Baku: Mercedes-Hintergründe zu Hamilton und Bottas

Von Mathias Brunner
Andrew Shovlin mit Lewis Hamilton

Andrew Shovlin mit Lewis Hamilton

​Der Engländer Andrew Shovlin, leitender Renningenieur von Weltmeister Mercedes-Benz, blickt auf den turbulenten Strassen-GP von Aserbaidschan zurück und erlaubt uns Einblicke in die Team-Strategie.

Formel-1-Weltmeister Mercedes hat in Baku den ersten Saisonsieg 2018 errungen. Es gehört zum turbulenten Rennverlauf, dass nicht der frühe Leader Sebastian Vettel und Ferrari triumphierten, auch nicht Valtteri Bottas, der sich einen Platten einfing, sondern – ein wenig unerwartet – Champion Lewis Hamilton. Auch bei Mercedes musste nach diesem Thriller erst mal tief durchgeatmet werden.

Andrew Shovlin, leitender Renningenieur von Weltmeister Mercedes-Benz, spricht über die Siegerstrategie der Silbernen. «Was für ein Wochenende! Wir gingen ins Rennen im Wissen, dass wir auf sehr viel Gegenwehr von Ferrari und Red Bull Racing stossen würden. Dann sofort Action: ein Unfall mit Kimi Räikkönen, der sich frische Pirelli der Mischung weich abholte. Aus Sicht des Strategen war schnell klar: Das Aufwärmen der Reifen ist ein Riesenthema. Unsere Fahrer taten sich schwer, die Walzen zum Arbeiten zu bringen, und auch Ricciardo und Verstappen von Red Bull hatten Mühe.»

Der 44jährige Liverpooler weiter: «Dann die übliche Safety-Car-Phase von Baku, und als wir glaubten, dass wir nun endlich alles halbwegs im Griff haben, mit Valtteri in solider Führung, da hat Bottas ein Trümmerteil getroffen, was zum Reifenschaden und Ausfall führte. Zum Glück hat für uns Lewis die Kastanien aus dem Feuer geholt. Valtteri tut mir wirklich leid: Er war das ganze Wochenende über sehr stark und hat auch im Rennen alles richtig gemacht.»

Vor einem Jahr hat Teamchef Toto Wolff den 2017er Silberpfeil den Spitznamen Diva verpasst, wegen eines etwas launischen Verhaltens. Die wahre Diva in diesem Jahr trägt schwarz und kommt aus Mailand: Pirelli. Andrew Shovlin gibt zu: «Es stimmt, das Reifen-Management ist das dominierende Thema, besonders in den letzten paar Rennen. In China zum Beispiel hatten wir im Qualifying 14 Grad Aussentemperatur, die Piste war nur 16 Grad warm. In Baku war es im Rennen wärmer, mit einer Piste, die sich auf rund 25 Grad aufwärmte, doch das Problem eines Strassenkurses – du hast keine schnellen Kurven, die tüchtig Energie in den Reifen bringen und ihn auf diese Weise nachhaltig aufwärmen.»

«Es kommt noch ein anderer Faktor dazu: Im ersten Teil einer Saison ist es für die Rennställe nicht leicht, den heiklen Umgang mit den Reifen auf den Punkt zu bekommen. Alle pröbeln mit der Abstimmung und den Aufwärmphasen herum. Das hat dazu geführt, dass in gewissen Situationen 15 Runden verstrichen, bis an gewissen Autos bei bestimmten Verhältnissen die Pirelli ideal arbeiteten.»

Was kann ein Rennstall da tun? Shovlin weiter: «Ein schnelles Auto bringt mehr Energie ins Auto. Ganz wichtig ist das Design des Rads und der Bremse. Wir benutzen die Wärme der Bremsen zum Aufwärmen der Reifen. Der Fahrer kann dazu beitragen, indem er Schlangenlinien fährt, was wir vor einem Start oder einem Neu-Start oft sehen. In Baku sassen alle im gleichen Boot. Ferrari schaffte es zwar, die Reifen schneller auf Temperatur zu bringen. Aber auch die Italiener hatten Mühe, im besten Betriebsfenster zu bleiben.»

Wie legen sich Techniker fest, was dem Umgang von Mischungen wie in Baku angeht? Wie werden die Strategien der Mischungen ultraweich, superweich und weich bestimmt? Andrew antwortet: «Wir hatten in den Dauerläufen vom Freitag in Baku erkannt – der ultraweiche Reifen brachte weniger als erwartet. Der Reifen baute so schnell ab, dass die Fahrer der ersten Sechs, mit Ausnahme von Räikkönen, einen Start auf dem superweichen Reifen bevorzugten. Der garantierte, dass der Pilot länger auf der Bahn bleiben kann.»

«Die meisten Strategen erwarteten: Start auf superweich, dann ein Stopp mit Wechsel auf die Mischung weich und damit bis ins Ziel durchfahren. Aber am Sonntag wurde klar: Es gibt grosse Probleme mit dem Aufwärmen. Daher suchten einige Piloten im ultraweichen Reifen ihr Glück, mit dem Versprechen für mehr Haftung, aber auch mit der Auflage, diesen Reifen Sorge zu tragen.»

«Zu Beginn des Rennens hatte Valtteri grössere Probleme mit dem Aufwärmen der Reifen als Lewis. Die Aufgabe für den Fahrer ist wirklich schwierig. Er rutscht ohne den gewohnten Grip herum, die Mauern stehen verflixt nahe, es ist eine Gratwanderung. Als die Reifen besser funktionierten, rückte Bottas näher an Hamilton heran. Bevor am Ende dann alles drunter und drüber ging, dachten wir: Red Bull Racing wird auf ultraweichen Reifen etwas versuchen. Wir selber hielten uns alle Möglichkeiten offen. Aber dann liess Lewis ein Rad stehen, wir mussten ihm weiche Reifen mitgeben, weil die ultraweichen Pirelli nie bis ins Ziel gehalten hätten.»

Hand aufs Herz: Rechnete Mercedes mit einer weiteren Safety-Car-Phase? «Auf jeden Fall», antwortet Shovlin. «Die Erfahrung aus Baku zeigt, dass dies jederzeit passieren kann. Wir wussten – wir können Vettel die Führung abknöpfen, wenn wir eine Safety-Car-Phase geschickt zum Reifenwechsel nutzen. In solch einer Phase verlierst du beim Stopp weniger Zeit als im normalen Rennen.»

«Ohne Safety-Car hätten wir bis zehn Runden vor Schluss gewartet, dann Bottas die ultraweichen Reifen gegeben und gehofft, dass er damit Sebastian den Sieg streitig macht. Mit Lewis hatten wir weniger Möglichkeiten.»

Viele Fans fragten sich: Wieso gab es für Valtteri Bottas keine Warnung vor dem Trümmerteil, das auf der Piste lag? Andrew: «Wir selber sahen es gut eine Sekunde, bevor Valtteri drüberfuhr. Wir hatten schlicht keine Zeit, um Bottas zu warnen. Bei zahlreichen anderen Vorfällen haben wir Lewis und Valtteri ständig darüber auf dem Laufenden gehalten, wo Trümmerteile lauern.»

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