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Jerez: Mercedes vorne, Sebastian Vettel weckt Ferrari

Von Mathias Brunner
Typisch Jerez 2015: Felipe Nasr im Sauber vor Daniel Ricciardo im Red Bull Racing

Typisch Jerez 2015: Felipe Nasr im Sauber vor Daniel Ricciardo im Red Bull Racing

Was lernen wir aus den ersten Wintertestfahrten der Formel 1 in Jerez? Ein kleiner Rundgang von Team zu Team – mit allen Gewinnern und Verlierern.

Diese Platte ist seit Jahren ein Bestseller beim Wintertestbeginn der Formel 1: «Beim ersten Test bist du so sehr mit dem eigenen Auto beschäftigt, dass du kaum auf die Konkurrenz achtest», sagt James Key – Technikchef von Toro Rosso. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich wird natürlich nach links und nach rechts geschielt, und in den Werken werden längst Fotos der gegnerischen Rennwagen angeschaut und diskutiert.

Die Zeitenlisten von der andalusischen Rennstrecke sind mit grosser Vorsicht zu geniessen: Die Bestwerte der einzelnen Fahrer wurden zu unterschiedlichen Zeiten erzielt, mit verschiedenen Reifen, mit einer Spritlast, welche nur das Team kennt. Sauber-Techniker Paul Russell grinst: «Nur weil Felipe Nasr am dritten Testtag Bestzeit gefahren hat, sollte keiner von uns erwarten, dass wir in Australien ebenfalls an der Spitze auftauchen werden.»

Einige Teams sind mit einer Aerodynamik unterwegs, wie wir sie weitgehend in Australien am Start wiedersehen werden. Andere bringen beim nächsten Barcelona-Test frische Teile, weiter erst beim zweiten Barcelona-Test. Bei der letzten Winterprobe vor dem Melbourne-GP werden die meisten Rennställe erstmals mit fast leerem Tank auf die Bahn gehen. «Erst dann können wir zu erahnen beginnen, wo wir in Sachen Kräfteverhältnis ungefähr stehen», meint Sky-TV-Experte Marc Surer.

Einige Teams haben auch angekündigt: die Entwicklung ist so extrem, dass die letzten Teile für den Saisonbeginn erst zum ersten Training in Melbourne bereit sein werden.

Und doch lassen sich nach Jerez erste Tendenzen wittern, wie unser imaginärer Spaziergang durch die Boxengasse zeigt.

Mercedes: Wie sehr wird tiefgestapelt?

Die Laufleistung von Weltmeister Mercedes beim ersten Test ist überaus eindrucksvoll. Es ist banal, aber es gilt halt trotzdem: Wer beim ersten Test viel zum Fahren kommt, lernt am meisten über sein neues Auto. Wer hier weitgehend steht (wie McLaren-Honda oder Red Bull Racing), wird bei mehr Runden in Barcelona möglicherweise auf ganz neue Schwierigkeiten stossen. Und dann wird die Zeit verdammt knapp, um diese Kinderkrankheiten eines neuen Autos bis zum Saisonbeginn auszukurieren.

Mercedes ist nicht nur in Sachen zurückgelegter Kilometer vorzüglich aufgestellt. «Ich finde, der Wagen liegt mindestens so gut wie der letztjährige», stellt Weltmeister Lewis Hamilton fest.

Die Konkurrenz ist überzeugt: Mercedes hat in Jerez zu keinem Zeitpunkt aufgedeckt, wie schnell der neue Silberpfeil wirklich ist.

Ferrari: Sebastian Vettel lässt Ferrari träumen

So weit zum Thema, dass man nur aufs eigene Team achtet. Nico Rosberg sagt: «Die Zeiten von Ferrari habe bei uns einige Brauen in die Höhe gehen lassen.» Und auch der dreifache GP-Sieger Daniel Ricciardo meint: «Gut, wir wissen nicht, wieviel Sprit im Tank war, aber ich finde die Leistung von Ferrari in Jerez schon eindrucksvoll.»

Mehr noch als die Rundenzeit oder Laufleistung fällt die Einstellung bei Ferrari auf: es herrscht Aufbruchstimmung, Sebastian Vettel hat frischen Wind ins Team gebracht, und es war durchaus nicht nur ein Zeichen der Höflichkeit, dass ein Applaus durch die Ferrari-Box brandete, nachdem Vettel seine ersten beiden Testtage beendet hatte.

Kimi Räikkönen, nicht eben für vollmundige Ankündigungen bekannt, hält schlicht fest: «Das neue Auto ist jetzt schon besser als das alte zum Schluss der letzten Saison. Wir haben einige Probleme der vergangenen Saison aus der Welt geräumt.»

Im Gegensatz zum letztjährigen Ferrari spürt der Finne sein Auto viel besser, der Wagen läuft weitgehend standfest, ein vielversprechender Testbeginn des berühmtesten Rennstalls der Welt.

Red Bull Racing: Wieder Renault-Probleme

Die grössten beiden Probleme von Red Bull Racing in Spanien – ein menschliches und ein technisches. Das menschliche hiess Daniil Kvyat. Der Russe setzte während der Installationsrunde am Montag seinen Renner neben die Bahn. Das Team, wie alle Rennställe zu Beginn des Jahres knapp an Ersatzteilen, musste eine neue Nase einfliegen lassen, damit war ein Tag (also immerhin ein Zwölfter der Wintertests) beim Teufel. Ein Anfängerfehler von Kvyat, der schmerzt.

Das andere Problem: eine zu schwach dimensionierte Welle der Wasserpumpe. Gemäss Renault-Rennchef Cyril Abiteboul ist diese Schwachstelle bei Prüfstandsversuchen erst kurz vor dem Jerez-Test entdeckt worden, daher war keine Zeit mehr, für den ersten Wintertest stärkere Wellen nachzuliefern. Renault empfahl daraufhin seinen Partnern Red Bull Racing und Toro Rosso, mit der Laufleistung vorsichtig zu sein. Bei Renault gab es überdies ein Problem mit der Batterie. All diese Schwierigkeiten gehen laut Abiteboul auf die Bemühungen zurück, den Rückstand auf Mercedes zu verringern. «Wenn du aufholen willst, musst du Risiken eingehen. Und wenn du Risiken eingehst, dann steigt die Gefahr, dass etwas schiefgeht», sagt der Franzose.

Wie gut der neue Wagen von Daniel Ricciardo und Daniil Kvyat wirklich ist, wissen wir derzeit nicht.

McLaren-Honda: Der schlummernde Riese

Die Laufleistung von McLaren-Honda in Jerez war ein Schlag ins Gesicht. Aus der britisch-japanischen Seilschaft war jeden Tag zu vernehmen, man kenne die Probleme und morgen würde man mehr zum Fahren kommen. Die Rundenausbeute blieb dennoch mager.

Anzeichen von Panik sind nicht auszumachen. McLaren-Teamchef Eric Boullier beteuert: «Wir haben mit diesem Wagen kein konzeptionelles Problem, und es gibt auch mit der Architektur des Renners keine Schwierigkeiten.»

Fotografen, welche einen Blick auf das offene Heck des neuen Renners erhaschten, sprechen vom neuen Massstab in Sachen Einbettung einer Antriebseinheit. Schwarzmaler bleiben überzeugt, dass McLaren-Honda dabei wohl übers Ziel hinausgeschossen sei.

Fernando Alonso findet, dass der Wagen gut auf Veränderungen reagiert und sich stabil anfühlt. Es war in Jerez auffällig, welche gute Laune der Weltmeister von 2005 und 2006 verströmte.

Es ist leicht, sich angesichts der Schwierigkeiten über McLaren-Honda lustig zu machen. Teilweise bezahlen die beiden Partner nun jenes Lehrgeld, dass die Gegner schon vor einem Jahr hergeben mussten, als sie anfangs 2014 schmerzlich erfahren müssen – nicht alle Funktionen der V6-Turbos lassen sich auf dem Prüstand simulieren, beim Rüttelbetrieb im Auto treten ganz neue Schwierigkeiten auf.

McLaren-Honda ist uns in Andalusien vorgekommen wie ein Riese, der noch am Schlummern ist. Gnade der Konkurrenz, wenn er erwacht. Die Frage ist nur: Wann passiert das? In einem Monat? In zwei? In einem halben Jahr?

Sauber: Nicht nur die Farben machen Laune

Grau raus, Farbe rein – Sauber kommt dank den Hausfarben von Felipe Nasrs «Banco do Brasil» nicht nur bunter daher. Der Testbeginn 2015 ist mit der jämmerlichen Darbietung vor fast genau einem Jahr in Jerez nicht zu vergleichen, das lässt sich an jedem Gesicht in der Sauber-Box ablesen. Sauber ist rund neun Sekunden schneller als beim Jerez-Test 2014, damals brachten der Ferrari-Motor und die elektronisch gesteuerte Hinterradbremse die Sauber-Fahrer Adrian Sutil und Esteban Gutiérrez zur Verzweiflung.

Drei Tage lang tauchte ein Sauber-Renner immer unter den schnellsten zwei Autos auf, und die Schweizer sind nicht für Schaurunden bekannt. Die guten Zeiten sind vielmehr ein Anzeichen dafür, dass das neue Modell C34 gesund ist. Das wird auch von der Laufleistung unterstrichen. Sauber profitiert (wie das Werksteam) von den Fortschritten Ferraris mit der Antriebseinheit.

Der junge Nasr erfreut die Techniker mit Speed und technischem Sachverstand. Der Brasilianer sagt keck: «Wir hatten gute Läufe auf weichen Reifen, aber da kommt noch mehr. Uns ist auch klar, dass wir in Australien nicht so einfach auf den ersten Plätzen herumgeigen werden, aber unser Auto in Jerez so weit oben zu sehen, hat allen gut getan.»

Lotus: Gute Ansätze

Vor einem Jahr war Lotus der grosse Absteiger: zu später Testbeginn, von der Renault-Antriebseinheit genervt, das aerodynamische Konzept ein Fehlschlag. Lotus hat erneut mit Verspätung begonnen, dieses Mal jedoch musste der Jerez-Test nicht sausen gelassen werden.

Pastor Maldonado schöpft Hoffnung: «Der Wagen fühlt sich gut an, kein Vergleich zum Modell von 2014. Wir sind so viel zum Fahren gekommen und in Sachen Abstimmung gut unterwegs. Wir profitieren auch davon, dass wir einen standfesten Motor haben.»

Lotus will 2015 schaffen, was Williams vorgemacht hat – aus der Versenkung zum Podestanwärter zu werden. Ob das mit dem Modell E23 realistisch ist, wissen wir noch nicht. Aber in Jerez ist ein solider Beginn gelungen.

Toro Rosso: Die Jungen machen Freude

Der neue Toro Rosso STR10 ist das erste Auto, das komplett unter der Führung von Technikchef James Key entstanden ist. Der Wagen besticht durch ein hübsches, eng geschnittenes Heck und durch stattliche Standfestigkeit. Entgegen der Warnung von Cyril Abiteboul legte Carlos Sainz am Dienstag 136 Runden zurück.

Das Nachwuchsteam von Red Bull hat WM-Rang 5 im Visier. Dazu müssten (mit der WM-Tabelle 2014 als Gradmesser) McLaren-Honda, Force India, Sauber und Lotus geschlagen werden. Ob das mit zwei GP-Neulingen machbar ist?

Teamchef Franz Tost glaubt fest daran: «Unsere beiden Jungen machen uns viel Freude. Wie schnell sich Max Verstappen an neue Gegebenheiten anpasst, ist immer wieder verblüffend, und Carlos Sainz glänzt mit glasklaren Aussagen übers Auto. Auch wenn er noch keinen Grand Prix gefahren hat, so bringt er doch reichlich Erfahrung aus dem Monoposto-Sport mit, und das spürt man.»

Williams: Weltmeister im Tiefstapeln

Gegen Ende der Saison 2014 war Williams hinter Mercedes zweite Kraft. In Jerez arbeiten die Briten eher unauffällig. Einhellige Meinung der Gegner: Williams kann erheblich mehr als wir in Andalusien gesehen haben.

Valtteri Bottas, WM-Vierter 2014, spürt im Team «eine ganz andere Einstellung. Die guten Ergebnisse von 2014 führten dazu, dass wir mit viel Selbstvertrauen arbeiten. Wir wissen, dass wir gut sind.»

Wie sein Landsmann Räikkönen ist auch Bottas nicht als Aufschneider im Fahrerlager bekannt, daher sollten seine Worte aufhorchen lassen: «Wir wissen, dass wir ein Wörtchen um Pole-Positions und hoffentlich auch um Siege mitreden werden. Daher verzichten wir komplett auf schnelle Runden. Wir müssen nichts beweisen. Wir wollen vielmehr so viel als möglich übers Auto lernen. Nur wenn wir die Hausaufgaben machen und wir den Technikern im Werk so viele Daten als möglich geben, werden wir in Sachen Aerodynamik weiter zulegen. Wir haben in Jerez auch zu keinem Zeitpunkt das Letzte aus dem Motor geholt.»

Und auch die Worte von Felipe Massa sind eine Warnung für die Konkurrenz: «Der Wagen liegt stabiler als das Vorjahresmodell und lässt sich leichter fahren.»

Was das alles wert ist, werden wir am Abend des 1. März wissen – wenn die 2015er Wintertests zu Ende gehen.

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