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Spionage bei Mercedes für Ferrari? Viele Fragen offen

Kolumne von Joe Saward
Interesse an der Konkurrenz gibt es immer

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​Der angebliche Datenklau in der Rennmotorenabteilung von Mercedes-Benz lässt viele Fragen offen. Wieso sollte sich ein hochqualifizierter Mitarbeiter so ungeschickt anstellen?

Es ist ein Zeichen der Zeit, dass die Klage von Mercedes-Benz gegen einen Angestellten aus der Motorenabteilung derzeit so hohe Wellen erzeugt (siehe weiter unten: Spionage bei Mercedes: Was bisher geschah). Vor kurzem hat Ferrari bestätigt, dass der Verdächtige Benjamin Hoyle keinen Vertrag unterzeichnet hat, um von Brixworth nach Maranello zu wechseln. Das kommt mir sehr seltsam vor, aber ich nehme doch wohl an, dass Ferrari hier die Wahrheit sagt – andernfalls sie nicht gut dastehen würden, käme früher oder später ein solches Dokument an die Öffentlichkeit.

Bei der ganzen Angelegenheit stellen sich mir zwei Kernfragen.

Wieso sollte Ben Hoyle bei Mercedes kündigen, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was er in Zukunft machen wird? Ohne die Absicht, zu Ferrari zu gehen, wäre das sehr seltsam. Und das ist für mich nicht dass einzig Merkwürdige.

Seit die Geschichte bekannt geworden ist, wundere ich mich: Wieso sollte ein in der Welt der Progammierung hochqualifizierter Mann in Datenbereichen herumschnüffeln, die für ihn gesperrt sind? Er muss doch wissen, dass es bei Firmen Sicherheitsprogramme gibt, die genau das verhindern.

Verschlüsselung, Geheimcodes, Schlüsselanalyse – gerade ein Datenspezialist wie Benjamin Hoyle müsste, so finde ich, doch eigentlich wissen, dass man nicht einfach durch entsprechende Sicherheitsprotokolle durchtänzeln kann, ohne verdächtige Spuren zu hinterlassen. Es trotzdem zu tun, wäre entweder sehr arrogant oder sehr dumm.

Zugegeben, die Egos einiger Formel-1-Ingenieure sind ziemlich gut entwickelt. Das kann von Nutzen sein, wenn man Männer von starkem inneren Antrieb beschäftigen will. Es kann jedoch auch zu grossen Problemen führen, wie die Affäre um Mike Coughlan und Nigel Stepney 2007 zeigte (siehe weiter unten: Werksspionage: Erinnerungen an Spygate).

Insgesamt scheint es mir jedoch ein wenig aufgebauscht, nun gleich von einem zweiten Spygate zu sprechen. Der Skandal damals war von einem ganz anderen Kaliber. Die ganzen Wie und Warum dieses jüngsten möglichen Spionagefalls passen für mich noch nicht rihtig zusammen. Und bis das Oberste Gericht über den Fall befindet, werden wir uns in Sachen Hintergründe wohl in Geduld üben müssen.

Spionage bei Mercedes: Was bisher geschah

Am Dienstag, 8. Dezember, wurde bekannt: Mercedes zieht vor den Obersten Gerichtshof in London. Bei der Firma «Mercedes AMG High Performance Powertrains Ltd» – welche in Brixworth/England den kompletten Antriebsstrang des Weltmeister-Silberpfeils baut – hat sich der Verdacht verdichtet, dass der Mitarbeiter Benjamin Hoyle bestimmte Daten über die Laufleistung oder Schäden der in England hergestellten Rennmotoren heruntergeladen hat. Möglicherweise, um sie seinem künftigen Arbeitgeber Ferrari zur Verfügung zu stellen.

Bis diese happige Unterstellung vor Gericht bewiesen ist, muss Benjamin Hoyle als unschuldig betrachtet werden. Jedoch: Wenn Mercedes solche Behauptungen aufstellt, dann muss davon ausgegangen werden, dass die Firma vor Gericht entsprechende Beweise vorlegen kann. Es steht noch nicht fest, wann der Fall verhandelt wird.

Hoyle kam 2012 zur Rennmotorenabteilung von Mercedes. Im vergangenen Mai teilte er seinem Arbeitgeber mit, er wolle seinen Ende 2015 auslaufenden Vertrag nicht verlängern.

Mercedes fand dann offenbar heraus, dass Hoyle einen Wechsel zu Ferrari ins Auge gefasst hatte und zog ihn von Arbeiten am Formel-1-Projekt ab. Dennoch soll Hoyle nun nachgewiesen werden können, dass er den Rennbericht des Ungarn-GP und vertrauliche Daten studierte und herunterlud. Obschon er angeblich zu diesem Zeitpunkt keine Zugangsberechtigung mehr zu solchen Informationen hatte. Es wird Hoyle auch unterstellt, dass er anschliessend versucht hat, seine Datenspur zu vertuschen.

In der Anklageschrift von Mercedes steht: «Herr Hoyle und möglicherweise Ferrari haben einen unrechtmässigen Vorteil gewonnen.» Was zwangsläufig zur Frage führen musste: Was sagt eigentlich Ferrari zum angeblich «unrechtmässigen Vorteil»?

Ein Ferrari-Sprecher hat beim Nachrichtenportal Bloomberg (für das Gerichtsreporter Patrick Gower den Fall enthüllt hatte) zugegeben: Es gab Verhandlungen mit Hoyle für eine mögliche Beschäftigung, aber es wurde nie ein Vertrag unterzeichnet und «das wird auf absehbare Zeit auch nicht geschehen». Ferrari geht also auf Distanz.

Mercedes fordert die Rückgabe aller Dokumente und Informationen, die Bezahlung der Anwaltskosten, zudem soll Hoyle mit einem Arbeitsverbot in der Formel 1 bis Ende 2016 belegt werden.

Mercedes nimmt zum möglichen Spionagefall wie folgt Stellung: «Eine Klage ist eingereicht, welche Mercedes AMG High Performance Powertrains Ltd und einen Angestellten einschliesst, der die Firma zu Ende des Jahres verlassen soll. Die Firma hat alle angemessenen rechtlichen Schritte eingeleitet, um ihr geistiges Eigentum zu schützen. Wir bitten um Verständnis, wenn derzeit diese Angelegenheit nicht weiter kommentiert wird.»

Werksspionage: Erinnerungen an Spygate

Der ganze Fall weckt Erinnerungen an die so genannte Spygate-Affäre, welche 2007 die Formel 1 erschütterte. Nigel Stepney, damals Chefmechaniker von Ferrari, stellte seinem englischen Landsmann Mike Coughlan (Chefdesigner von McLaren) Informationen über den damaligen Ferrari-GP-Renner zur Verfügung. Die Sache wurde erst bekannt, als Coughlans Ehefrau in einem Kopierladen die Unterlagen vervielfältigen wollte. Ein Mitarbeiter erkannte auf den Dokumenten das Ferrari-Logo und schlug Alarm.

Wie der frühere FIA-Präsident Max Mosley in seiner 2015 veröffentlichten Autobiographie vertieft, versuchte McLaren damals zu erklären, es habe sich lediglich um ein Fehlverhalten von Einzelpersonen gehandelt. Die FIA liess aber nicht locker und konnte dem Rennstall nachweisen, dass mehr Mitarbeiter von den Unterlagen gewusst hatten.

Nach einer zweiten Anhörung gab die FIA vor dem Belgien-GP bekannt, dass McLaren 2007 aus dem Konstrukteurspokal gestrichen wird und eine Strafe in Höhe von 100 Millionen Dollar bezahlen musste. Gemäss Mosley wurde der Betrag so verrechnet, dass McLaren seinen Anteil des Preisgelds nicht erhielt, der Rest musste tatsächlich bezahlt werden und wurde beim Autoverband für den Breitensport eingesetzt.

«Was damals wirklich alles im Detail passiert ist, wird sich nie nachvollziehen lassen», schreibt Mosley in seinem Buch.

Mike Coughlan fand eine Beschäftigung beim Kraftübertragungs-Spezialisten Ricardo, wanderte dann in die USA aus, um im NASCAR-Sport zu arbeiten, wurde später von Williams engagiert und kehrte in die Formel 1 zurück, musste aber als Sündenbock für die schwachen Ergebnisse den Hut nehmen und reiste erneut Richtung NASCAR über den grossen Teich.

Nach dem Spionageskandal heuerte Stepney bei Nissan an und verantwortete zum wesentlichen Teil die Entwicklung der GT1- und GT-Versionen des Nissan GT-R. 2011 gewann Stepney mit dem britischen Team JRM gemeinsam mit Michael Krumm und Lucas Luhr den GT1-WM-Titel, 2012 war er für den Einsatz des HPD ARX03a von JRM in der Sportwagen-WM FIA WEC verantwortlich. Zuletzt war Stepney als Technischer Direktor und Teammanager des von Nissan werksunterstützten JRM-Team tätig. Im Mai 2014 kam er in England bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Sein Ziel, seine Version der Spionageaffäre in einem Buch zu erklären, hat er nie umgesetzt.

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