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Alberto Ascari: Der rätselhafteste aller Weltmeister

Kolumne von Mathias Brunner
Am 13. Juli 1918 kam in Mailand ein Kind zur Welt, das zum grössten Rennfahrer seiner Epoche werden sollte: Alberto Ascari. Der Ferrari-Star war zeitlebens rätselhaft und in vielen Rennen unerreicht.

Es war typisch Reims an diesem frühen Juli-Tag im Jahre 1953 – schön und unfassbar heiss. Als der Brite Mike Hawthorn eine Sekunde vor dem grossen Juan Manuel Fangio über die Zielline flitzte, ging nicht nur eine spannende Windschattenschlacht zu Ende, sondern es war auch klar: Die Siegesserie von Ferrari-Ass Alberto Ascari war beendet.

Vor dem Hintergrund beschränkten Interesses seitens der Automobil-Hersteller wurde die Formel-1-WM 1952 und 1953 für Formel-2-Fahrzeuge ausgeschrieben. Das war ein Steilpass für Ferrari, den sich der Rennstall aus Maranello nicht entgehen liess.

Alberto Ascari (Kennzeichen: blaues Hemd, blauer Helm, leichtes Bäuchlein, tiefer Aberglaube) setzte zu einer einmaligen Siegesserie an. Er triumphierte beim belgischen Grand Prix in Spa-Francorchamps am 22. Mai 1952 und hörte dann einfach nicht mehr auf zu gewinnen.

Bevor die strengen Statistiker ihren Mahnfinger heben: Ja, wir wissen sehr wohl, dass damals auch das Indy 500 zur Formel-1-WM gehörte. Allerdings reisten so wenige US-Amerikaner aus dem Nudeltopf nach Europa wie Europäer nach Indianapolis, dass wir das Rennen statistisch dreist ignorieren.

Ascari siegte und siegte und siegte, bis am 21. Juni 1953, passenderweise erneut in Belgien. Seine neun Siege in Folge wurden erst 2013 von Red Bull Racing-Fahrer Sebastian Vettel erreicht – der Heppenheimer dominierte von Spa-Francorchamps bis Brasilien seine Gegner.

Eine geruhsame Rente hatte das Schicksal für Ascari nicht vorgesehen: Am 22. Mai fiel er samt seines Lancia D50 ins Hafenbecken von Monaco. Er konnte sich schwimmend ans Ufer retten. Was war schiefgegangen?

Ascari erzählte damals, er habe seinen Wagen beim Bremsen aus der Kontrolle verloren, der Ferrari habe einen Gehsteig touchiert und sei deshalb geradeaus Richtung Meer gefahren. Bremsspuren zeigten später, dass der Champion noch verzweifelt zu bremsen versucht hatte. Der Ferrari durchbrach die jämmerliche Pistenbegrenzung aus Holzlatten und stürzte ins Meer.

Vier Tage später war Ascari tot.

Die genauen Umstände wurden nie geklärt. Völlig ungewöhnlich für den abergläubischen Ascari hatte er sich beim Sportwagentest von Eugenio Castellotti in Monza dessen Helm ausgeliehen und um den Wagen gebeten. Seine einleuchtende Erklärung: «Wenn man vom Pferd fällt, dann ist es am besten, wenn man gleich wieder aufsitzt.»

Bis heute hält sich die Legende, dass Ascari in der Curva Vialone einem Mann ausweichen wollte, der unerlaubt die Bahn kreuzte. In Italien ist heute noch davon die Rede, dass jener Mann das auf dem Totenbett einem Pfarrer gebeichtet haben soll – er sei der Grund für den tödlichen Unfall gewesen.

Alles Hörensagen.

So wie jene Version, wonach der angebliche Unfallverursacher derart von Schuldgefühlen geplagt worden sei, dass er im Irrenhaus landete.

Albertos Tod bietet dennoch Gänsehaut-Parallelen zum Todessturz seines Vaters Antonio: Beide kamen an einem 26. ums Leben, beide waren dabei 36 Jahre alt. Beide wurden vier Tage nach einem schweren Unfall getötet, beide hatten zuvor 13 GP-Siege errungen. Beide hinterliessen eine Gattin mit zwei Kindern. Beide starben ausgangs von schnellen Linkskurven.

Der Kuriositäten nicht genug: Der andere Fahrer, der wie Alberto Ascari ins Hafenbecken fiel (Paul Hawkins 1965), kam ebenfalls an einem 26. Mai ums Leben: in Oulton Park 1969.

Wenn Ascari mal in Schwung war, konnte ihn nicht einmal der grosse Fangio aufhalten. Enzo Ferrari sagte einmal: «Wenn Alberto in Führung lag, dann war es so gut wie unmöglich, ihn einzuholen.»

Aber der Italiener war auch zeitlebens von Selbstzweifeln zerfressen, die in einem bisweilen absurden Aberglauben gipfelten. Sein langjähriger Freund Gigi Villoresi wusste: «Wenn wir unterwegs waren und eine schwarze Katze kreuzte die Strasse, dann kehrte Alberto auf der Stelle um. Nie im Leben hätte er diese Strasse weiter befahren. Das ist mir an seiner Seite einige Male passiert. Er hat seine Meinung nur dann geändert, wenn von links eine zweite schwarze Katze gekommen wäre. Aber mal ehrlich: Wie gross ist die Chance, dass so etwas passiert? Also fuhren wir halt Umwege.»

Ascari, am Rennlenkrad todesmutig, war als Fussgänger ein Hasenfuss: Vor dem Überqueren einer Strasse guckte er nach links, nach rechts, dann nochmals nach links, erneut nach rechts. Übervorsichtiger geht es nicht.

Ascari war ein Zahlenfetischist. An Tagen mit Zahlen, die einen Bezug zum Todestag seines Vaters hatten, trat er bisweilen nicht zu Rennen an. Umso erstaunlicher, dass er in Monza den Wagen von Castellotti übernehmen wollte.

Alberto Ascari selber hatte immer gesagt: «Ich bin absichtlich streng zu meinen Kindern. Damit sie mich nicht zu sehr lieben. Dann ist der Schmerz auch nicht so gross, sollte ich sie eines Tages verlassen.»

Als Alberto Ascari in Mailand zu Grabe getragen wurde, standen Tausende Spalier. Alberto Ascari wurde neben seinem Vater zur letzten Ruhe gebettet, auf dem Cimitero Monumentale von Mailand.

Die Seriensieger der Formel 1

9 Siege in Folge
Alberto Ascari (1952 und 1953)
Sebastian Vettel (2013)

7 Siege in Folge
Michael Schumacher (2004)
Nico Rosberg (2015/2016)

5 Siege in Folge
Jack Brabham (1960)
Jim Clark (1965)
Nigel Mansell (1992)
Lewis Hamilton (2014 und 2020)

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