Fazit Spanien: «Silly season» ist noch untertrieben
Seltener Anfall von Emotionen – Weltmeister Ott Tänak in den Armen von Beifahrer Martin Järveoja
Ott Tänak ist Weltmeister, und er hat den Titel mehr als verdient. Damit geht eine der spannendsten Saisons in der Geschichte der Rallye-WM zu Ende.
Hinter den Kulissen ging’s beim vorletzten WM-Lauf in Spanien allerdings zu, als hätten einige der Beteiligten einen kräftigen Zug aus den verdächtig aussehenden und riechenden «Zigaretten» genommen, die sich wie gewohnt großer Beliebtheit unter den jungen Fans entlang der Prüfungen erfreuten. Eine Rallye vor Saisonschluss nahm die «silly season» noch einmal richtig Fahrt auf.
Im Mittelpunkt: die Zukunft von Champion Tänak. Bleibt er bei Toyota? Oder geht er zu Hyundai? Beinahe im Stundentakt tauchten neue Gerüchte auf. Tänak bleibt bei Toyota, weil er ab 2020 deutlich mehr verdienen wird. Er geht zu Hyundai, weil er sich mit Toyota-Teamchef Tommi Mäkinen – oder vielleicht mehr mit dessen in die Organisation eingebundener Lebensgefährtin Mia – überworfen hat? Weil er trotz Titel keine Garantie auf den Status als Nummer-1-Fahrer bekommen soll? Weil MM Motorsport, die gemeinsame Firma von Tänak und seinem Berater Markko Märtin, nicht den Job bekommt, den Toyota Yaris R5 zu entwickeln?
Wie auch immer die Antwort aussehen wird, weder das Management von Tänak noch die Teamleitungen von Toyota und Hyundai haben sich bei der Behandlung dieses Themas mit Ruhm bekleckert. Tommi Mäkinen und Hyundai-Boss Andrea Adamo heizten die Gerüchteküche mit zweideutigen Aussagen ebenso an wie Geschäftsmann Oleg Gross, ein langjähriger Förderer von Tänak, der in der estnischen Presse zu Wort kam.
Die beste Reaktion kam von der derzeitigen Nummer 1 bei Hyundai. «Soll er nur kommen. In identischen Autos habe ich noch jeden Teamkollegen im Griff gehabt», sagte Thierry Neuville. Dazu könnte nicht nur der neunmalige Weltmeister Sébastien Loeb was erzählen.
Und als ob das noch nicht genug Theater gewesen wäre, sorgten Spekulationen um die Zukunft von Sébastien Ogier für zusätzliche Aufregung. Auslöser war ein – freundlich ausgedrückt – unprofessioneller Tweet von Andrea Kaiser, Ehefrau des gerade entthronten Champs.
Als die Servolenkung von Ogiers Citroën während der ersten Etappe versagte und er dadurch endgültig alle Chancen auf den siebten Titel verlor, beschimpfte Kaiser – als Fernsehmoderatorin immerhin selbst eine öffentliche Person – den Arbeitgeber ihres Gatten auf üble Weise auf Twitter. Ogier selbst verteidigte ihren Kommentar sogar noch.
Woraus die in Spanien versammelten Verschwörungstheoretiker sofort schlossen, dass Ogier mit dem Thema Citroën bereits abgeschlossen habe. Er wechselt zu Toyota, um den von Tänak geräumten Platz zu besetzen, so die Vermutung.
Als Indiz wurde dabei nicht nur Kaisers unsäglicher Tweet gewertet, sondern auch die zunächst unerklärlich scheinenden Testfahrten von Citroën im Vorfeld der Rallye Spanien. Dabei hatten die Franzosen in aller Öffentlichkeit eine spektakuläre neue Aerodynamik für den C3 WRC getestet.
Da diese aufgrund der Homologationsbestimmungen aber frühestens 2020 eingesetzt werden kann, sorgte zumindest der Termin der Testfahrten und die damit verbundene Vergeudung wertvoller Testzeit für Rätsel. Eine mögliche Auflösung: Citroën wollte mit allen Mitteln Ogier davon überzeugen, dass es 2020 besser laufen wird als in der zu Ende gehenden Saison. Um den ehrgeizigen Ex-Weltmeister vom zu diesem Zeitpunkt schon drohenden Wechsel zu Toyota abzuhalten?
Das Hydraulikproblem während der Rallye Spanien soll dann das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Angeblich werden zwischen Ogier und Citroën gerade die Details geklärt, die einen vorzeitigen Ausstieg aus dem eigentlich bis Ende 2020 laufenden Vertrag möglich machen würden.
Sollte es tatsächlich so kommen, steht die Rallye-WM vor einer Krise. Mit Tänak und Neuville bei Hyundai sowie Ogier bei Toyota würde Citroën ohne Topfahrer dastehen. Und hätte damit weder eine Chance auf den Fahrer- noch auf den Markentitel 2020. Dann wäre sgar ein WM-Ausstieg der französischen Marke alles andere als eine Überraschung.