Formel 1: Die Wahrheit über Max Verstappen

Dr. Helmut Marko: «Muss den Jungen eine Chance geben»

Von Dr. Helmut Marko
Red Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko spricht in seiner SPEEDWEEK.com-Kolumne über die WM-Situation, den Formel-1-Abschied von Daniel Ricciardo und die Notwendigkeit, Nachwuchsfahrern eine Chance zu geben.

In Singapur hat Lando Norris einen starken Speed gezeigt und seinen Rückstand auf Max Verstappen auf 52 Punkte verkürzt. In der Konstrukteurswertung hat McLaren den Vorsprung auf Red Bull Racing auf 41 Punkte ausgebaut. Wir müssen deutlich zulegen, damit wir das Blatt wenden können, und ich bin optimistisch, dass wir in Austin wieder stärker sein werden.

Sobald Max wieder Rennen gewinnt, rückt normalerweise auch Sergio Pérez nach, und dann schaut die ganze Situation wieder ganz anders aus. Dazu brauchen wir aber ein breiteres Arbeitsfenster des Autos, das nicht nur in einem ganz engen Bereich funktionieren darf. Und wir brauchen den nötigen Speed. Das sind also zwei Faktoren, und ich vertraue da auf unsere Techniker, dass sie das zustande bringen.

Die Leistung muss sich auf der Strecke zeigen, nicht nur in der Simulation. In der Vergangenheit war die fehlende Übereinstimmung von Simulation und Realität mit ein Grund, warum man sich etwas in die falsche Richtung hat leiten lassen.

Gute Reaktion auf zweifelhafte Strafe

In die falsche Richtung ging auch die FIA mit der Strafe für Max, der in der Pressekonferenz am Donnerstag einen Kraftausdruck verwendet hat, der im Rennsport-Milieu so oft zu hören ist, dass er praktisch zur Alltagssprache gehört. Hinzu kommt, dass er das Wort benutzt hat, um einen Gegenstand, also ein Auto, zu bezeichnen, und nicht eine Person.

Ich denke, dass da mit anderen Ellen gemessen wird, wenn man sich anschaut, was etwa Günther Steiner aufgeführt hat, ganz ohne Konsequenzen. Das Ganze ist deutlich überzogen und lächerlich, ich denke, wir haben ganz andere Sorgen. Ich fand aber die Reaktion von Max sehr gut, wie er in der Pressekonferenz innerhalb der erlaubten Grenzen – mit sehr knappen Worten – deutlich gemacht hat, was er davon hält.

Es wurde argumentiert, dass es in einer Pressekonferenz geschah, die am Nachmittag abgehalten wurde. Aber man muss die Emotionen zulassen. Oder wenn man schon so moralistisch ist, kann man die entsprechenden Aussagen auch überpiepsen. Generell ist die Formel 1 ein emotionsgeladener Sport, in dem es mit dazu gehört, dass die Fahrer je nach Temperament ihre Emotionen zum Ausdruck bringen.

Als Team können wir da aber nicht viel unternehmen, wir können nur auf die Einsicht der Sportbehörde hoffen. Man darf den Fahrern durch zu viele Regeln nicht die Freude an der Arbeit nehmen. Max braucht den Spassfaktor und das Wissen, dass der Sport, den er ausübt, auch mit Freude ausgeübt werden kann. Ich selbst bin auch ein Anhänger der alten, englischen Weisheit «let them race».

Daniel Ricciardo: Fehlende Performance

Der Abschied von Daniel Ricciardo wurde aus zwingenden Gründen, die auf kommerzielle Vereinbarungen zurückzuführen sind, erst nach dem Rennwochenende in Singapur verkündet. Er selbst wurde rechtzeitig informiert und – um es in seinen Worten zu sagen – er ist mit sich selbst im Reinen. Ich finde auch, dass die schnellste Rennrunde, die er gedreht hat, eine würdige Abschiedsvorstellung war.

Man gab ihm eine zweite Chance, die ihm niemand sonst gegeben hätte. Und das geschah unter der Prämisse, dass eine Rückkehr zu Red Bull Racing möglich ist, wenn die Leistungen entsprechend sind. Das Racing Bulls Team war also immer nur als Zwischenstation gedacht. Aber die nötige Performance ist nur zwei Mal aufgeblitzt, einmal mit einem vierten Platz im Sprint von Miami in diesem Jahr und im vergangenen Jahr in Mexiko.

Aber ansonsten war dieser Speed nicht vorhanden, und auch die Konstanz war nicht da. Die ganze Performance, die einen Aufstieg zu Red Bull Racing gerechtfertigt hätte, fehlte. Das war aber der Sinn und Zweck der ganzen Aktion.

Wenn wir wüssten, warum die Leistung nicht entsprechend ausfiel, dann hätten wir alles unternommen, um das zu ändern. Aber es war einfach nicht mehr der gleiche Killerinstinkt erkennbar. Er war ja berühmt für sein kompromissloses Überholen, dass er am letzten Punkt bremst. Aber auch das war nicht mehr der Fall.

Chance für Nachwuchstalente

Liam Lawson darf nun die letzten sechs WM-Runden für das Racing Bulls Team bestreiten, wir werden evaluieren, wie er im Vergleich zu Yuki Tsunoda dasteht, dann schauen wir weiter. Er muss eine Formel-1-würdige Leistung abliefern, wie er das bei seinen bisherigen GP-Einsätzen schon gemacht hat.

Wir haben noch weitere starke Junioren im Nachwuchskader, etwa Ayumu Iwasa und Isack Hadjar. Wir werden sie beim Rookie-Sprint, der nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi am Nachwuchs-Testtag abgehalten werden soll, einsetzen. Dann werden wir sehen, wie es weitergeht.

Die GP-Einsätze von Oliver Bearman und speziell Franco Colapinto haben gezeigt, dass die Jungen bereit für den Aufstieg sind und die alte Philosophie einiger Teamchefs, man könne nur Fahrer mit drei, vier Jahren Erfahrung in ein Top-Team befördern, überholt ist. Das hat Mercedes jetzt ja auch mit der Fahrer-Entscheidung für bewiesen, genauso wie das Red Bull Racing schon in der Vergangenheit schon mehrfach gemacht hat.

Man kann also auf die Jugend setzen. Es ist ein gewisses Risiko, das aber überschaubar ist, und es ist es wert. Man muss den Jungen eine Chance geben, damit sie sich im GP-Auto beweisen können, nachdem sie die Nachwuchsleiter hochgeklettert sind. Diese ist grundsätzlich in Ordnung, aber leider viel zu teuer. Das fängt schon im Kart an und zieht sich durch alle Klassen hindurch. Die FIA sollte da ansetzen und schauen, wie sie die Kosten in den Griff bekommt.

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