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Sebastian Vettel: Ferrari zu Unrecht unter Beschuss

Von Mathias Brunner
Sebastian Vettel

Sebastian Vettel

​Der vierfache Formel-1-Champion Sebastian Vettel findet, sein Rennstall Ferrari wird zu Unrecht kritisiert. Die Italiener sind seit 23 Grands Prix ohne Sieg, in der WM liegt Ferrari 50 Punkte hinter Red Bull Racing.

Im Fahrerlager von Monza musste Ferrari-Präsident Sergio Marchionne (64) zugeben: «Es gibt nichts zu beschönigen – wir haben unsere Ziele für die Saison 2016 verpasst. Ich finde, wir haben in Australien gut begonnen, da waren wir nicht weit weg von Mercedes, aber dann konnten wir nicht wie erhofft nachlegen, die Entwicklung war zu wenig rasant. Wir werden alles daran setzen, diese Saison erhobenen Hauptes zu beenden und noch einige Siege zu erringen. Vielleicht haben wir zu lange damit gewartet, unserem Mattia Binotto die technische Leitung zu übertragen. Wir haben uns aber für die Zukunft besser aufgestellt, es sind tolle Entwicklungen eingeleitet, und ich habe jedes Vertrauen in meine Mannschaft, dass wir das 2017 besser machen. Das wahre Ferrari sehen wir erst dann.»

Seit Monza ist die Situation von Ferrari nicht besser geworden: Die Durststrecke ohne Sieg dauert nunmehr 23 WM-Läufe (seit Singapur 2015), in den vergangenen acht Rennen stand nur einmal ein Ferrari-Fahrer auf dem Siegerpodest, Vettel als Dritter in Monza. Im Konstrukteurs-Pokal beträgt der Rückstand von Ferrari auf Red Bull Racing inzwischen happige 50 Punkte.

Jetzt nimmt Sebastian Vettel seinen Rennstall in Schutz. Bei den Kollegen von Autosport meint der Heppenheimer: «Der Abstand zu Mercedes ist ziemlich stabil geblieben. Bei einigen Rennen kamen wir ihnen näher, in anderen waren wir etwas weiter entfernt. Es ist korrekt zu sagen, dass der Abstand im Qualifying gross ist, im Rennen ist er kleiner. Zu Beginn des Jahres waren wir zweite Kraft, nun sind wir ein wenig zurückgerutscht. Aber es ist unfair zu behaupten, wir lägen massiv zurück. Eineinhalb Zehntelsekunden pro Runde sind nicht massiv.»

«Wir sind mit sehr hohen Erwartungen in diese Saison gegangen, dann mussten wir uns eingestehen, dass wir diese Ziele nicht erreichen werden. Bei einigen Rennen ist vieles schief gegangen, aber wir haben nie den Fokus verloren. Selbst bei grossem Pech sind wir unserem Weg treu geblieben, und das war gut so. Ich bleibe dabei, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Früher oder später werden uns die Ergebnisse Recht geben.»

Luca Baldisserri: Ferrari mit Klima der Angst

Der langjährige Ferrari-Mitarbeiter Luca Baldisserri hat vor kurzem im Corriere dello Sport das Team aus Maranello hart kritisiert: «Weder Marchionne noch Teamchef Arrivabene haben Rennerfahrung, die Führungsspitze von Ferrari hat diese Kultur verloren. Das ist doch nicht mehr ein Team, das ist eine Gruppe von Menschen, die verschreckt sind. Da herrscht ein Klima des Terrors, die Jungs erfinden und entscheiden nichts aus Angst, sie könnten in Unehren entlassen werden.»

Für die neue, horizontale Struktur für Maranello, von der immer wieder die Rede ist, hat Baldisserri nur Hohn übrig: «Das bedeutet überhaupt nichts. Die Kommandostrukur eines Formel-1-Rennstall muss nicht mal vertikal sein – sie muss militärisch sein! Die Nummer 1 muss vorgeben, wohin die Strasse führt, sie muss die Personen motivieren, sie muss Entscheidungen treffen, und wenn Fehler passieren, dann gehören die Leute nicht gleich weggeschickt. Und genau das ist James Allison passiert. Ein schwerer Verlust.»

Baldisserri lobt aber auch: «Einige Abteilungen bei Ferrari arbeiten hervorragend. Etwa die Motorabteilung, die bis vor kurzem von Mattia Binotto geleitet worden ist. Seit 2014 hat er Wunder vollbracht.»

«Mattia weiss, wie man die Leute motiviert, er hat sehr viel Erfahrung, aber er ist kein Technischer Direktor. Er weiss genau, dass er kein Auto entwerfen könnte, dass er kein vertieftes Wissen in Sachen Chassis besitzt, nicht für die Aerodynamik, nicht für die Mechanik. Für mich wäre er hingegen ein guter Teamchef.»

Und so würde Luca Baldisserri an der Schwelle zum neuen Reglement 2017 vorgehen: «Aerodynamik und mechanischer Abtrieb werden wieder wichtiger. Klar gibt es immer Raum für Geniestreiche, aber ich persönlich würde nicht alles Geld auf eine risikoreiche, avantgardistische Idee setzen. Ich würde vielmehr auf eine solide Basis bauen, die im Laufe der Saison viel Raum für Entwicklung bietet. Das wird 2017 den Unterschied ausmachen.»

«In Suzuka haben wir bei Ferrari einen Aufwärtstrend gesehen. Aber ich hoffe, es werden keine Ressourcen vergeudet, um noch einen Grand Prix zu gewinnen. Das wäre doch für diese Saison nur Kosmetik, völlig unnötig. Alles muss jetzt in die Arbeit für 2017 gesteckt werden. Das hätte ich im Übrigen schon im vergangenen Juli getan.»

«Ferrari wird dann wieder siegen, wenn der Rennstall eine effiziente, stabile Organisation vorweisen kann, mit guten Ideen, mit Fahrern, die keine Fehler machen. Ich verstehe ja, dass Marchionne schnell gewinnen will, aber so funktioniert das in der Formel 1 nicht. Rennställe umzubauen, das sind langwierige Prozesse, unter drei Jahren geht da nichts.»

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