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Charlie Whiting, wo lauert der nächste Skandal?

Von Mathias Brunner
Charlie Whiting und Bernie Ecclestone – da geht es lang

Charlie Whiting und Bernie Ecclestone – da geht es lang

Der Formel-1-Sicherheitsdelegierte stellt sich den Journalisten – Auszüge aus einer ungewöhnlichen Pressekonferenz.
Charlie Whiting ist ein Multi-Talent: Formel-1-Starter, gleichzeitig der Sicherheitsbeauftragte und Leiter der Technischen Abteilung, Anlaufstelle der Teams, wenn es Fragen zum Reglement gibt – ein Grand-Prix-Urgestein, das als Mechaniker im exotischen Hesketh-Team in der Formel 1 debütierte, von dort zu Brabham wechselte (damals in Besitz von Bernie Ecclestone), seit 1988 arbeitet er für die FIA.

Die Technik-Sitzungen mit ihm werden von den wahren Fachjournalisten besucht. Wer hier Boulevard-Themen sucht, ist vielleicht nicht am richtigen Ort. Und trotzdem müssen wir eine Frage zu einem Skandal stellen.

Charlie, wir hatten im Laufe der vergangenen Jahre eine stattliche Anzahl an technischen Aufregern – Doppel-Diffusor, flexible Flügel, heiss und kalt angeblasene Diffusoren, Motor-Kennfelder und so fort. Wo ortest du Potential für den nächsten Skandal?

Ich bin mir keiner neuen Kontroverse bewusst, die da vor sich hin schwelt. Aber man weiss nie, was im Laufe des Jahres plötzlich auf einen zukommt. Einer der Gründe, wieso Jo Bauer und ich beim Test in Barcelona auftauchten, bestand eben genau darin, zu verhindern, dass wir oder die Rennställe hier in Australien eine unliebsame Überraschung erleben.

Es gab im Winter Wirbel um die Motor-Kennfelder von Renault. Was kannst du dazu sagen?

Ich darf nicht sagen, was im Detail da probiert worden ist. Was ich dazu sagen kann: Nach dem Hockenheim-GP vom vergangenen Jahr haben wir eine Präzisierung veröffentlicht, was bei der elektronischen Abstimmung des Motors erlaubt ist, präziser ging es um eine Einschränkung der Zündzeitpunkte, basierend auf einer Basis aus den Werten des gleichen Motors während der ersten vier Saisonrennen 2012. Damals hatte das Wettrüsten in Sachen Auspuff noch nicht so richtig begonnen. Wir erlaubten einen gewissen Spielraum, und einige Rennställe wollten den vergrössern. Renault ging von der irrigen Annahme aus, dass eine andere Referenz als während der erwähnten vier WM-Läufe gewählt werden darf. Wir haben ihnen gesagt, dass das nicht gehe.

Es war davon die Rede, dass drei Verwarnungen für einen Fahrer künftig automatisch zu einer Rennsperre führen.

Das stimmt nicht. Drei Verwarnungen ergeben eine Rückversetzung von zehn Plätzen in der Startaufstellung. Diese Regel ist nicht geändert worden.

Wann ist ein Physio-Therapeut ein Physio-Therapeut?

Den Hintergrund der Frage werden nicht alle verstehen, also muss ich etwas ausholen. Es gibt eine neue Regel dieses Jahr, wonach einem Rennstall maximal 60 operationelle Fachkräfte an der Strecke erlaubt werden. Mit operationell meinen wir: Mitarbeiter, die wirklich mit dem Einsatz des Wagens etwas zu schaffen haben. Die alte Regel besagte: 48 Fachkräfte, aber dazu gab es zahlreiche Ausnahmegenehmigungen, welche die tatsächliche Anzahl Fachleute über 60 hinaus schraubten. Die Teams wollten da eine klare Regel, also haben wir das getan.

Bei den Physios gingen die Meinungen etwas auseinander. Das liegt auch daran, dass ihre Rolle nicht in allen Teams die gleiche ist. Die einen kümmern sich wirklich nur um den Fahrer, geben ihm einen Klaps auf den Helm, wenn er das braucht, halten einen Schirm, geben ihm etwas zu trinken, massieren, die üblichen Arbeiten halt. Aber andere halten beispielsweise auch die Rundentafel hinaus. Wir fanden, da ziehen wir die Grenze. Was die pure Arbeit eines Physio angeht, so ist das nicht ins Operationelle zu integrieren; falls er etwa dem Fahrer Zeichen auf die Bahn hinaushält oder sich auch noch um Reifendecken kümmert, dann schon. Zwei Teams mussten daraufin intern umstellen.

Es gab einige Diskussionen, die Geschwindigkeit in der Boxengasse zu verringern. Wird das umgesetzt?

Nicht für die kommende Saison, nein.

Wieso erhielten die TV-Kameras an den Autos eine neue Farbe?

Wir haben das getan, weil von freiem Auge Orangerot und Gelb recht gut zu unterscheiden sind. Es sieht aber anders aus, wenn man das am Fernsehschirm sieht. Schwarz und Gelb sind einfacher auseinander zu halten. Der Wagen mit der schwarzen Kamera, also eigentlich ohne Farbe, ist dabei das Fahrzeug mit der tieferen Startnummer. Wir haben das im vergangenen Jahr mit Ferrari ausprobiert, und der Unterschied war markant.

Wir hören von einer Regeländerung, was den Umgang mit den Autos und der Energie-Rückgewinnung im Parc fermé angeht ...

Es gab in Monza 2012 eine Situation, als ein Toro Rosso im Parc fermé nicht sicher war. Die Mechaniker dort schienen wenig über KERS zu wissen und waren nicht dafür ausgerüstet, mit einem unsicheren Auto umzugehen, ich spreche hier beispielsweise von Schutz-Handschuhen. Das Team war über Funk nicht zu erreichen, das Ganze war etwas chaotisch. Wir haben also ein halbes Dutzend Punkte eines exakten Prozederes ins Reglement aufgenommen, das eingehalten werden muss. Das haben wir den Teams im vergangenen Jahr auch so mitgeteilt, nur scheinen sie das seither vergessen zu haben.

Es war einmal davon die Rede, dass eine Art Strafpunktesystem für die Fahrer eingeführt werden soll. Ist das gekippt worden?

Wir diskutieren noch immer darüber. Aber es besteht keine Einigung darüber, wie hier genau vorgegangen werden soll. Wir müssen die Balance hinbekommen. Wenn ein Fahrer drei Mal eine vermeidbare Kollision verursacht hat, muss er dann automatisch gesperrt werden? Wir sind uns da nicht so sicher. Wir müssen genau abschätzen, welches Vergehen wieviele Strafpunkte ergeben sollte. Ein entsprechender Entwurf besteht bereits. Aber einen Piloten für ein Rennen zu sperren, ist eine ernsthafte Sache. Wir wollen das richtig machen.

2014 darf jeder Fahrer fünf, nennen wir es mal, Antriebs-Aggregate haben. Das bedeutet aber auch – geht ein Turbolader hoch, dann ist ein Antriebs-Aggregat verbraucht. Natürlich ist der Motor selber oder die Energie-Rückgewinnung noch intakt. Ist es erlaubt, da hin und her zu tauschen?

Theoretisch ja. Das ist aber noch immer in Diskussion. Aber wir sehen das Ganze prinzipiell anders: Der Fahrer hat nicht fünf komplette Aggregate zur Verfügung, sondern fünf Motoren, fünf Turbos, fünf Batterien und so fort. Wir haben also immer fünf verschiedene Elemente. Versagt ein Lader und der Fahrer muss auf einen sechsten zurückgreifen, dann erhält er eine Strafe von zwei oder drei Rängen zurück in der Startaufstellung, wir sind da milde. Wenn alles getauscht werden muss, dann wären es zehn Ränge. Aber das ist noch nicht in Stein gemeisselt.

Wir haben derzeit zwölf Tage Wintertests. An der Schwelle zur neuen Turbo-Ära: Reicht das, um die Aggregate für die Saison 2014 fit zu machen?

Wir haben mit den Rennställen geredet, und die Teams wünschen keine weiteren Tests.

Wie heftig wird mit den Teams über die Saison 2014 diskutiert?

Sehr heftig. Wir haben zahllose Sitzungen, auch innerhalb der Arbeitsgruppe Motoren. Wir haben vom Reglement nicht mehr viel Flexibilität, aber es handelt sich hier um ein extrem kompliziertes Antriebs-System. Das erfordert viel Diskussion.

Wer sitzt in dieser Gruppe?

Nur jene Motorenhersteller, die derzeit in der Formel 1 vertreten sind.

Gab es andere?

Ja, es gab damals PURE, aber die sind nicht mehr dabei.

Niemand anders?

Nein.

Was hat das Boxenfeuer bei Williams nach dem Spanien-GP 2012 bewirkt?

Wir haben anschliessend ausführlich mit den Teams diskutiert und haben eine Reihe von Punkten eingeführt, wie mit Sprit umgegangen werden muss. Es handelt sich dabei um etwas mehr als Richtlinien. Diese Punkte waren nicht im Reglement, aber wir haben regelmässig kontrolliert, ob sie eingehalten werden. Es geht da um recht Einleuchtenes – ein Mann muss beim Umgang mit Sprit mit einem Feuerlöscher bereit stehen, das Personal muss feuerfeste Wäsche tragen, eine Spritpumpe muss automatisch abstellen, wenn sie vom Fachpersonal nicht aktiviert gehalten wird. Später sind diese Empfehlungen ins Reglement eingeflossen.

Wir sehen einige extreme Wege, um noch schnellere Boxenstopps zu erlauben. Ufert das langsam aus?

Noch nicht. Wir sind uns dieser Entwicklungen bewusst. Wir haben aber nichts entdeckt, was Anlass für Sorgen wäre. Wir behalten das im Auge, Dinge wie der Druck in Schlagschraubern oder den Durchmesser von Leitungen. Da wird über Beschränkungen diskutiert.

Wie geht es mit der Forschung weiter, was den Kopfschutz vor herumfliegenden Rädern angeht?

Das schreitet voran, ist aber ein Langzeit-Projekt. Einige von Ihnen haben die Bilder mit einer Kanzel wie bei einem Jagdflieger gesehen oder mit einem Metallgerüst. Beides soll helfen, ein heranfliegendes Rad abzulenken, vorbei am Kopf des Fahrers. Aber diese Vorrichtung muss stark genug sein, gleichzeitig sollte der Pilot noch immer etwas sehen können. Wir arbeiten da mit einer Reihe extrem gescheiter Leute, und wir werden das Ziel erreichen, den Kopf besser zu schützen, die Sicht aber zu bewahren. Wir haben auch mit Vorrichtungen in Formel-1-Simulatoren gearbeitet. Da gehen aber die Meinungen auseinander. Die einen Fahrer fanden das erträglich, die anderen, in einem anderen Simulator, furchtbar. Wir brauchen ein repräsentatives Echo.

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