Arturo Merzario: Hamilton bei Ferrari unerwünscht?
Der Italiener Arturo Merzario ist inzwischen 82 Jahre alt und gibt noch immer Vollgas: Vor wenigen Wochen nahm er am «Indy Oerlikon» teil, wo klassische Rennfahrzeuge auf zwei und vier Rädern im Oval-Beton der historischen Zürcher Radrennbahn kreisen.
Merzario, der kleine Mann mit dem grossen Cowboy-Hut, ist zur Kultfigur geworden. Als Ferrari im September 2019 vor dem Mailänder Dom den roten Teppich ausrollte, um 90 Jahre Rennsport zu feiern, wurde Merzario von den Fans wie ein Pop-Star empfangen. Arturo war sichtlich berührt.
Seine scharfe Zunge hat Merzario in all den Jahren behalten. So hat er sich bei den Kollegen der Gazzetta dello Sport auch über die Gefühlswelt von Lewis Hamilton geäussert, der – im Rahmen des Ungarn-GP – sich selber als unnütz bezeichnet hat, Hamilton forderte sogar, vielleicht müsste Ferrari darüber nachdenken, ihn auszuwechseln.
Merzario sagte dazu: «Ich denke, dass der Ausbruch von Hamilton in gewisser Weise ironisch war. Seine Position ist sicherlich nicht die, die man von einem siebenfachen Weltmeister erwarten würde. Vielmehr scheint es mir, dass Lewis sich von Ferrari demoralisiert fühlt.»
Dann sagt Merzario etwas, was unserem Eindruck von Hamilton bei Ferrari widerspricht: «Das Engagement von Hamilton ist meiner Meinung nach ein kommerzieller Schachzug, 90 Prozent der Ferrari-Mitarbeiter waren damit nicht einverstanden, zumindest soweit ich weiss.»
Diesen Eindruck können wir aufgrund von Erlebnissen am GP-Schauplatz nicht teilen, und auch die Tifosi halten zum Engländer.
Merzario macht sich Sorgen um Hamilton (und er ist dabei nicht der Einzige), glaubt aber auch, dass wir eine Wende erleben könnten.
Arturo weiter: «Wenn sich ein Fahrer nicht wertgeschätzt oder als integraler Bestandteil des Teams fühlt, um ein Ziel zu erreichen, dann verliert er seine Motivation. Warum sollte man sich verrückt machen, um drei Zehntel zu gewinnen, wenn man trotzdem in der dritten Reihe bleibt?»
«Hamilton ist aber noch nicht am Ende. Er wartet auf die richtige Gelegenheit. Er wird nur dann Risiken eingehen, wenn es notwendig ist – nicht für einen achten Platz.»
Arturo Merzario: Der Lauda-Retter
Die Formel-1-Statistik tut Arturo Merzario Unrecht. Dem am 11. März 1943 in Civenna bei Como geborenen Norditaliener werden 57 Formel-1-Starts zugeschrieben, aber das Timing für den drahtigen Mann mit dem grossen Cowboy-Hut hat selten gestimmt – selbst dann nicht, als Merzario Ferrari-Werkspilot war.
Für den berühmtesten Rennstall der Welt reichte es 1973 in Brasilien und Argentinien zu zwei vierten Plätzen, im bewährten Modell 312 B2. Ab Monaco jedoch wurde der B3 eingesetzt, mit dem sich Arturo so schwertat wie Team-Leader Jacky Ickx. Das Auto war – Entschuldigung, liebe Tifosi – eine Gurke.
Die grösste Tat des kleinen Italieners: Arturo Merzario rettete 1976 auf dem Nürburgring mit einigen Rennfahrerkollegen und Streckenposten Niki Lauda aus dem Feuer und wurde so weltberühmt. Er tingelte bis 1979 durch die Formel 1, jahrelang mit klobigen Eigenbauten, bei welchen sich die Fans oft fragten – wie kann der Kerl eigentlich übers Lenkrad sehen?
Der Kettenraucher eroberte seine grössten Siege im Sportwagen: Er triumphierte auf einigen der schwierigsten Kurse der Welt, wie in Spa-Francorchamps (die alte Version) oder bei der Targa Florio (zwei Mal, 1972 mit Ferrari, 1975 mit Alfa Romeo).
Im Grunde ist es ein Wunder, dass er so alt geworden ist. Viele seiner Weggefährten hat er verloren, was beim Zustand der damaligen Rennstrecken wenig verwunderlich war, wie er im Rahmen der Ennstal-Classic erklärte. «Die Dinge neben den Strassen, wie Bäume und Ähnliches, waren das Gefährlichste. Aber die Rennfahrer haben sich relativ gut darauf einstellen können. Der Motorsport begann nun mal auf Strassen.»
«Dann sind Strecken wie der Nürburgring und Monza gekommen. An sich auch gefährlich, aber die Fahrer konnten mit dem Risiko leben. Doch womit sie nicht leben konnten, war das Risiko der Technik. Das Schlimmste war die Technik, denn wenn dir eine Radaufhängung gebrochen ist, hattest du kaum eine Chance. Das grösste Problem waren mechanische Defekte, weil dadurch die meisten Racer tödlich verunglückt sind.»
«Vor dem Tod hatte ich nie Angst, wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Viel eher machte mir Angst, dass ich invalide werden könnte.»
Der heutige Sport macht Merzario wenig Eindruck: «Ich denke nicht, dass die heutigen Techniker und Ingenieure unglaubliche Genies sind. Die haben ein Millionen-Budget und fast unbeschränkte Mittel und Ressourcen zur Verfügung. Damals haben die Techniker und Ingenieure aus einfach Materialien und Rohren Rennautos gebaut.»
«Daraus resultierte die Gefahr, weil das immer wieder kaputtgegangen ist. Das ist ganz wichtig im Vergleich zu heute. Heute gehst du in ein Labor und testest die Teile tausend Mal. Wir hatten das nicht. Wir haben statt dem Windkanal Wollfäden an das Auto gehängt und testeten dies auf einem Flugplatz.»
Ein moderner GP-Renner reizt Arturo nicht. «Alte Formel-1-Wagen fahre ich schon noch, wie in Goodwood. Aber in ein neues Auto würde ich mich nicht setzen. Der Adrenalinschub und der Wille, eine Rennstrecke und dieses Biest zu beherrschen, das ist der wesentliche Unterschied zur heutigen Formel 1.»