Analyse Ideen Strategiegruppe: Sinnlos und überholt

Von Mathias Brunner
SPEEDWEEK.com hat Vorschläge der Strategiegruppe enthüllt. Was passiert, wenn sie von einem Renn-Urgestein wie Beat Zehnder kritisch beleuchtet werden? Teil 1 unserer Analyse.

Beat Zehnder (49) hat sich bei Sauber vom Mechaniker zum Team-Manager hoch gearbeitet. Im Formel-1-Fahrerlager gibt es nur wenige, die dem Schweizer in Sachen Regelkunde etwas vormachen können, die Technik ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Also wollten wir von einem so erfahrenen Mann wissen, was einige der Ideen wirklich wert sind, welche die Strategiegruppe gestern in England diskutiert hat – mit Augenmerk auf technische Machbarkeit und auf Sinnhaftigkeit, ob also die Vorschläge dem Sport wirklich etwas bringen. Das Ergebnis ist niederschmetternd.

Beat, die Autos sollen gemäss Strategiegruppe sechs Sekunden pro Runde schneller werden, mit Hilfe von mehr Abtrieb.

Wenn wir Rennwagen erhalten sollen, die mehr Abtrieb aufbauen und die dank breiterer Reifen auch mehr Haftung aufbauen, dann bedeutet das: kürzere Bremswege, es wird also weniger überholt. Wir haben 2009 genau wegen dieses Problems eine Arbeitsgruppe gebildet, weil wir mehr Überholmanöver sehen wollten. Ergebnis: der verstellbare Heckflügel und weniger Abtrieb, in Form von kleineren Heckflügeln und in Form von schmaleren Frontflügeln. Denn das Problem ist: ein Auto, das viel Abtrieb aufbaut, erzeugt auch extrem viele Luftwirbel. Da fährst du in Monza einem Gegner in die Parabolica hinein unterm Heckflügel nach, aber ausgangs der langen Rechts bist du um eineinhalb Sekunden hinten! Diese Idee nun, mit mehr Abtrieb also, widerspricht exakt dem, was wir damals umsetzen wollten.

Wenn ich meine persönliche Meinung einwerfen darf: ich glaube nicht, dass ein TV-Zuschauer vor dem Bildschirm erkennt, ob ein Auto drei, vier oder sechs Sekunden pro Runde schneller ist. Viel wichtiger wäre es, dass wir packende Rennen haben, und wie soll das gehen, wenn die Fahrer nicht überholen können?

Reden wir über Fahrhilfen wie Servolenkung und über die Rückkehr zu einem Kupplungspedal im Fussraum.

Technisch ist das alles zu lösen, wir hatten das ja früher schon. Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, wie ein Verbot der Servolenkung den Sport verbessern soll. Bei der Kupplung als Pedal geht es meiner Meinung nach um etwas anderes – die Fahrhilfe heute besteht darin, dass der Pilot über eine zweite Kupplungswippe am Lenkrad verfügt. Mit der lassen sich beispielsweise beim Start die durchdrehenden Hinterräder besser kontrollieren. Würden wir auf ein Pedal wie früher umstellen, müssen wir sicherstellen, dass es kein zweites solches Pedal oder keine Wippe mehr gibt. Ob dann die eine Vorrichtung am Lenkrad ist oder im Fussraum, das ist doch nicht spielentscheidend. Die Fahrer gewöhnen sich sehr schnell an Änderungen.

Die nächste Frage wäre: Sollen wir das automatische Schalten verbieten? Soll der Fahrer wieder kuppeln müssen zum Schalten?

Aber da finde ich – das ist nicht mehr zeitgemäss. Wir haben ja auch in Serienautos inzwischen hochgestochene Getriebe, da kuppelt der Fahrer auch nicht mehr. Das wäre ein Rückschritt.

Sprechen wir über Radgrössen. Die meisten Formel-1-Techniker wollen keine Abkehr von 13-Zoll-Rad, Michelin macht die Rückkehr in den GP-Sport aber vom Wechsel auf 18-Zoll-Felgen mit Niederquerschnittsreifen abhängig.

Das Argument der 18-Zoll-Räder ist ja, dass ein Reifenhersteller mehr Serienrelevanz erzielen will. Niemand im Strassenverkehr ist mit 13-Zoll-Felgen und Ballonreifen unterwegs. Ich sehe jetzt nicht ein, was grössere Räder dem Sport bringen sollen. Fettere Reifen, so wie das erwünscht ist, um den Autos ein aggressiveres Aussehen zu vermitteln, das würde wiederum den Grip erhöhen. Und da haben wir ja gesehen – mehr Grip gleich kürzerer Bremsweg gleich weniger Überholmanöver.

Wenn das 18-Zoll-Rad eingeführt würde, was käme auf euch in Sachen Umbau zu?

Einiges. Die Radträger musst du ganz anders bauen. Und wenn das alles nicht ganz dämlich aussehen soll, dann müsstest du auch grössere Bremsscheiben herstellen lassen. Was das Durchführen dieses Plan angeht, so sieht es so aus – um das auf 2017 einzuführen, bedarf es gegenwärtig eines Mehrheitsentscheids, nach Juni 2016 brauchts du dafür Einstimmigkeit. Also müssten die Teams da schon auch mitspielen. Und die sind ja dagegen.

Was hingegen völlig vergessen wird: die Reifenheizdecken. In jedem Sport geht es ohne, nur in der Formel und in der DTM offenbar nicht. Und wenn ich das Argument höre, es gebe Sicherheitsbedenken, dann erwidere ich – wieso geht es dann in der GP2? Die sind auf gewissen Strecken nur zwei oder drei Sekunden langsamer als wir.

Nein, diese Decken musst du alle drei Jahre erneuern, das kostet jedes Mal eine halbe Million. Du fliegst mehrere hundert Kilo Material rund um die Welt, das entspricht jedes Jahr ein paar hunderttausend Dollar Frachtkosten. Und wozu? Das wäre eine Änderung, welche wirklich sinnvoll wäre.

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