Zwei Antriebe, ein Segment: Royal Enfield Himalayan
Royal Enfield entwickelt derzeit zwei Himalayan-Reiseenduros – eine als Elektro- und eine als Verbrenner-Modell – für einen ähnlichen Markt. Zu den Kunden kommen wird nur eine von beiden.
Elektromobilität bei ausgewachsenen Motorrädern ist auf dem Rückzug, bevor sie richtig in Schwung gekommen ist. Mit Strom betriebene Motorräder scheinen stattdessen vorerst vor allem im städtischen Bereich wichtig zu werden: Hersteller aus Japan, Taiwan und China entwickeln in rasantem Tempo allerlei Roller für diesen Markt. In Europa sticht vor allem BMW hervor: Die Bayern bieten mit CE-02 und CE-04 einen Mini- und einen Maxiscooter an, von zweiterem wurde zuletzt eine Konzeptstudie mit Überrollbügel präsentiert, die die Idee des C1-Rollers von 2003 aufgreift. Ein klassisches Motorrad bringt demnächst Honda in den Handel. Zu Beginn des Jahres 2026 kommt mit der WN7 ein Naked Bike von den Japanern, das mit seinen Leistungsdaten jedoch ebenfalls vor allem auf den Stadt- und leichten Überlandverkehr abzielt.
Ausgewachsene Motorräder verschwinden bei den meisten Großserienmarken sukzessive aus den Planungen, dabei herrschte nach der Coronazeit Aufbruchstimmung: Triumph experimentierte mit der TF-1, einem elektrisch angetriebenen Äquivalent zur Speed Triple. Ducati nutzte zuletzt die MotoE-Serie als Labor und hatte auf Basis des Renngeräts V21L ein Naked Bike in Entwicklung, das mit Feststoff-Batterie und 800 Volt-Technik führend hätte werden können. Bei BMW war ein Roadster in Planung, der für eine Serieneinführung im Jahr 2027 angedacht war. Die Einführung einer Serienversion darf inzwischen bei allen diesen Projekten bezweifelt werden. Und wenn doch, dann mit gehöriger Verzögerung.
Bei derlei Hiobsbotschaften aus der Reihe tanzt Royal Enfield: Zwar hat die indische Marke mit britischen Wurzeln mit ihrer Submarke Flying Flea ebenfalls zuvorderst urbane Kunden im Blick. Anders als die meisten Großserienhersteller, die öffentlich vor allem an sportlich angehauchten E-Motorrädern arbeiten, experimentiert die Marke im Bereich der geländegängigen Reiseenduros und macht dabei gehörige Fortschritte.
Die Marke hat derzeit im Rahmen des Entwicklungsprogramms mehrere Erprobungsträger in der inzwischen zweiten Entwicklungsstufe im Einsatz, deren Fortschritte für die Öffentlichkeit dokumentiert werden. Im Laufe der letzten Monate sollen den Indern bei der nutzbaren Reichweite Fortschritte im Bereich von 30 Prozent gelungen sein, das Gesamtgewicht der Erprobungsträger soll dabei um 3 Prozent gesunken sein, bei gleichzeitig besserer Gewichtsverteilung. Ähnliche Fortschritte im Antriebsbereich: Die Spitzenleistung soll sich verdoppelt haben, die Kraftabgabe besser nutzbar sein. Auch beim Laden sollen signifikante Fortschritte verzeichnet worden sein. Wobei die Verbesserungen relativ sind, denn absolute Zahlen liegen derzeit nicht vor. Vor allem Gewicht und Kosten gelten nach wie vor als Herausforderung für die Ingenieure.
Dabei setzt Royal Enfield nicht nur auf eigenes Know-how: Verbaut im «Himalayan Electric Test Bed» sind Antriebsstrang und Akkus aus der Stark Varg. In das in Spanien ansässige Elektro-Start-Up für Elektro-Enduros hatte sich Royal-Enfield-Mutter Eicher Motors im Jahr 2022 für 50 Millionen Euro eingekauft, um sich einen Entwicklungsvorsprung zu verschaffen. Das Ergebnis sind Prototypen, die, noch etwas Feinschliff vorausgesetzt, nahe an der Serienproduktion scheinen. Am Design müsste nur noch wenig Hand angelegt werden, das Fahrwerk wirkt bereits reif und mit hochwertigen Komponenten ausgestattet. Selbst Software-Spielereien, wie die Nutzung des Smartphones als Zündschlüssel, Tankanzeige und Navi-Bildschirm, sind bereits vorhanden – Merkmale, die in Entwicklungsprojekten üblicherweise erst in späten Stadien in den laufenden Testbetrieb implementiert werden. Royal Enfield lässt Kunden auch am Erprobungsprozess teilhaben, um Bedürfnisse individuell für den Elektroantrieb besser erfassen zu können.
Allein: Auch die «Him-E», wie der «Himalayan Electric Test Bed» intern in Kurzform genannt wird, dürfte vorerst ein Experiment bleiben. Auf der Eröffnungspressekonferenz der Marke auf der Mailänder EICMA ließ Siddharta Lal, Vorstandsvorsitzender von Royal-Enfield-Mutter Eicher Motors, über die elektrische Himalayan verlauten: «Wir verkaufen sie nicht und wir haben es auch nicht vor.» Offiziell verlautet Royal Enfield, die Electric Himalayan Test Bed sei entwickelt worden, «einzig, um künftige technische Lösungen ausloten zu können.» Laut Eicher-CEO wolle man «Wissen aufsaugen und lernen.» Dabei scheint die elektrische Himalayan nur noch einen halben Schritt von der Serienfertigung entfernt.
Die Realität auf dem Markt sieht jedoch anders aus. Der Grund für die Verzögerung der Elektroprojekte nahezu aller Marken: Die kurze Euphorie ist bei den Herstellern inzwischen Realismus gewichen. «Der Bedarf ist nicht da.» Ein Umstand, den auch Energica letztes Jahr zu spüren bekam: Nach Zahlungsschwierigkeiten und folgender Insolvenz wurde der Elektromotorrad-Pionier liquidiert. Eine Rückkehr auf den Markt steht für die Modeneser trotz neuer Investoren in den Sternen.
Bei Royal Enfield ist man vorbereitet: Für die Serienfertigung ab Ende 2026 geplant ist stattdessen eine Reiseenduro, die als Himalayan 750 auf den Markt kommen dürfte und in einem ähnlichen Segment spielt, in dem die elektrische Himalayan verortet wird. Als Antrieb kommt jedoch bei dieser eine Evolutionsstufe des Royal-Enfield-Reihenzweizylinders zum Einsatz. Dieser ist klassisch konstruiert, luftgekühlt, gilt als unverwüstlich und setzt, nach altem Rezept, zuvorderst auf mehr Kraft als bei bestehenden Modellen. Damit bringt die Himalayan 750 die Situation in vielen Motorradmärkten weltweit auf den Punkt: Elektrisch betriebene, erwachsene Modelle sind derzeit nicht gefragt, selbst wenn spannende Produkte bereitstehen. Auf den Markt kommt die solide, bewährte Variante. Bei den PKWs ist das parallele Anbieten unterschiedlicher E- und Verbrennermodelle bereits weitestgehend gescheitert. Um in Zukunft reagieren zu können, entwickeln die Hersteller dennoch parallel verschiedene Lösungen. Bis dahin wird lediglich experimentiert, um bereit zu sein für den Moment, an dem der Markt reif ist für Neues.
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