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Open-ECU von Marelli: Die Kritik wird immer heftiger

Von Günther Wiesinger
Diese Einheits-Software von Magneti-Marelli ist den Stars Márquez, Rossi und Lorenzo für 2016 nicht zuzumuten. Den bedauernswerten Open-Piloten wie Barbera, Bradl und Miller hingegen schon.

Stefan Bradl ist der einzige Open-Class-Fahrer, der aus den letzten drei Jahren an eine ausgereifte Software für die elektronische Motorsteuerung (Electronic Control Unit = ECU) gewöhnt war.

Deshalb konnte er sich wohl nicht vorstellen, mit welchen Kinderkrankheiten er bei der Einheits-ECU von Magneti-Marelli 2015 im Athinà-Forward-Yamaha-Team konfrontiert sein würde. Und genau diese ECU sollten ursprünglich 2016 auch die Factory-Fahrer benützen.

So weit wird es aber nicht kommen.

Defekte Hinterradsensoren, deshalb funktionsuntüchtige Traction Control, zum Beispiel in der Out-lap im FP2 in Jerez, deshalb schwerer Highsider im vierten Gang. «Es gang kein Warnlicht, wie ich es von Honda gewöhnt bin», ärgerte sich Bradl.

Ein Donnerwetter von Bradl beim Montag-Test in Jerez stiess bei den überforderten Marelli-Technikern auf wenig Verständnis. Trotzdem existiert seit Le Mans ein Warnlicht im Dashboard.

Selbst Dirk Debus, renommierter Elektronik-Chef bei Forward und früher schon jahrelang in den Werksteams bei Yamaha und Suzuki tätig, klagte über die viel zu komplexe Version der diesjährigen Marelli-ECU.

Da SPEEDWEEK.com-Leser ausgiebiger über Stefan Bradl als über andere Open-Class-Fahrer unterrichtet werden, haben wir jetzt eine nicht repräsentative Umfrage zum Thema «Open-ECU» gestartet und auch in anderen Teams und bei anderen Fahrern Informationen eingeholt.

Schon beim Texas-GP hatte Forward-Crew-Chief Sergio Verbena versichert, die Marelli-Software sei gegenüber den aktuellen Motorsteuerungen von Honda und Yamaha drei Jahre im Rückstand.

Deshalb wird die Marelli-Software – entgegen den ursprünglichen Plänen – am Saisonende in die Tonne geklopft, wie SPEEDWEEK.com im April exklusiv berichtet hat. Honda und Yamaha schreiben die Software für 2016 gemeinsam unter Mitwirkung der Ducati-Ingenieure.

Besonders beim Yamaha-Werksteam verdrehen die Verantwortlichen die Augen, wenn die Sprache auf den Marelli-Techniker Marco Venturi kommt. Der Italiener ist dort vor Jahren in Ungnade gefallen – offenbar nicht wegen seiner aussergewöhnlichen Fähigkeiten.

Die aktuelle Situation entspricht auch einem Armutszeugnis für Corrado Cecchinelli, der sich mit dem saloppen Titel «Director of Technology» bei der Dorna schmückt. Der ehemalige Ducati-Mann hat den umstrittenen Deal mit Marelli eingefädelt und hält ihn immer noch für sinnvoll.

Dieses Gebaren kam auch bei einer Krisensitzung zwischen Magneti Marelli und dem Forward-Team am Freitagnachmittag in Le Mans unmissverständlich zum Vorschein, wie unterschiedliche Sitzungsteilnehmer berichteten.

Dabei wurde von Cecchinelli bis heute die Frage nicht geklärt, warum die Open-Fahrer von Avintia Ducati (Barbera und di Meglio) bei der Marelli-ECU ein Seamless-Getriebe verwenden können, die Fahrer von Honda und Yamaha hingegen nicht.

Marelli und Cecchinelli müssen nach Beschwerden etlicher Fahrer und Teams beim Mugello-GP einige Fragen beantworten. «Für uns ist Marelli nur eine Zulieferfirma», hält Carmelo Ezpeleta entnervt fest.

Zum Beispiel wollen die Open-Teams wissen, warum bei Eugene Laverty (Power Electronics Aspar Honda Team) in Katar und bei Athinà Forward-Yamaha bei Stefan Bradl in Jerez beim Start zum Rennen der Safety-Reset-Algorithmus an der Marelli-ECU versagt hat.

Diese Fehlfunktion hatte schwerwiegende Folgen: Als die Fahrer vor der Aufwärmrunde am Startplatz die Motoren wieder in Gang setzen liessen, hatte die Motorsteuerung die Orientierung verloren, die Recovery-Strategie funktionierte nicht, dadurch stimmte die «corner by corner»-Programmierung der Traktionskontrolle nicht mit der Wirklichkeit überein, eine gefährliche und irritierende Angelegenheit. Dirk Debus: «Der Computer wusste nicht, wo auf der Strecke sich das Motorrad gerade befand.»

Kein Wunder, wenn auch Open-Class-Leader Héctor Barbera klipp und klar festhält: «Die Factory-Software, die ich 2012 bei Pramac-Ducati verwendet habe, war wesentlich fortschrittlicher und ausgeklügelter als die 2015-Open-Software von Marelli.»

Dabei experimentiert Marelli schon seit drei Jahren an dieser Motorsteuerung herum. Die Kritik wird immer lauter, der Unmut der Fahrer immer grösser.

Honda leistet sich ein eigenes Testteam, um die Open-ECU für die vier Open-Fahrer Hayden, Laverty, Miller und Abraham abzustimmen und zu erproben.

Umwerfende Fortschritte werden trotzdem nicht erzielt.

«Das ist ein Haufen Müll», sagte uns ein betroffener Honda-Fahrer in Le Mans mit der Bitte?, ihn möglichst nicht namentlich zu zitieren.

Und Jack Miller ergänzte: «Ich bin ja aus der Moto3-WM beim Thema Elektronik nicht verwöhnt. Aber ich habe das Gefühl, ich wäre ohne dieses Marelli-Zeug schneller. Ja, das 'corner by corner'-Set-up ist sehr mühsam. Beim Sepang-Test hätte mich eine Fehlfunktion des Systems einmal fast umgebracht. Das ist gefährlich.»

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