Mit dem Ural-Gespann auf dem Landweg nach NYC

Kolumne von Thoralf Abgarjan
Die Zivilisation haben sie komplett hinter sich gelassen. Steppen, Flüsse, Moore und selbst Meeresengen werden bewältigt, die Ural-Gespanne kurzerhand zu Amphibienfahrzeugen umgebaut, Reparaturen selbst erledigt.

Sie hielten die Rallye Dakar immer für die härteste Prüfung für Mensch und Maschine? Sie meinten, die Hard-Enduro der 'Romaniacs' sei der einsamste Ritt durch Unterholz und Tiefschlamm, abseits planierter Feldwege?

Dann kennen Sie die Geschichte der fünf hallenser 'Uralisten' nicht! 

Bei ihrer Tour geht es nicht um Pokale oder Punkte. Bei ihrer Tour geht es weder um Ruhm oder Ehre, schon gar nicht ums Geld. Hier geht es ums nackte Durchkommen, abseits der Zivilisation, ohne Service-Wagen, ohne Handynetz oder Notrufnummernspeicher, ohne die sichere Aussicht auf irgendeine Tankstelle oder gar einen Pannendienst, ohne helfende KFZ-Werkstätten. Hier gibt es keinen doppelten Boden, keinen Krankenwagen, keinen Rettungshubschrauber, kein Spital.

Ich schreibe hier bewusst «Durchkommen», nicht «Überleben», obwohl das auch ein passendes Synonym wäre. Die Tour der 'Uralisten' nährt sich nämlich nicht aus der Faszination der Angst, die der Stoff von Dreifach-Backflips sind, wo jeder Beteiligte und Unbeteiligte weiß, dass es um Leben und Tod geht. Hier geht es um Menschen und deren Einfallsreichtum, um Natur und Technik. Es geht um gelebte Kreativität.

Auf dem Weg ins «nowhere»
Anne Knödler, Elisabeth Oertel, Efy Zeniou, Kaupo Holmberg und Johannes Fötsch sind Absolventen der Kunsthochschule Halle (Saale). Sie sind aufgebrochen, um «die Komfortzone zu verlassen», um sich selbst ein Bild über Land und Leute zu verschaffen.

Mit dem Bike über 3 Kontinente
30.000 Kilometer fahren sie in 3 Etappen mit 5 alten Ural-Gespannen, Ur-Viecher aus den 1990er Jahren. Ihnen wird wahre Wildnis begegnen, Sümpfe in denen sie bis zum Luftfilterkasten versinken, Brücken, die seit 20 Jahren nicht mehr befahren werden. Sie werden in Flüssen, die keine Brücken kennen, ihren Beiwagen fluten.

«Wir suchten nach der Erfahrung aus erster Hand», antwortet Elisabeth Oertel auf die Frage nach dem Sinn des Unterfangens.

Offroad-Saurier: Das archaische Ural-Gespann
Aber warum haben sich die Abenteurer ausgerechnet für die archaischen Ural-Gespanne als Fortbewegungsmittel entschieden? «Diese Motorräder sind bis heute in Russland, Zentral-Asien und in der Mongolei weit verbreitet. Es ist das einzige Motorrad, für das auf dieser Route Ersatzteile zu beschaffen sind.»

Die Ural-Motorräder wurden im zweiten Weltkrieg als unverwüstliches Fortbewegungsmittel für die Sowjetarmee gebaut und werden - nur leicht modifiziert und modernisiert - bis heute in Irbit im Ost-Ural hergestellt. Zwischenzeitlich werden die Offroad-Dinosaurier überwiegend nach Westeuropa, die Schweiz und in die USA exportiert.

Denn Ural-Gespanne sind mittlerweile auch im Westen und in den USA voll im Trend: Ausgestattet mit Brembo-Scheibenbremsen, E-Starter, zuschaltbarem Dreiradantrieb und der Einhaltung europäischer Abgas- und Geräuschpegelnormen sind sie nicht nur für Bastelfreaks interessant - lange vor dem Retro-Lifestyle-Juppie-Trend a la 'Faster Sons'. Ural will nicht 'retro' sein. Ural IST retro. Aber, man muss sie sich schlicht auch leisten können. Ein großes Problem für die 5 jungen Studenten. «Wir suchten deshalb gezielt nach alten Modellen», erzählt Elisabeth weiter, «denn nur diese sind dort noch in Betrieb.»

Diese Überlegung ging auf. Die Gespanne sind nicht schnell. Aber schnell ist relativ: Die Vehikel sind auf der Autobahn genauso schnell oder eben langsam wie in der Steppe Kasachstans. Dabei geht gern auch mal etwas kaputt, aber es gibt kaum einen Defekt, den die Abenteurer nicht mit Eigenmitteln reparieren konnten, sofern sie das eine oder andere Ersatzteil beschaffen konnten. «Es war schon interessant zu sehen, wie in der Mongolei hinter jeder Jurte eine Ural steht und dass selbst dort Ersatzteile zu beschaffen waren. Außerdem kannten sich die Leute bestens mit dem Gerät aus. Es war auch faszinierend, dass es in Kasachstan im Tante-Emma-Laden neben Waschmittel, Käse und Konserven auch Kolbenringe, Bowdenzüge und Kopfdichtungen für die Ural gibt», erzählt Elisabeth Oertel.

Hilfsbereitschaft und 'Russisch Roulette'
Russland ist das Land der Gegensätze: Sensible Gefühlstiefe trifft auf äußerste Brutalität, weiche Nächstenliebe auf knallharte Ellenbogenmentalität, soziales Engagement auf ultra-egoistisches Oligarchentum. Diese Widersprüchlichkeit spiegelt sich auch auf den Straßen (oder was sich dort so Straße nennt) und Wegen wieder. Hier gibt es nur eine Regel: Das Gesetz des Stärkeren. So wurde auch ein Gespann von einem nachfolgenden Jeep förmlich niedergemäht. Es überschlug sich, Pilot und Beifahrer wurden brutal aus ihrem Gefährt auf die Straße katapultiert. Der Verursacher fuhr selbstverständlich einfach weiter, ohne Hilfe zu leisten. Die nachfolgenden Fahrzeuge ebenfalls. Sie identifizierten das Wrack und die herumliegenden Insassen nur als lästiges Hindernis. Die Schutzengel der beiden hatten an diesem Tag aber eine Sonderschicht eingelegt: «Zum Glück war die Ural voll beladen, so dass der Überschlag recht träge war und wir mit Schürfwunden davonkamen», erinnert sich Johannes.

Der Straßenverkehr Russlands ist und bleibt ein brutales Schlachtfeld, ganz im Gegensatz zur Gastfreundschaft und Wärme abseits der 'Straßen'. Die Ural-Offroad-Gespanne sorgten bei ihrer Reise auch für eine wesentliche zusätzliche Facette: «Es war interessant zu erleben, welche Hilfsbereitschaft wir auf der Tour von den Menschen erfahren haben, denn wir hatten natürlich sehr viele Probleme mit unseren Motorrädern. Diese waren nicht nur technischer Art: Mit einem 400kg-Gespann sinkst du im Schlamm ziemlich tief ein», schmunzelt Elisabeth.

Erste Etappe: Georgien
Tausende von Kilometern fuhren die Uralisten auf ihrer ersten Etappe von Halle (Saale) über den Balkan in die Türkei bis nach Georgien. Im September 2014 gab es den Begriff 'Balkanroute' noch nicht. Etappe 2 führte sie über den Kaukasus, Kasachstan, die Mongolei, Kirgisien bis Sibirien.

Die kreativen Freigeister aus Halle waren aber keine versierten Motorradfahrer, teilweise sogar Fahranfänger: «Einige von uns hatten gerade erst den Führerschein gemacht. Von Motorrädern hatten wir absolut keine Ahnung. Wir mussten uns alles selbst beibringen. Einige von uns hatten allerdings früher schon versucht, mit dem Simson-Moped bis nach Indien zu kommen.»

Das Gefühl von Weite
Elisabeth Oertel erinnert sich an die Tour durch die kasachischen Steppen: «Auch wenn einem die unendlichen Weiten Kasachstans, der Mongolei und Sibiriens ein Gefühl für Entfernungen vermitteln, fand ich trotzdem, dass unsere Erde doch ziemlich klein ist.»

Etappe 3: Auf dem 'Landweg' von Russland in die USA
Die letzte Etappe führt nun von Russland über Alaska, Canada, Nordamerika bis nach New-York. Wie aber kommt man auf dem Landweg von Russland nach Alaska? Das geht nicht. Zwischen Russland und Alaska liegt die 'Beringstraße'. Die Beringstraße ist kein Weg, schon gar keine 'Straße'. Es ist die Meerenge, wo die Küsten Russlands und die der USA 'nur' 150 km weit entfernt sind. Die USA erwarben das Gebiet von Alaska im Jahre 1867 vom Russischen Kaiserreich. Erst 1959 wurde Alaska zum 49. US-Bundesstaat der Vereinigten Staaten erklärt.

«Geht nicht - gibts nicht»
Die hallenser Uralisten nutzten die letzte Winterpause im kanadischen Vancouver, die leere Reisekasse durch Jobs aufzufüllen. Sie arbeiteten im Winter auf dem Bau, in Boutiquen und als Haushälterin. Sie nutzten die Winterpause, die Ural-Gespanne zu warten und zu selbstfahrenden Amphibienfahrzeugen umzurüsten. Das Konzept tüftelten die Kreativen selbst aus: An die Kardan-Antriebswelle wurde ein Ritzel angebaut, das über eine Motorradkette die Antriebswelle des Wasserpropellers im Kraftschluss verbindet. Die Gespanne selbst wurden auf jeweils 2 Pontons montiert, dazwischen thront das Ural-Gespann und treibt mit seinem luftgekühlten Boxermotor das Amphibienfahrzeug auf dem Wasser an.

«Francis Lamotte hat versucht, mit seiner KTM den Ärmelkanal zu überschwimmen», erzählt Johannes Fötsch. «Leider ist seine Maschine dabei in Brand geraten und gesunken. Ich habe über das Projekt einiges gelesen und mir dann die Sache mit den Pontons überlegt.»

Und es funktionierte. Alle Gespanne haben die Tests in Kanada erfolgreich bestanden.

Über Flüsse und Moore
Von Magadan geht es jetzt auf dem sibirischen Kolyma-Strom, also im Wasser, in Richtung Nord-Osten. Für die schwimmende Zwischenetappe sind ca. 20 Tage eingeplant. «Da wir mit der Strömung fahren, sind uns 10 km/h Strömungsgeschwindigkeit schon einmal sicher», grinst Johannes. «Wenn wir in Tscherski ankommen, rüsten wir unsere Bikes wieder auf Straße um und machen uns auf den Weg nach Anadyr.»

2000 km zum Polarkreis
Wenn Sie die Route von Tscherski nach Anadyr in Google-Maps eintragen, gibt es weder eine Auto- noch eine Fußweg-Verbindung. Als Ergebnis zeigt Ihnen Google den Luftweg an: Ein Tag Flugreise! Etwa 2000 km Piste liegen vor den Uralisten, dazu eine Menge Flüsse und viel, viel Moor.

Unzugänglichkeit ist kein Hindernis
Der Kolyma Fluss befindet sich abgelegen im östlichsten Zipfel des Fernen Ostens Russlands und ist unzugänglich für die meisten Vehikel. Das hat einen ganz einfachen Grund: Es gibt dort keine Straßen! 250 Tage im Jahr ist der Fluss zugefroren. Das Eis wird zur 'Straße'. Aber bei Minus-50 Grad ist ans Fahren trotzdem nicht zu denken!

Schwimmend zum Ziel
«Wir werden das dreimonatige Tauwetter des Sommers nutzen und mit unseren schwimmenden Ural Motorrädern runterfahren. Der Geschmack unzähliger Pannen der letzten beiden Etappen durch Europa, die Türkei, Georgien, Kasachstan, die Mongolei und den Fernen Osten Russlands wird uns noch lange im Mund kleben. Es wird nicht einfach, wir werden fluchen, schrauben, Probleme lösen aber auch viel lachen und erneut um eine unbezahlbare Erfahrung reicher sein. Wir wollen diesen Fluss runter schwimmen. Wir machen das! Wir wagen den Ausflug in eine der unbekanntesten Gegenden der Welt.»

Im Juli am Polarkreis
In diesem Monat, im Juli, soll nun der Polarkreis erreicht werden. Die beste Zeit, diesen zu überqueren. Sollte es gelingen, bis Ende Juli in Anadyr zu sein, wird es sofort weiter in Richtung Beringstraße gehen, wenn die Verfassung der Maschinen eine Weiterfahrt erlaubt.

Danach geht es 'straihgt' in Richtung New York.

Unterstützung notwendig
Durch das Crowdfunding auf der Plattform Indiegogo haben die Uralisten vor 1.5 Jahren den Grundstein dieser einzigartigen Expedition gelegt.

«Damit sich diesmal unser Propeller dreht und wir dieses Projekt umsetzten können, haben wir eine monatliche Crowdfunding Kampagne auf der Plattform Patreon eingerichtet. Als Gegenleistung können potentielle Unterstützer einzigartige Schmankerl von unterwegs erhalten.»

Wir werden die Expedition der Offroad-Gespanne weiter gespannt verfolgen!

Im Herbst wollen die Uralisten New-York-City erreicht haben. Auf der Internetseite www.leavinghomefunktion.com können Sie die Biker aus Halle (Saale) auf ihrer Reise verfolgen.

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