Formel 1: Carlos Sainz zurück zu Ferrari?

Diffuse Zeiten

Kolumne von Justin Hynes
Das breiteste Grinsen von Melbourne: Jenson Button

Das breiteste Grinsen von Melbourne: Jenson Button

Alles über die brodelnde Gerüchteküche vor dem F1-Saisonstart, die Grinsekatze Jenson Button und warum es in den Ferrari-Cockpits eng wird.

Am Ende jeder Formel-1-Saison hält ein gewisser Grad Überdruss im Rennzirkus Einzug. Das gesamte Paddock hält sich nur mehr mittels Zahnfleisch an den Abzäunungen fest. Hauptsache, die letzten Grands Prix gehen irgendwie vorbei.

Ein furchterregender Zeitraum, in dem alle Beteiligten entweder vergrippt, zugedröhnt, übergewichtig, gestresst oder frisch geschieden sind, allerdings nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Hast du dich einmal an den Ort zurückgeschleppt, den du «Zuhause» nennst, ist der Gedanke, jemals wieder ein Rennen besuchen zu müssen der blanke Horror.

Und kaum starten die ersten Motoren beim Eröffnungs-Grand-Prix in Melbourne, schauen die verantwortlichen Gesichter aus wie die von Kindern in einem Bonbon-Laden. Alle sind durchtrainiert, gebräunt, unheimlich im Lot mit sich selbst und strotzen vor Energie und Verschwörungstheorien.

Schon zwanzig Minuten nach meiner Ankunft in Melbourne wurde mir mitgeteilt, dass Toyota und Renault mit Ende der Saison aus der Formel-1 aussteigen werden, dass sieben Teams bereits Gerichtsverfahren gegen Toyota, Brawn und Williams anstreben und dass alles super-duper ist. Juhu.

Ausserdem hatte jemand des Nachts in Lewis Hamiltons Kopf Einschau gehalten und dort «ich verlasse McLaren» in fetten Leuchtbuchstaben gelesen. Dann wurde mir aus drei verschiedenen Quellen versichert, dass KERS günstig/ungünstig bei Überholmanövern sei.

Darf das alles wahr sein? Irgendwas davon? Egal: es sind diese Fama-Würmer, die sich durch die Fahrerlager und Boxenstrassen schlängeln, die einen Teil des Reizes der Königsklasse im Motorsport ausmachen. Über irgendwas müssen die Leute im Hofstaat der Formel 1 ja reden.

Jeder kann dir auf Anfrage bändeweise Auskunft über praktisch alles zwischen Melbourne und Abu Dhabi geben. Lustig wird es für mich erst dann, wenn ich die Fachleute mit den über sie erzählten Gerüchten konfrontiere: Sie halten sie zum Teil plötzlich selbst für plausibel, und die Halbwahrheiten machen von hier aus in upgegradeter Vertrauenswürdigkeit eine weitere Runde durch das Paddock.

Der heisse Scheiss unter den «Hey, sag’s nicht weiter, aber ich weiss aus verlässlicher Quelle ...» – Vertraulichkeiten war das Thema Diffusor (Bodenplatte im hinteren Bereich des Wagens, der für Anpressdruck sorgt; Anm.). Angeblich kann man mit einem solchen Trumm alles und nichts machen: Diffuser geht’s also kaum.

Das sieht man dann auch an den Gesichtern von Jenson Button, Felipe Massa und Robert Kubica, die bei der ersten Pressekonferenz nicht wissen, wohin sie schauen sollen, wenn sie auf die Themen Tests, Rundenzeiten oder neue Bremspunkte vor den Kurven angesprochen werden.

Sebastian Vettel lächelt. Klar, schliesslich ist er mit Red Bull bei einem Team, das als eines der wenigen eine Chance hat, die Rakete abzufangen, vor die man Jenson Button gespannt hat. Der 29-jährige Brawn-Pilot hatte während der ersten Pressekonferenz ein Grinsen im Gesicht, das so breit war wie der Trainings-Abstand zwischen ihm und dem Rest des Feldes.

Der Journalist von der Press Association hätte ihn fragen können, wie es sich denn anfühle, wenn man mit der Zunge an einer gefrorenen Dachrinne kleben bleibt, Jenson hätte sein Grinsekatzen-Lächeln nicht abgelegt und gesagt: «Einfach fantastisch, Baby, ich freu mich schon auf den nächsten Frost!»

Weiters umwerfend: Es gelang Jenson Button während der 20-minütigen Konferenz gezählte 15 Mal «For Sure!» zu sagen, womit er bereits einen Rekord von Michael Schumacher gebrochen hat. Einmal schaffte er es sogar dreimal in einem einzigen Satz. Legendär!

Das beste Zitat des Tages kam allerdings von Felipe Massa, als man ihn mit der (unwahrscheinlich unwahrscheinlichen) Wahrscheinlichkeit konfrontierte, dass Lewis Hamilton wahrscheinlich von McLaren zu Ferrari wechseln würde. Massa schaute kurz verwirrt, schliesslich fiel der Groschen aber doch, und Felipe brach in Lachen aus: «Wissen Sie, ich hatte angeblich schon Fernando Alonso als Teamkollegen, Valentino Rossi, und nun eben Lewis Hamilton: es wird schon langsam eng in den Ferrari-Cockpits.» Es war der effektivste Diffusor des Tages.


Justin Hynes lebt in Kent/England, ist verheiratet und ist in den Motorsport vernarrt, seit er 1973 Jackie Stewart im elf-Tyrrell auf dem Weg zum dritten WM-Titel bewundert hat. «Die Kombination von Autos, Koteletten und verspiegelten Sonnenbrillen haben in mir den Wunsch entbrennen lassen, selber Rennfahrer zu werden. Oder vielleicht Elvis», erzählt Hynes. «Leider habe ich später herausgefunden, dass ich singe wie Sir Jackie und Auto fahre wie Elvis. So blieb nur der Journalismus.» 1999 berichtete Justin Hynes erstmals von der Formel 1, als Korrespondent der «Irish Times». Er arbeitete auch für The Mail on Sunday, The Financial Times, TalkSport radio, Sunday Tribune, RTE TV, Setanta Sports, Newstalk Radio in Irland und war von 2005 bis 2008 Leitender Redakteur beim Red Bulletin F1. Heute ist der Ire wieder als Freelancer tätig.

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