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Michelin: Die Reifen als Sündenbock der MotoGP-Stars

Kolumne von Michael Scott
Wir haben es schon oft beobachtet und können es nun wieder: Die wichtigste Rolle der Reifen im Motorrad-Grand-Prix-Sport ist jene des Sündenbocks.

Obwohl auch ein rauchender Motorschaden, oder was auch immer falsch läuft, schmerzlich ist, gibt es nur sehr selten Anlässe, bei denen nicht auch die Reifen als Sündenbock dienen müssen. Ein Sturz, eine schlechte Runde, ein mieses Rennen… immer wieder die Reifen.

Sie wurden auch – zumindest teilweise – für die steigenden Kosten verantwortlich gemacht, als Bridgestone, Dunlop und Michelin in der Königsklasse noch einen Reifenkrieg austrugen. Nicht nur die eigenen Ausgaben schienen außer Kontrolle zu sein, auch das Budget der Teams und Hersteller litt unter den vielen Testfahrten. Darum entschied sich die Dorna 2009 für Einheitsreifen, obwohl dies niemand wollte. Man fragt sich immer, warum eine Firma Einheitsreifenlieferant werden will. Sie alle bekommen den Tadel dafür.

Nichtsdestotrotz, während Michelin hochmütig verkündete, dass sie nie Einheitsreifenlieferant werden wollen, stimmte Bridgestone dieser neuen Regel zu, doch die drückten stets ihren Widerwillen aus.

Nach sechs Jahren hatten sie nun genug. Sie verlängerten nicht zum dritten Mal ihren Drei-Jahres-Vertrag. Die Japaner boten hingegen an, noch ein weiteres Jahr zu bleiben, um ihrem Ersatz die Chance zu geben aufzuholen. Michelins Hochmut ist dahin, die französische Firma wird in die Serie zurückkehren, die sie ab Mitte der 1970er bis hinein in das neue Jahrhundert dominierte.

Michelin allmächtig

Doch die Reifen haben noch eine andere Funktion – das Motorrad auf der Strecke zu halten. Dies ist der Aspekt, der Unruhe verursacht. Als Michelin noch das Maß der Dinge war, ruhten sich die Franzosen auf dieser Stellung aus. Der Hersteller aus Clermont Ferrand war allmächtig. Sie konnten das Ergebnis der Weltmeisterschaft beeinflussen. Rossi war ihr besonderer Liebling…

Bei den Europa-Rennen nutzte Michelin regelmäßig die Daten des ersten Trainingstages, um spezielle Reifen für die jeweiligen Bedingingen maßzuschneidern. Durch ihre Produktionsstätte in Frankreich konnten sie die neuen Reifen über Nacht mit einem LKW anliefern lassen. Hier sollte man sich die bereits angemerkten «steigenden Kosten» wieder ins Gedächtnis rufen.

Dunlop investierte und investierte vergeblich, um zu Michelin aufzuholen. Sie haben es nie ganz geschafft, obwohl sie Michelin zu mancher Zeit sehr nahe kamen. Sie zogen sich glücklicherweise aus der MotoGP-Klasse zurück und entschieden sich stattdessen für die Ausstattung der Moto3- und Moto2-Klasse mit Einheitsreifen. Dort gewinnen sie nun jedes Rennen.

Pirelli machte es ähnlich, obwohl sie nicht lange im Einsatz waren, genauso wie ihre Fahrer, sobald die Zahl der absolvierten Runden stieg. Währendessen zeigte das Michelin-Männchen seine ganze Pracht. Als die Dorna versuchte, sich mit den Reifenfirmen auf maximale Kosten, eine Reifenquote und Testbeschränkungen zu einigen… Naja, das gelang ihnen nie. Und warum hätte Michelin zustimmen sollen?

Doch Bridgestone war zur Stelle. Sie schufteten auf ihre hartnäckige japanische Art. Diese führt meist zu einer stetigen Verbesserung. Da ihre Produktionstätten sich in Japan befinden, mussten sie Reifen produzieren, die viele Ansprüche in sich vereinten. Das zahlte sich aus – vor und nach dem Wechsel zur Einheitsreifenregelung.

Was ihnen half, war die Tatsache, dass Michelin anfing, Fehler zu machen. Das zeigte sich beim Grand Prix in Laguna Seca 2008, wo keiner der mitgebrachten Reifen sich für die unerwartet hohen Temperaturen eignete. Sie mussten sich bei ihren Fahrern entschuldigen, die nicht gerade außer sich vor Freude waren.

Ducati war der erste Hersteller, der zu Bridgestone wechselte. Es funktionierte, denn 2007 gewann Casey Stoner den WM-Titel. Bald folgte auch Rossi, dessen neuer Teamkollege Jorge Lorenzo jedoch Michelin-Reifen fahren musste, was der offizielle Grund für die Trennwand in der Yamaha-Box war.

Diese wurde angeblich aufgestellt, um die Geheimnisse der Reifenhersteller zu schützen, doch sie diente viel mehr Rossis Wohlbefinden, denn die Wand blieb auch im nächsten Jahr, als beide Fahrer auf Bridgestone-Reifen unterwegs waren.

Michelin verließ die MotoGP-WM mit einer blutigen Nase. Nun sind sie zurück. Die Vorzeichen sind unterschiedlicher Natur.

Die bisherigen Tests brachten respektable Rundenzeiten, aber auch einige Stürze über das Vorderrad. Da Rossi, Lorenzo und Márquez beim Test im Juni in Mugello stürzten, standen die Pläne der Tests über eine Renndistanz plötzlich einer Rebellion der Fahrer gegenüber. Michelin erklärte die Stürze über das Vorderrad durch den «außergewöhnlichen Grip» der Hinterreifen.

In Brünn zerstörte Regen den Test im August. Die versprochenen Verbesserungen konnten so nicht unter Beweis gestellt werden. Der nächste Test der MotoGP-Fahrer mit Michelin wird in Valencia stattfinden – nach dem Saisonende und nicht lange bevor das Testverbot im Winter beginnt.

Auf der Habenseite steht, dass Michelin zusätzliche Regenreifen und einen zusätzlichen Hinterreifen versprochen hat. Es wird auch Intermediates geben, die seit der Übernahme durch Bridgestone nicht mehr verwendet wurden. Obwohl Michelin noch nie Reifen für die aktuellen, sehr kraftvollen Maschinen hergestellt hat, haben sie jedoch viel Erfahrung. Man könnte also sagen, dass Michelin mehr über die Herstellung von Rennreifen vergessen hat, als ihre Konkurrenten je wussten.

Die Fahrer hoffen, dass sie sich zur richtigen Zeit daran erinnern.

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