MotoGP-Finale: Verschiebung, Verlegung, Absage?

KTM: Die Philosophie hinter dem Erfolg

Kolumne von Werner Jessner
KTM hat sich spätestens in Portimão als erster Verfolger Ducatis in der MotoGP etabliert – und zwar nachhaltig. Das Konzept ist nicht neu: Es hat schon in anderen Sportarten funktioniert.

Es gibt mehrere Arten, wie man ein Team aufstellen kann. Und Motorsport ist Team-Sport, selbst wenn die Fans in der Regel dem Fahrer zujubeln, so wie dem Torschützen im Fußball. Mindestens so wichtig wie jener, der den Ball über die Linie drückt, ist der, der den entscheidenden Pass gibt oder der, der den Aufbau-Pass aus der Tiefe spielt.Umgesetzt auf die MotoGP heißt das: Um Erfolg zu haben, brauchst du die richtigen Spieler – und du brauchst Tiefe im Kader. Beispiel KTM: Brad Binder ist einer, der Bälle verlässlich über die Linie bringt. Jack Miller ist der mit dem Aufbau-Pass, der das Spiel lesen kann und das Geschehen in die richtige Richtung lenkt. Testfahrer Pól Espargaró, Dani Pedrosa und Jonas Folger sind die, die Bälle weggrätschen, die die Laufarbeit verrichten und nur selten in Erscheinung treten, aber ohne die kein einziger Ball vorn in der Spitze landen würde. Dann gibt es erstmals einen schillernden Freigeist, ein junges Genie, dem man sämtliche Fesseln abgenommen hat – und zwar absichtlich. Er bringt Unbekümmertheit und Unberechenbarkeit ins Spiel, den X-Faktor. Natürlich sprechen wir von Pedro Acosta, den Wirbelwind.

Pit Beirer markiert in unserem Vergleich nicht den Coach, sondern den Torwart. Er sorgt für Stabilität, er ist der oberste Hüter der Defensive. Wenn vorn die Hütte brennt, ist immer noch er da. Wann immer KTM in den letzten Jahren kritisiert wurde: Pit hat sich gestellt, kein einziges Mal weggeduckt. Das unterscheidet ihn diametral von seinen Berufskollegen, die heute hier, morgen weg und übermorgen ganz wo anders waren.So etwas funktioniert nur, wenn man das unumschränkte Vertrauen des Trainers genießt. Und das ist in diesem Fall Stefan Pierer, der Eigentümer. Die Mannschaft fordert mehr Investitionen in Elektronik, mehr Aerodynamik, mehr Entwicklung? Pierer hat ihnen sogar ein neues Trainingszentrum hingestellt, die hoch moderne Rennsport-Abteilung drüben in Munderfing, ein paar Kilometer vom Stammwerk entfernt.Wie in jedem Sport geht es auch in der MotoGP nur vordergründig ums Siegen. Ja, Emotionen sind schön, und nicht mal Italiener können sich so schön und glaubwürdig freuen wie diese motorsport-verrückte Bande von Österreichern. Es geht auch nicht nur um Marketing, um Image («win on sunday, sell on monday», was in dieser Einfachheit ohnehin seit Jahrzehnten nicht mehr stimmt).

Der wahre Sinn von Rennsport ist der Erwerb von Wissen, das Etablieren einer Unternehmenskultur, das Verbreitern der Basis. Dazu gibt es die unterschiedlichsten Ansätze. Bei Honda ist es zum Beispiel Brauch, dass Manager alle paar Jahre rotieren: heute Motorrad, morgen Rasenmäher, danach Flugzeug. Die Idee dahinter ist durchaus schlau: Wenn sich alle für mehr interessieren als eh schon immer, profitiert mittelfristig die gesamte Firma. Bloß hat sich Motorsport zu sehr spezialisiert, als dass man damit noch heute reüssieren könnte.

Die anderen Japaner verfolgten in der Vergangenheit eher die Philosophie des kleinen, unabhängigen, hoch spezialisierten Rennteams mit dem einen oder anderen spielentscheidenden Genie an strategischen Stellen. Auch damit konnte man lange Jahre Erfolg haben.

Ducati hingegen, lange Jahre das one-trick-pony mit dem bärenstarken Motor, hat sich unter Audi-Regie zum technischen Voll-Sortimenter entwickelt. Kluge Köpfe wurden so freigespielt, dass sie ihre technischen Visionen auch tatsächlich umsetzen konnten, mit all dem Apparat und allem Know-how eines Giganten der Automobil-Industrie unaufdringlich im Hintergrund. Die Fußball-Analogie: Pressing, dem Gegner keine Luft zum Atmen geben.

Und KTM? Da ist die Spielweise ähnlich, allerdings ergänzt um den Faktor Wahnisnn, Leidenschaft und Dickköpfigkeit. Immer wieder in der Firmengeschichte hat man es damit allein probiert und ist auf die Nase gefallen, Stichwort Dakar-Einstieg, Stichwort erster MotoGP-Versuch. KTM kommt aus dem Geländesport – als Marke, aber auch die wichtigsten Protagonisten haben Offroad-Wurzeln. Dort kannst du vielleicht hie und da mit Wahnsinn und Haudrauf gegen eigentlich stärkere Gegner gewinnen (fragt Heinz Kinigadner). In der modernen Welt der MotoGP mit ihrem unglaublich hohen technischen Reifegrad funktioniert das nicht mehr. Das hat man bei KTM erkannt und hat die neue Spielweise akzeptiert, ohne die alten Qualitäten, mit denen man ja sonst überall erfolgreich war, über Bord zu werfen. Pedro Acosta ist symptomatisch für den neuen Spielstil von KTM: Ein kluger junger Mensch, bestens auf seinen Job vorbereitet, mit beiden Beinen in der Gegenwart verankert, auf zwei Rädern aber kein Quäntchen weniger wahnsinnig als jene, die KTM einst von Nischen-Bewohner mit dreckigen Stiefeln zum einspurigen Global Player gemacht haben.

Diese Strategie, einen präzisen Plan mit Leidenschaft zu kombinieren, ist nicht nur nahhaltig: Sie ist alternativlos. Um wieder das Teamsport-Beispiel zu zitieren: KTM spielt mit einem Plan, und in diesem Plan sind Wahnsinn, Leidenschaft und Dickköpfigkeit integrale Bestandteile. Und diese Strategie ist deshalb so erfolgreich, weil man sie nicht so einfach kopieren kann. Schlag nach bei den dominanten Jahren des FC Barcelona unter Guardiola, den Chicago Bulls im Basketball in der Ära von Michael Jordan oder den Montréal Canadiens unter ihrem legendären Trainer Scotty Bowman.

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