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Fabio Quartararo: Vom Zauberlehrling zum Weltmeister

Von Günther Wiesinger
Schon mit 14 Jahren galt Fabio Quartararo als neuer Marc Márquez. Aber in den kleinen WM-Klassen blieb er einiges schuldig. Erst auf der MotoGP-Yamaha entfaltete er sein unfassbares Können zur Perfektion.

Der Sturz von Pecco Bagnaia in der 23. Runde des Emiglia-Romagna-GP brachte die Entscheidung: Fabio Quartararo, mit 52 Punkten Vorsprung in dieses drittletzte Rennen gegangen, ist MotoGP-Weltmeister 2022! Der Franzose hatte die Saison 2020 schon furios mit zwei Siegen im Juli in Jerez gewonnen, dann noch ein dritten Sieg in Catalunya geschafft, aber keinen weiteren Podestplatz mehr in 14 Rennen, deshalb rutschte er damals in der WM auf den 8. Platz zurück. Am Ende fehlen im 44 Punkte zum neuen World Champion Joan Mir (Suzuki).

Der 22-jährige Quartararo wurde danach für die Saison 2021 ins Monster Yamaha Factory Team befördert und übernahm bereits beim zweiten WM-Lauf in Katar die WM-Führung. Er vollführte eine fehlerlose Saison, nicht einmal der kaputte Reißverschluss in Barcelona brachte ihn aus dem Konzept. Der Yamaha-Star heimste einen Podestplatz nach dem andern ein, bisher sind es zehn in diesem Jahr, und er startete bei 16 Rennen 13 mal aus der ersten Reihe. Selbst nach einem verpatzten Training (15. Startplatz!) wie hier in Misano stürmte er heute noch auf den vierten Platz. 

Damit ist Yamaha der erste Fahrer-WM-Titel in der MotoGP seit 2015 (mit Jorge Lorenzo) nicht mehr zu nehmen. Und Frankreich freut sich über den ersten Weltmeister in der «premier class» in der Geschichte des Motorrad-GP-Sports, die 1949 beginnen hat.

Der zweifache Weltmeister Dieter Braun brachte es im Frühjahr auf den Punkt. «Fabio ist so schnell wie Marc Márquez, aber er stürzt viel weniger.»

Dabei hatte «El Diablo» in den Klassen Moto3 und Moto2 nur einen GP-Sieg errungen!

Wenn man erforschen will, warum Fabio Quartartaro nach dem zweifachen Gewinn der CEV Repsol-Moto3 Championship mit 14 und 15 Jahren in der Weltmeisterschaft 2015 und danach die hohen Ansprüche nicht erfüllte, stößt man auf mehrere Ursachen. Nach den ersten Rückschlägen in der Moto3-WM suchte Fabio nach Erklärungen und Ausreden, er fiel bei Teamchef Emilio Alzamora in Ungnade; in der Moto2 bei Sito Pons war es nicht anders.

Heute weiß man: Zauberlehrling Quartararo wurde nicht umsonst schon 2015 als «der neue Márquez» bezeichnet. Sein Vater Etienne hat beim Aufbau des Sohnes viel richtig gemacht, denn er hat nicht auf die Unterstützung des französischen Verbands FFM vertraut, sondern den Junior schon mit sieben Jahren nach Spanien befördert, wo dieser alle Nachwuchsserien bestritt und dominierte.

Etienne war selbst 1981 französischer 125-ccm-Meister auf Morbidelli, er verfügte über ein nützliches Basiswissen.

Doch die Erwartungshaltung war gewaltig, bei Honda und beim Estrella Galicia 0,0-Honda-Team, wo vorher Alex Rins und Alex Márquez um den Titel gekämpft hatten. Mit kaum 16 Jahren konnte Fabio diese Ansprüche nicht auf Anhieb und überall erfüllen. Als er beim Le-Mans-GP 2015 nach der Pole-Position klagte, sein Motor sei nicht so kraftvoll wie jener des Teamkollegen Jorge Navarro, fiel er bei Alzamora in Ungnade. Das Verhältnis zum Teamchef bröckelte, das machte dem Jüngling arg zu schaffen. Dazu kam ein Knöchelbruch in Misano, Fabio musste auf einige Rennen verzichten, die Saison verlief alles andere als wunschgemäß.
Trotzdem gab es immer wieder fahrerische Highlights, zum Beispiel in Assen und Indianapolis.

Vater Etienne erlag für 2016 wohl dem Lockruf des Leopard-Geldes. Fabio wurde bei Leopard-Honda-Teamkollege des überragenden Weltmeister Joan Mir.

Wer damals nach den Gründen für die nicht gerade überragende Performance des Ausnahmekönners forschte, bekam zu hören: Vater Etienne sorgte häufig für Unruhe, Fabio könne sich nicht konzentrieren, der frühe Erfolg sei ihm in den Kopf gestiegen, er ändere seine Meinung beinahe stündlich. Es war aber auch der Druck von HRC, der dem jungen Franzosen zu schaffen machte, Honda hatte große Pläne mit ihm, die jedoch im Sande verliefen.

Nach dem Reinfall mit Leopard, wo Technikchef Christan Lundberg von einem Desaster sprach, wurde Quartararo vom zweifachen 250-ccm-Weltmeister Sito Pons für die Moto2-WM 2017 unter die Fittiche genommen. Es war von einem Drei-Jahres-Vertrag für die Moto2-WM die Rede.

Doch auch bei Pons fand der Franzose nicht die gewünschte Nestwärme. Er klagte eine Weile lang, er müsse mit einem verbogenen Chassis fahren. Der sparsame Pons hatte damals nicht genug Sponsoren, seine spanischen Geldgeber bevorzugten spanische Fahrer. Auch der berühmte Crew-Chief Santi Mulero konnte nicht das Maximum aus Fabio Quartararo herauskitzeln.

Am Saisonende trennten sich die Wege, der Drei-Jahres-Vertrag wurde aufgelöst. Speed-up-Teambesitzer Luca Boscoscuro schenkte Fabio für 2018 das nötige Vertrauen, hier fand er die gewünschte familiäre Atmosphäre, die ihn jetzt auch bei Petronas-Yamaha umweht und beflügelt. Der Moto2-Fahrer siegte in Catalunya, schaffte Platz 2 in Assen, bekam dann den Yamaha-Vertrag und siegte in Motegi 2018 noch einmal. Doch dieser Sieg wurde gestrichen, weil sein Hinterreifen nach dem Rennen nicht 1,5 bar Luftdruck hatte, sondern 0,05 bar zu wenig.

Fabio gewann an Reife

2019 im ersten MotoGP-Jahr bei Petronas-Yamaha wurde deutlich: Mit 20 Jahren hatte Quartararo stark an Reife gewonnen, sein überragendes fahrerisches Talent ist sowieso nie in Frage gestellt worden. Dazu wirkte er als MotoGP-Pilot immer freundlich, ansprechbar, unkompliziert, für sein Alter sehr erwachsen, sehr abgeklärt.

Seit bald drei Jahren sorgt der Wunderknabe aus Frankreich, den sie bereits «Fast Fabio» nennen und der auf der Rückseite seines Leders «El Diablo» stehen hat, mit seiner Yamaha Woche für Woche für Aufsehen.

2019 schüttelte er als Rookie bereits eine Trainingsbestzeit nach der andern aus dem Ärmel, er kassierte fünf zweite und zwei dritte Plätze ein. Der erste MotoGP-Sieg klappte nicht, denn mit der privaten Gebraucht-Yamaha durfte er bis Oktober seinen M1-Motor um 500/min weniger drehen als die Fahrer aus dem Werksteam.

Das geschah aus Kostengründen, damit das Petronas-Team mit nur fünf statt der erlaubten sieben Motoren über die Saison kommen konnte. Erst im Oktober wurde diese Vorgabe gestrichen, weil inzwischen alle anderen Werke bei Quarararo-Manager Eric Mahé Schlange standen und an die Tür klopften. Und Yamaha wollte den Zauberlehrling Fabio um jeden Preis bei der Stange halten.

Razali: «Fabio ist einfach etwas Besonderes»

Razlan Razali, Teamprinzipal bei Petronas Yamaha, war von seinem Schützling von Anfang an hingerissen. «Dieser Junge ist einfach etwas Besonderes… Mit 20 Jahren und als Rookie in der MotoGP hat er uns 2019 gleich sechs Pole-Positions und sieben Podestplätze beschert», frohlockte Razali.

Der erhoffte GP-Sieg 2019 blieb zwar aus, Márquez war zu überragend. «Auf den Power-Strecken wie Brünn oder Spielberg hatte Fabio keine Chance gegen Marc. «Wir haben dann auf einen Sieg in Misano gehofft, aber knapp verloren», seufzte Razali damals.

Ausgerechnet in Misano feierte Fabio heute den größten Triumph seiner Karriere. 2019 unterlag er Márquez hier um 0,903 sec.

Der Malaysier Razali ging im Sommer 2018 Jahr ein enormes Risiko ein, als er Fabio neben Franky Morbidelli für die M1-Yamaha verpflichtete.

Viele Journalisten verstanden nicht, warum er nicht Pedrosa, Lorenzo oder Bradley Smith nahm. Aber Dani wollte keine Rennen mehr fahren, Lorenzo hatte bei HRC ein besseres Angebot, Smith hat seine Chance bei Yamaha schon vier Jahre lang gehabt – von 2013 bis 2016 beim Tech3-Team.

Übrigens: Nach dem Mugello-GP 2019, bei dem er «nur» auf Platz 10 landete, entschloss sich Fabio zu einer «arm pump»-Operation. Seither hat er das Podest quasi gepachtet. Nach Platz 2 in Assen kühlte er das Handgelenk noch mit einem Eisbeutel.

Auch nach dem Jerez-GP 2021 musste sich Quartararo einer Arm-Pump-Operation unterziehen. 

Fabios italienischer Crew-Chief Diego Gubellini, er war 20 Jahre bei Gresini Racing, zeigte sich von den Fähigkeiten seines Schützlings von Anfang an hellauf begeistert. «Mein Junge hat ein heldenhaftes Rennen abgeliefert», frohlockte der Italiener nach so manchem Podestplatz im ersten MotoGP-Jahr .

Für 2020 wurde an der Rennpace gearbeitet, das klappte schon beim Sepang-Test im Februar vor der Pandemie vorzüglich, Fabio ging voller Zuversicht in die Saison.

Am Abend nach dem Sepang-Test wirkte Gubellini zuversichtlich und zufrieden. «Fabio ist am Samstag beim ersten Testtag mit der 2020-Werks-Yamaha bald gut zurechtgekommen. Und er hat sich jetzt auch in der Rennpace gesteigert. Gegenüber dem Malaysia-GP 2019 um bis zu fünf Zehntelsekunden.»

Beim Argentinien-GP 2019 erzählte Teammanager Wilco Zeelenberg noch: «Wir haben Fabio den ganzen Winter darauf vorbereitet, dass er sich als Rookie in der ersten Saisonhälfte mit den letzten Plätzen in diesem starken Feld abfinden muss.»

Jetzt hat Fabio bereits acht MotoGP-Siege für Yamaha auf seinem Konto, so viele brachte Maverick Viñales in 4,5 Jahren im Werksteam zusammen.

MotoGP-Ergebnis, Misano (24. Oktober):

1. Marc Márquez, Honda, 27 Runden in 41:52,830 min
2. Pol Espargaró, Honda, + 4,859 sec
3. Bastianini, Ducati, + 12,013
4. Quartararo, Yamaha, + 12,775
5. Zarco, Ducati, + 16,458
6. Rins, Suzuki, + 17,669
7. Aleix Espargaró, Aprilia, + 18,468
8. Viñales, Aprilia, + 18,607
9. Marini, Ducati, + 25,417
10. Rossi, Yamaha, + 27,735
11. Binder, KTM, + 27,879
12. Pirro, Ducati, + 28,137
13. Dovizioso, Yamaha, + 41,413
14. Morbidelli, Yamaha, + 42,830
15. Nakagami, Honda, + 1:22,462

Stand Fahrer-WM nach 16 von 18 Rennen:

1. Quartararo 267 Punkte (Weltmeister). 2. Bagnaia 202. 3. Mir 175. 4. Zarco 152. 5. Miller 149. 6. Marc Márquez 142. 7. Binder 136. 8. Aleix Espargaró 113. 9. Viñales 106. 10. Oliveira 92. 11. Rins 91. 12. Pol Espargaró 90. 13. Bastianini 87. 14. Martin 82. 15. Nakagami 71. 16. Alex Márquez 54. 17. Morbidelli 42. 18. Lecuona 38. 19. Petrucci 37. 20. Marini 37. 21. Rossi 35. 22. Bradl 13. 23. Pirro 12. 24. Pedrosa 6. 25. Dovizioso 6. 26. Savadori 4. 27. Rabat 1.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati 307 Punkte 2. Yamaha 295. 3. Suzuki 207. 4. Honda 198. 5. KTM 190. 6. Aprilia 114.

Team-WM:

1. Ducati Lenovo 364. 2. Monster Energy Yamaha 351 Punkte. 3. Suzuki Ecstar 266. 4. Repsol-Honda 239. 5. Pramac Racing 238. 6. Red Bull KTM Factory Racing 228. 7. Aprilia Racing Team Gresini 128. 8. LCR Honda 125. 9. Esponsorama Racing 124. 10. Petronas Yamaha SRT 81. 11. Tech3 KTM Factory Racing 75.

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