Morddrohungen wegen Alonso-Strafe

Fazit Schweden: Stellt euch nicht so an!

Kolumne von Christian Schön
Winter-Wonderland Schweden – schön fürs Auge, Problem für manche Fahrer

Winter-Wonderland Schweden – schön fürs Auge, Problem für manche Fahrer

Der überaus spannende Verlauf der Rallye wurde von lautstarken Diskussionen um die Startreihenfolge überschattet. Leider.

Sébastien Ogier und noch viel mehr Ott Tänak spuckten Gift und Galle im Ziel der Wertungsprüfung 6. Während sich der Weltmeister mit dem Kommentar «Das ist ein Witz» noch französisch vornehm zurückhielt, ließ der Este die Organisatoren der Rallye Schweden sinngemäß wissen: «Ihr könnt mich mal!»

Später entschuldigte sich Tänak für seinen Wutausbruch. Dennoch spitzte sich an der Kontrolle nach dieser Prüfung das Theater zu, das am ganzen Wochenende immer wieder hoch kochte: die Diskussion um die Startreihenfolge.

Kurz ein Blick auf die Gesamtsituation, mit der Ogier und Tänak hörbar unzufrieden waren. Zum ersten Mal seit Jahren war die Rallye Schweden wieder von Schneefällen begleitet. Der auf der vereisten Piste aufliegende Neuschnee hindert die Spike-Reifen der Rallyeautos daran, ihre Nägel in den hart gefrorenen Untergrund zu krallen. Erst wenn eine Spur frei gefahren war, arbeiten die mit jeweils 384 Nägeln versehenen Reifen optimal. Ein Riesen-Nachteil für die an der Spitze des Feldes startenden Fahrer.

Die Organisatoren der Rallye Schweden versuchten, die Verhältnisse einigermaßen fair zu gestalten, indem sie jede Prüfung kurz vor dem Start mit einem Schneepflug räumten. Das hatte bei jener WP 6 nicht ganz geklappt. Weswegen Ogier und Tänak – in der Startreihenfolge der Erste und der Zweite – noch mehr Zeit verloren und entsprechend angefressen waren und sogar Verrat witterten.

Ogier, Tänak und in geringerem Maße Jari-Matti Latvala – also die ersten Drei der Rallye Monte Carlo – waren in Schweden klar benachteiligt. «Das ist unfair», lamentierte Ogier bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Stimmt. Was aber Ogier und Tänak übersahen: Eine andere Startreihenfolge hätte automatisch einen Konkurrenten benachteiligt. Irgendjemand ist immer der Dumme. Außerdem: Hätte es, wie in den vergangenen Jahren, nicht geschneit, wären Ogier, Tänak und Latvala im Vorteil gewesen. Dann nämlich wäre die Piste mit jedem Auto schlechter geworden.

Was ich damit sagen will: So ist halt der Rallyesport. Hier kommen nun einmal mehr äußere Faktoren ins Spiel, als in der Formel 1. Also genau das, was Rallyefans – und natürlich auch die Fahrer – immer so viel toller finden als am seelenlosen Rundstreckensport.

Mein Fazit: Ogier und Tänak sollen sich nicht so anstellen!

Das Dilemma der Startreihenfolge lässt sich leider nicht zu 100 Prozent perfekt lösen. Qualifying beim Shakedown? Hatten wir schon. Ist wieder abgeschafft worden, weil in der Praxis fast immer dieselben – sprich: die besten – Fahrer die besten Startpositionen bekamen. Der Veranstalter legt die Startpositionen fest? Gab’s früher mal. Hat dazu geführt, dass «zufällig» den Lokalhelden die besten Startpositionen zugeschustert wurden. Auch nicht gerade fair.

Noch halbwegs optimal wäre das Auslosen der Startpositionen. Dann hätte jeder irgendwann einmal Glück oder Pech. Aber davon halten die Fahrer nichts, die – oh Wunder – natürlich vorrangig ihren eigenen Vorteil im Blick haben.

Die schlechte Nachricht: Bei der anstehenden Rallye Mexiko wird die Situation ähnlich sein, nur halt auf Schotter. Die gute: Der neue Tabellenführer Thierry Neuville, zumindest während der ersten Etappe also der «Straßenkehrer vom Dienst», hat versprochen, die Sache sportlich zu sehen. «So ist das halt, wenn man WM-Spitzenreiter ist», sagte der Belgier. «Der Sieg ist in Mexiko kein Thema für mich. Aber hoffentlich bleibe ich Tabellenführer.»

Dann nämlich hätte Neuville bei der folgenden Rallye auf korsischem Asphalt einen deutlichen Vorteil. Hut ab, Thierry. Ich wünsche mir, einige Deiner Kollegen aus der Riege der Werksfahrer würden ähnlich denken.

Apropos unfair. Noch einmal flammten hitzige Diskussionen auf, als M-Sport/Ford vor der «Powerstage» ganz tief in die Trickkiste griff. Ogier, eigentlich Vierter in der Startreihenfolge, checkte 25 Minuten zu spät an der Zeitkontrolle vor dem WP-Start ein, fuhr schließlich als Sechzehnter. Dadurch fand er wesentlich bessere Streckenverhältnisse vor. «Ich war überrascht, wie viel Grip man hier haben kann», meinte der Franzose scheinheilig und fuhr prompt die zweitschnellste Zeit. Machte vier Extra-Punkte von der «Powerstage».

Durch die fällige Zeitstrafe fiel Ogier aber von Rang zehn auf elf zurück, hätte also einen weiteren WM-Punkt verschenkt. Aber auch das hatte M-Sport im Griff. Teamkollege Elfyn Evans, eigentlich Elfter, stempelte an der nächsten Zeitkontrolle einfach 26 Minuten zu spät. Dadurch war die alte Reihenfolge wieder hergestellt.

«Sehr clever», urteilte Thierry Neuville. «Gehört verboten», wetterte Beifahrer Seb Marshall. Fakt ist: Ogier beziehungsweise Evans haben keine Regeln gebrochen. Möglicherweise entscheiden diese  vier Punkte am Saisonende über den Titel.

Genau solche Tricksereien waren früher im Rallyesport an der Tagesordnung. Damit haben sich gute von schlechten Beifahrern unterschieden. Außerdem sind solche Schachzüge Teil des Mythos Rallyesport. So wurden schon Rallyes gewonnen, oder aber verloren.

In den Zeiten von Live-Übertragungen in Fernsehen und Internet sowie sekundenschneller Bekanntgabe von Ergebnissen im Internet ist ein solcher Vorgang natürlich problematisch. Aber diesen Vorwurf müssen sich die Macher des Reglements gefallen lassen, sonst niemand.

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