MotoGP-Reifenmanagement oder die Wissenschaft von Druck und Temperatur
Oft wird ein vermasseltes Rennergebnis den Reifen zugeschoben, seltener bekommen die MotoGP-Gummiexperten ein Lob. SPEEDWEEK.com-Autor Manuel Pecino erklärt die Wissenschaft «Reifenmanagement.»
Das Reifendruckmanagement ist in der MotoGP nicht nur ein wichtiges Thema – für die Aktiven ist es die zentrale Aufgabe, wenn es um die Bewältigung einer Renndistanz geht. Ein Fehler reicht und das Endergebnis eines Rennens verändert sich mitunter gravierend. Es gibt kein Team, das nicht mindestens einen Ingenieur in seinen Reihen hat, der auf Reifenmanagement spezialisiert ist.
Was von außen betrachtet leicht als unverhältnismäßige Vereinfachung erscheinen mag, ist das Gegenteil. Wenn man alle Parameter kennt, die beim Betrieb eines Reifens eine Rolle spielen, versteht man, wie unverzichtbar die Position des Reifeningenieurs geworden ist. Zeit für eine aktuelle Lehrstunde bei Michelin, dem noch bis Ende 2026 exklusiven Ausrüster der Königsklasse.
Hier die wichtigsten Parameter, die gesteuert werden müssen, um das maximale Potenzial eines MotoGP-Reifens auszuschöpfen: Oberflächentemperatur, Hohlraumtemperatur, Innendruck, Reifeninnentemperatur und Felgentemperatur. Der Reihe nach:
Oberflächentemperatur. Für Reifentechniker ist das der am wenigsten wichtige Referenzwert für die Analyse der Reifenleistung. Die Oberflächentemperatur ändert sich je nach Schlupf des Reifens und hängt daher stark von der Traktionskontrolle ab – natürlich sprechen wir hier vom Hinterreifen. Je nach Schlupf kann die Temperatur schnell ansteigen und der Reifen an Grip verlieren, aber sowohl Temperatur als auch Grip werden schnell wiederhergestellt. Dieser Zyklus wiederholt sich in der Regel in jeder Runde, solange der Fahrer vergleichsweise agiert.
Bei 200 °C Reifentemperatur steigt Rauch auf
Wenn man Rauch aus einem Hinterreifen bei Beschleunigung aufsteigen sieht, muss dessen Temperatur bei etwa 200 °C liegen. Ein Wert, der die Ingenieure dennoch nicht beunruhigt. Wenn eine MotoGP-Maschine in die Box zurückkehrt, lässt sich das Profil ohne Verbrennungsgefahr anfassen.
Hohlraumtemperatur. Die Geschwindigkeit. Je höher die Geschwindigkeit, desto höher die Belastung; je höher die Belastung, desto höher die Luftkompression im Reifen; je höher die Kompression, desto höher der Temperaturanstieg. Die Temperatur des Reifens selbst. Dann – die Temperatur der Bremsscheiben erwärmt die Felge, und die Felge gibt einen Teil dieser Temperatur an die Luft im Reifeninneren ab. Dies gilt im Schwerpunkt nur für den Vorderreifen.
Innendruck. Für Reifeningenieure ist dieser Wert nicht besonders wichtig, für jeden Motorradfahrer jedoch schon, da er entscheidend für das Fahrverhalten des Motorrads ist. Die Daten werden über den Sensor erfasst, der an der Innenseite der Felge angebracht ist. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Hohlraumtemperatur und dem Innendruck, obwohl es Faktoren gibt, die diesen Zusammenhang verzerren können.
So kann etwas Feuchtigkeit in der Luft zu Druckinstabilität im Reifeninneren führen, ein Faktor, dem Reifenhersteller große Aufmerksamkeit schenken. Ursprünglich wurde Stickstoff verwendet, um stabilere Drücke zu gewährleisten, aber logistische Probleme führten zur Verwendung von Kompressoren, die immerhin 99,9 Prozent trockene Luft abgeben.
Ein weiteres System zur Entfeuchtung ist die Verwendung von Felgen mit Doppelventilen, die die Luft im Hohlraum während des Aufpumpens zirkulieren lassen. Denn es muss berücksichtigt werden, dass die Monteure zum Aufziehen des Reifens auf die Felge das Rad mit einem Schmiermittel behandeln, das zwar laut Herstellerangaben kein Wasser enthält, aber dennoch etwas Feuchtigkeit beinhaltet.
Ein letzter Faktor, der alle Bemühungen des Reifenlieferanten, die Luft in Ihren Reifen zu «trocknen», zunichte machen kann, ist Veränderung durch das Team in der Box. Aus diesem Grund sieht man in den Garagen der MotoGP-Teams nur Flaschen mit ultratrockener Druckluft.
Reifentemperatur im Inneren. Dies ist der wichtigste Wert für Reifentechniker und derjenige, der am zuverlässigsten Auskunft über die Leistung des Reifens gibt. Wie bei der Oberflächentemperatur werden fünf Informationen erfasst: Reifenmitte, wie bei je ei 45°, sowohl in der Mitte der Lauffläche als auch bei maximaler Schräglage.
Die Reifentemperatur im Inneren steigt während der ersten drei, vier oder fünf Runden leicht an. Danach sollte sie sich stabilisieren, es sei denn, der Reifen hat ein Konstruktionsproblem. In diesem Fall steigt die Temperatur weiter an. Bei Überhitzung geht Grip verloren, und wenn die Innentemperatur des Reifens 150 °C bis 160 °C erreicht, können Probleme mit Blasenbildung auftreten, die im Inneren des Reifens entstehen und an der Oberfläche in Form von kleinen Rissen, Sprüngen oder Löchern in den Oberflächenschichten des Reifens sichtbar werden.
Anhand der Analyse der Entwicklung der Reifeninnentemperatur können die Reifentechniker warnen, dass eine bestimmte Mischung nicht für ein Rennen ausreichen wird. Das Team hat dann zwei Möglichkeiten. Entweder es verzichtet auf diese Mischung oder es arbeitet an der Leistung und dem Abtrieb, um die Überhitzung des Reifeninneren zu reduzieren. Mit anderen Worten: Es opfert die Leistung zugunsten einer bestimmten Mischung.
Felgentemperatur. Dies ist nur beim Vorderrad ein Problem, wo ein Teil der sehr hohen Temperatur, die die Carbon-Bremsscheiben erreichen, die Felge erwärmt und die Felge wiederum die Hohlraumtemperatur erhöht. Die aerodynamischen Elemente, die um das Vorderrad herum entwickelt wurden, haben die Höchstgeschwindigkeit der Motorräder um 2 km/h erhöht, aber gleichzeitig die Temperatur der gesamten Baugruppe um fast dramatische 10 Prozent erhöht.
Führt man sich alle Einflussfaktoren vor Augen, die das Verhalten eines Reifens bestimmen, wird die Komplexität, das maximale Potenzial jedes Reifens zu 100 Prozent zu nutzen, klar. Die Zeiten, in denen es reichte, noch einmal den Luftdruck zu überprüfen, bevor man auf die Strecke geht, die sind längst vorbei.
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