo und Dovizioso ihre siebte, Bradl seine dritte. Dazu kam: Ducati durfte als Werksteam alle Open-Class-Vorteile (12 statt 5 Motoren, 4 Liter mehr Sprit, weichere Hinterreifen usw.) nützen.

Der ungeheure Druck, der von HRC ausgeübt wird, ist nicht jedermanns Sache. Daran sind schon viele andere Fahrer zerbrochen. Bradl war ihm nicht gewachsen, die Japaner hätten die Situation auch etwas gefühlvoller handhaben können.

«Solange dich die Japaner brauchen, behandeln sie dich wie Gott. Sobald sie dich nicht mehr brauchen, behandeln sie dich wie den letzten Dreck», erklärte ein leidgeprüfter MotoGP-Teambesitzer.

Bradl: Was ihn bei Forward-Yamaha reizte

Irgendwann Ende Juni reifte bei Stefan Bradl der Entschluss, nicht ewig auf einen Gnadenakt von HRC zu warten. Er erkundigte sich bei Suzuki, Ducati, Pramac, Yamaha und Forward-Yamaha.

Dieses Team suchte nach dem Rücktritt von Colin Edwards und dem Abgang von Aleix Espargaró (zu Suzuki) zwei neue Fahrer, Bradl war bei Yamaha und Forward von der ersten Minute an erste Wahl. Er konnte die Dauer des Vertrags diktieren und sich aus zwei Techniker-Crews sein Wunschteam auswählen.

Crew-Chief Sergio Verbena kannte er aus seiner KTM-Zeit, die deutschen Elektroniker Dirk Debus und Tex Geissler ebenfalls seit vielen Jahren. «Wir sind ein Family-Team», sagte Dirk Debus bei den ersten Gesprächen im Juli.

Die Yamaha-Manager Nakajima, Tsuji und Jarvis waren froh, mit Bradl einen Sieganwärter für die Open-Class gefunden zu haben, sie sicherten 2015-Werksmotoren und 2014-Chassis zu.

Bei HRC wurde Bradl in diesem Jahr mehrmals vorgeworfen, er sei «mental schwach». Das mag 2014 durchaus richtig gewesen sein. Aber es stellte sich niemand die Frage, warum er 2010, 2011, 2012 und 2013 mental recht stark gewesen sei.

Wir treten dem siebenfachen GP-Sieger nicht zu nahe, wenn wir sagen, er sei mental nicht so robust wie Márquez, Crutchlow oder Iannone.

Das hat sich schon im Februar 2007 gezeigt, als der damals 16-jährige Nachwuchsfahrer nach drei Wochen aus der MotoGP-Academy von Alberto Puig geflüchtet ist, weil es dort zuging wie in einer Kaserne.

Trotzdem ist Stefan Bradl ein begnadeter, schneller Motorradrennfahrer. Seit 60 Jahren ist kein Deutscher in der Königsklasse dreimal hintereinander unter den Top-Ten der Gesamtwertung gelandet.

Selbst renommierte Landsleute wie Braun, Mang, Waldmann, Roth, Wimmer und Papa Helmut Bradl haben es nie zu einem Werksvertrag in der Königsklasse gebracht – Bradl hingegen schon.

Der diesjährige WM-Neunte wird bei Forward-Yamaha 2015 über ein schlagkräftiges Technik-Paket verfügen. Sein Vorgänger Aleix Espargaró hat damit eine Pole-Position in Assen erreicht und Platz 2 im Regen von Aragón, dazu den siebten WM-Rang.

Stefan Bradl hat schliesslich Ende Juli bei LCR-Honda abgesagt, weil er mehr Argumente «pro Yamaha» als «pro Honda» fand.

Er sehnte sich nach einem familiäreren Umfeld, nach einer neuen Herausforderung, nach mehr Mitspracherecht bei technischen Fragen und nach einem neuen Motorrad, das aller Voraussicht nach besser zu seinem Fahrstil passt.

«Bei der Yamaha habe ich mehr Vertrauen zum Vorderrad und hinten mehr Traktion», stellte der Umsteiger in Valencia und Jerez fest. «Dafür müssen wir an der Bremsstabilität arbeiten. Und dass die Motorleistung etwas weniger ist, damit müssen wir uns abfinden.»

Stefan Bradl ist ein Typ, der sich in seinem Team wohlfühlen muss – wie 2012 und 2013 bei LCR. Damals gelang ihm alles, was von ihm erwartet wurde.

Die entspannte Atmosphäre bei Forward behagte ihm von der ersten Minute an, Teambesitzer Giovanni Cuzari outete sich rasch als Deutschland- und Bradl-Fan. «Ich habe mein erstes Geld in Deutschland verdient, als Eisverkäufer in einer Eisdiele namens Adria», erzählte er.

Bradl: Am Können fehlt es nicht

Stefan Bradl geniesst bei Forward jetzt jenen Wohlfühlfaktor, der ihn bei Kiefer Racing jahrelang beflügelte und in den ersten zwei Jahren auch bei LCR-Honda. Das neue Team verfolgt keine unrealistischen Ziele, Bradl soll bester Open-Class-Fahrer werden, das ist ihm zuzutrauen.

Stefan Bradl hat schon viele Rückschläge überwunden. Er verfügt über genug Ehrgeiz und hat viele Gründe, es 2015 den Kritikern zu zeigen.

In den Jahren 2015 oder 2016 hat der 25-jährige Bayer Gelegenheit, sich für ein Werksteam zu empfehlen – bei Yamaha, Ducati, Aprilia, Suzuki oder irgendwann bei KTM.

Es fehlte Bradl zuletzt am nötigen Rückhalt und an der Geborgenheit, die auch andere sensible Spitzenfahrer zu ihrer optimalen Entfaltung brauchen – zum Beispiel Lorenzo.

Viele Experten sind überzeugt: Bradl verfügt über das nötige Talent, die Fähigkeiten, die Durchschlagskraft und das Können, um sich dauerhaft in der MotoGP-Weltspitze zu etablieren. Er braucht sich vor Crutchlow, Iannone, Espargaró und Smith nicht zu verstecken, er kann es an guten Tagen mit den Allerbesten aufnehmen. Es fehlt noch an Konstanz und Erfahrung, daran arbeitet er.

Also: Drücken wir dem WM-Neunten die Daumen.

Es reicht, wenn die ersten acht Fahrer der MotoGP-Tabelle aus Spanien und Italien kommen.

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