Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Marco Melandri: «Wollte Finale in Katar nicht fahren»

Von Enrico Borghi
Es hat lange gedauert, bis sich Marco Melandri mit Aprilia auf den MotoGP-Vertrag 2015 geeinigt hat. Denn 2014 wurde wegen der Superbike-WM-Stallorder zugunsten von Guintoli viel Porzellan zerschlagen.

Er hat den Ort des Treffens selber bestimmt. Marco Melandri hat uns zu einer Stelle geführt, wo der Rasen perfekt getrimmt ist, wo es Hangare und Flugzeuge gibt – und über uns die Unendlichkeit des Himmels.

Dorthin, wo er sich entspannt und erholt. Melandri, der wohl die Hälfte seiner 32 Jahre damit beschäftigt war, von einem Team zu andern zu wechseln und sein Glück in verschiedenen Klassen zu suchen.

Wir trafen uns also auf dem Flugplatz von Ozzeano Emilia und er schlug das Programm gleich selber vor. «Essen wir, machen wir unser Programm und fliegen dann», so war mir sofort klar, er ist gut gelaunt und zeigt Humor.

Er ist mit dem Flieger gekommen, klar. «Von Faenza hierher sind es nur 20 Minuten», meint er. Wir befinden uns nur ein paar Kilometer ausserhalb von Bologna.

Der Aprilia-Star bestellt Fleisch und Gemüse, von Teigwaren nimmt er Abstand und von Süssigkeiten noch mehr. Marco scheint bereits wieder im Training zu sein. Er redet vom Motocross, seiner grossen Leidenschaft und natürlich vom Fliegen, eine weitere grosse Leidenschaft.

«Fliegen hilft mir, mich zu entspannen, mich zu erholen. Wenn ich verärgert oder aufgewühlt bin, setze ich mich in mein Flugzeug und fliege. Auch wenn nur kurz, aber es hilft mir mich zu beruhigen», erzählt der Haudegen und 250-ccm-Weltmeister von 2002.

Im normalen Leben sei er anders, betont Marco, nicht wie im Fahrerlager.

«Viele denken, ich sei immer sauer oder traurig, aber das stimmt nicht. Sie sehen mich nur als Fahrer, voll konzentriert oder eben dann manchmal verärgert. Ich kann nicht ein gepresstes, künstliches Lächeln aufsetzen wie viele andere. Wenn ich enttäuscht oder sauer bin, verstecke ich das nicht.  Aber im normalen Leben vergnüge ich mich, mehr als viele andere Fahrer. Fakt ist, dass wohl jeder Fahrer zwei Persönlichkeiten hat. Auf der Piste sind sie Fahrer und daneben Personen, Menschen. Das sind zwei verschiedene Dinge.»

Mir wurde klar, dies dürfte ein Tag der Erinnerungen, Überlegungen, Vertraulichkeiten und Enthüllungen werden. Ich sollte mich nicht täuschen.

Marco Melandri verliess die Grand Prix-Szene Ende 2010. Er fuhr im Team von Gresini eine Honda und war Teamkollege von Marco Simoncelli. Es war eine 800er Honda, eine Factory RC212V. Er war seit kurzem mit seiner Manuela verlobt. Bei seiner MotoGP-Rückkehr im November in Valencia trat Marco als Familienvater auf – und mit der neuen Herausforderung Aprilia.

Marco, du warst vier Jahre weg vom GP-Sport. Was ist in dieser Zeit passiert?

In den letzten vier Jahren habe ich viele Erfahrungen gesammelt, vor allem übers Leben. Ich habe ein Alter erreicht, in dem man mehr versteht. Ich bin reifer geworden und denke deshalb auch anders. Zum Beispiel möchte ich keinen Zorn und keine Wut mehr aufkommen lassen.

Wut und Zorn?

Ja, ich möchte keine Wut gegenüber Personen mehr fühlen, auch wenn sie mir Unrecht getan haben. Stattdessen versuche ich zu verstehen, was sie dazu veranlasst hat, das zu tun. Ich nehme es auch nicht mehr so ernst und versuche stattdessen nach vorne zu schauen und meinen Weg zu gehen. Mehr zu schätzen, was ich habe und nicht das zu suchen, was ich nicht habe.

Das sind Zeichen von Reife, aber ein Fahrer muss sich behaupten und auf der Piste durchsetzen.

Ich setze mich auch weiter voll für meinen Job ein. Die, die mit mir arbeiten, wissen das. Aber jetzt ist es auch wichtig geworden, mal zu entspannen und loszulassen, sobald ich zuhause bin. Auch nach einem enttäuschenden Rennen. Daheim kann ich mich den wichtigeren Dingen widmen, meiner Familie, meinen Freunden und meinen Hobbys.

Wie fühlst du dich in deiner neuen Rolle als Vater?

Es gefällt mir sehr gut. Man muss das erlebt haben, um es zu schätzen. Ich bin ein glücklicher Jungvater und ich bin auch mit meiner Partnerin glücklich. Wenn ich am Morgen erwache und meine Tochter erblicke, bin ich sofort guter Stimmung und sehe alles positiver, was um mich herum geschieht.
Wenn du alleine bist und schlecht gelaunt aufwachst, siehst du auch den Rest des Tages eher im Negativen. Ich spüre meine Verantwortung als Vater und mein Glück ist, dass Manuela sehr viel Geduld aufbringt. Sie macht viel für das Mädchen, speziell, wenn die Kleine die ganze Nacht wach bleibt...

Reden wir von den Rennen. Über das Superbike-Saisonfinale. Wie war das Verhältnis zu Sylvain Guintoli?

Es gab kein Verhältnis.

Wie ist das gemeint?

Er hat sich nie dafür entschuldigt, dass er mich in Portimao runtergeholt hat. Im Gegenteil, er wollte mir die Schuld zuschieben, obwohl er es war, der gestürzt und auf mich gefallen ist. Und in Magny Cours hat er sich nicht bedankt, für das, was ich für ihn getan habe (Anmerkung der Red: Marco hat ihn den ersten Lauf gewinnen lassen). Er tat so, als ob er die Teamstrategie nicht nötig gehabt habe. Das stimmt nicht, er war darauf angewiesen, auch nachdem ich im zweiten Lauf meinen eigenen Weg ging. Und wenn in Katar Loris Baz im ersten Lauf nicht dasselbe getan hätte (Anmerkung der Red: Er hatte entschieden, Tom Sykes im Titelkampf mit Guintoli nicht zu helfen). Das hat Baz auch im Fernsehen gesagt, wäre Guintoli nicht Weltmeister geworden.

Wie hast du diese Stallorder, über die viel geredet wurde, erlebt?

Schlecht, sehr schlecht.

Und du hast das nicht versteckt.

Wie gesagt, ich kann nichts vortäuschen. Wenn du schneller als dein Teamkollege bist und du musst ihm helfen, wird es schwierig. Vor allem, wenn du selber um den Titel hättest fahren müssen, aber aus verschiedenen Gründen die Hälfte der Saison weggeschmissen hast. So etwas schmerzt.

Machen wir Ordnung. Machen wir reinen Tisch und reden vom Superbike-Finale, beziehungsweise von den letzten Rennen.

Für mich waren die letzten drei Monate enorm schwierig. Ich war stärker als Guintoli, aber Aprilia hat mich gebeten, ihm zu helfen. Und er hat... (Er macht eine Pause). Sagen wir es so: Ich glaube noch an gewisse Werte, also ein Dankeschön oder einen Klapps auf die Schulter wäre angemessen gewesen. Besser, als wenn ich jemanden sagen höre. Du musst ihm helfen und wirst dafür finanziell entschädigt.

Für Werke ist das normal.

Sie haben mir aber weh getan. Ich bin völlig zerstört nach Katar gereist. Ich war so aufgedreht, dass ich monatelang nicht mehr richtig schlafen konnte.

Du hast die Stallorder also sehr schlecht verdaut.

Ja, so schlecht, dass ich erst gar nicht fahren wollte.

Wie ist das wieder gemeint?

Ich habe Aprilia gefragt, ob ich für das letzte Rennen in Katar daheim bleiben darf. Denn es macht doch keinen Sinn, an ein Rennen zu gehen, mit der Gewissheit, dass ich langsam fahren muss.

(Fortsetzung mit Teil 2 des Interviews folgt am 25. 12.).

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