Brünn 1987: Schwere Kontrollen und leichte Damen
Der Rennkalender der ersten und einzigen Tourenwagen-Weltmeisterschaft war so anspruchsvoll wie exotisch. Er erforderte 1987 von den Teams nicht nur eine gewaltige Logistik, mit Reisen bis nach Südostasien, er wies auch einen Termin im Ostblock auf, damals noch hinter dem Eisernen Vorhang, in Brno (Brünn) in Tschechien. Andererseits lockte eine komplett neu gebaute Strecke zu einer Reise dorthin, das historische Brünn-Rennen hatte ja noch über normale Landstraßen geführt.
Auch ich war von dieser Idee einer ganz besonderen Reise fasziniert, organisierte daher für eine Handvoll Fachjournalisten eine BMW-Tour dorthin. Schon die Anreise, so rieten uns Fachleute, könnte schwierig werden, denn wir brauchten entsprechende Papiere. Außerdem wollten wir als kleine Gruppe reisen, mit Laptops im Gepäck und Fotoapparaten, zu dieser Zeit nicht sehr beliebte Reise-Utensilien von West-Touristen, die in den damals noch streng kontrollierten Osten wollten.
Da unsere Gäste aus ganz Deutschland und der Schweiz kamen, organisierten wir die Reise so: Wir trafen uns am Wiener Flughafen Schwechat und fuhren von dort mit zwei Autos von BMW Austria über Bratislava in der Slowakei nach Brünn. Wie erwartet, waren die Grenzübergänge nicht ganz einfach – jedes Mal wurden unsere Fahrzeuge und das Gepäck aufs Feinste inspiziert, sogar mit großen Spiegeln unter den Autos und Rauschgift-Hunden. Zum Glück blieben unsere Gäste sehr geduldig, ließen alle diese Schikanen ungerührt über sich ergehen.
Als wir im einzigen für West-Gäste zugelassenen Hotel in Brünn ankamen, fühlten wir uns schon wie im Fahrerlager: Nahezu alle Fahrer, Teammitglieder, Funktionäre und auch wir von der Presse wohnten in diesem riesigen, schon etwas in die Jahre gekommenen Riesen-Komplex. Dass in der Hotel-Lobby auch auffallend viele hübsche junge Damen herumsaßen, bemerkten wir erst gar nicht. Doch Harald Grohs, der per Achse mit seinem privaten Ferrari angereist war, roch den Braten sofort: «Die ganze Bude hier ist ja voll mit Nutten». Dabei plagten «Nippel» an diesem Tag ganz andere Sorgen: Er war unterwegs von der Polizei aufgehalten worden, die ihn wegen seines offensichtlich viel zu hohen Tempos ordentlich zur Kasse gebeten hatten.
Tatsächlich bestätigten uns einige Menschen aus dem Rennbusiness, dass sie von besagten Damen recht eindeutig angesprochen worden seien, als sie im Besitz ihrer jeweiligen Zimmerschlüssel waren. Nicht überliefert ist, wer deren Dienste auch in Anspruch genommen hatte, ebenso wenig die Zahl jener, deren Mägen nicht ganz kompatibel mit dem tschechischen Essens-Angebot waren. Einige versuchten zwar, dieses Manko mit entsprechenden Mengen tschechischen Schnapses zu kompensieren, was ihnen tags darauf allerdings auch deutlich anzusehen war.
An der Rennstrecke jedenfalls, einer spannenden Berg-und-Tal-Bahn mit gelungener Infrastruktur, verlief fast alles nach unseren Vorstellungen. Lediglich der so genannte Presse-Saal entsprach so gar nicht dem Gewohnten. Es gab gerade eine Handvoll Telefone sowie ein einziges (!) Fax-Gerät – und somit nach Rennende ein entsprechendes Gerangel um die Journalisten-Pole-Position, es gab ja noch kein Internet! Immerhin schafften es unsere Gäste, ihre Depeschen noch rechtzeitig in ihre Redaktionen zu kabeln, obwohl die Zeit drängte. Denn wir mussten ja wieder über die Grenze, die fast wie Fort Knox bewacht wurden, zurück nach Österreich.
Letztlich gelang auch das, doch das Rennergebnis entsprach keinesfalls den BMW-Erwartungen: Zwei superschnelle Ford Sierra Cosworth gewannen diesen WM-Lauf, Dritte und damit beste M3-Piloten wurden Olivier Grouillard/Luis-Perez Sala vor dem Trio Markus Oestreich/Roberto Ravaglia/Roland Ratzenberger sowie Johnny Cecotto/Gianfranco Brancatelli. Wir aber hatten die Erfahrung gewonnen, dass eine Reise in den Ostblock immer noch ein kleines Abenteuer war...