Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Márquez: WM-Titel? Das kann er nicht

Kolumne von Günther Wiesinger
Austin: Marc Márquez an der Spitze des Feldes

Austin: Marc Márquez an der Spitze des Feldes

Marc Márquez bricht alle Rekorde, er könnte ein neuer Rossi werden. Aber Weltmeister im ersten Jahr? Daran glaube ich nicht.

Keine Frage, was Marc Márquez beim Texas-GP aufgeführt hat, war kein Sieg, das war kein Triumph, das war ein Überfall. Er liess seine Gegner wie Fahrschüler aussehen, er löste «Fast Freddie» Spencer als jüngsten GP-Sieger aller Zeiten (in der Königsklasse) ab, die Medien packten alle Superlative aus. Sein Gefühl in der rechten Hand, sein Siegeswillen, seine Fahrtechnik, seine listigen Augen, sein Egoismus, seine Magie, seine Klasse, sein herziges Aussehen, seine grimmige Entschlossenheit – Márquez hat alle Zutaten, die einen normalen Siegfahrer vom Superstar unterscheiden.

«Die Zeiten von Marc sind beängstigend, denn er hat von uns allen die wenigste Erfahrung. Er wird also von Rennen zu Rennen besser werden», ahnte Valentino Rossi schon beim ersten Sepang-Test in der ersten Februar-Woche. Später ergänzte er: «Ich muss versuchen, ihn in der ersten Saisonhälfte möglichst oft zu besiegen. Ich fürchte, in der zweiten wird es mir nicht mehr oft gelingen.»

Klar, Marc Márquez ist ein ganz aussergewöhnlicher Rennfahrer. Das war schon mit 14 und 15 Jahren zu erkennen, als er für KTM in der Spanischen 125-ccm-Meisterschaft gefahren ist.

Seine Fahrweise ist von aussergewöhnlicher Leichtigkeit geprägt, das gnadenlose Schnellfahren wurde ihm in die Wiege gelegt. Er vergeudet keine einzige halbe Runde im Jahr mit normalem Rumfahren, er bewegt sich pausenlos am Limit – und manchmal darüber hinaus. Stürze konnten ihm bisher nichts anhaben, von Knochenbrüchen ist er verschont geblieben.

Nur einmal ging das Draufgängertum bei Márquez buchstäblich ins Auge. Als es im Oktober in der Moto2-WM beim Fight gegen Stefan Bradl knapp wurde, stürzte er im ersten Training in Australien zweimal, eine Woche später im ersten freien Training zum Malaysia-GP gleich in der ersten Runde. Dann sah er alles doppelt – und musste auf die letzten zwei Rennen verzichten.

Zu früh für ein endgültiges Urteil?

Ich stimme Andrea Dovizioso zu, wenn er sagt, man könnte die Darbietungen von Marc Márquez noch nicht endgültig bewerten, man müsse abwarten, bevor man sich ein Urteil bilden könne.

Klar, wir alle lieben Senkrechtstarter und Ausnahmekönner. Aber die wahren Champions sind jene, die sich über Jahre hinweg an der Spitze halten. Wie die Schwimmer Ian Thorpe und Michael Phelps, wie heute Messi, Federer – und das Phänomen Rossi, der seinen ersten GP-Sieg 1996 in Brünn (125 ccm) errungen hat.

Es deutet Vieles darauf hin, dass wir die Geburtsstunde eines neuen Superstars erleben, wahrscheinlich sogar den neuen Rossi.

Aber wir sollten die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Es wäre ein unbeschreibliches Wunder, wenn Marc Márquez bereits in diesem Jahr im Titelfight ein Wörtchen mitreden würde.

Honda, Repsol, sein Manager Emilio Alzamora, Márquez’ gesamtes engeres Umfeld muss sich bewusst sein, dass mit Rossi (14. MotoGP-Saison), Pedrosa (achte MotoGP-Saison) und Lorenzo (sechste MotoGP-Saison) ganz schwere Kaliber auf den Titel lauern.

Márquez bisher ohne Druck
Bisher konnte Márquez in der MotoGP-WM ohne grossen Druck agieren. Nach den Wintertests waren Pedrosa und Lorenzo die heissesten Titelanwärter. In Texas konnte Márquez sein Talent am besten ausspielen, weil die Gegner aus der Vergangenheit keine Streckenkenntnisse hatten.

In Jerez werden die Gegner einen klaren Erfahrungsvorsprung haben. In Le Mans, Mugello und Barcelona, Assen, Sachsenring und Laguna Seca, Indy, Brünn, Silverstone, Misano und so weiter wird Márquez mit der MotoGP-Honda nicht testen können. Er wird dort womöglich nicht immer bis zum Rennen die optimale Abstimmung finden; denn er muss mit wechselhaftem Wetter rechnen.

Es wäre Zauberei, wenn der Repsol-Honda-Werkspilot die Beständigkeit seiner grossen Gegner erreichen würde.

Erinnern wir uns: Senkrechtstarter hat es im GP-Sport immer wieder gegeben. Johnny Cecotto 1975, Gregg Hansford und Kenny Roberts 1978; Freddie Spencer drang 1973 wie ein Überirdischer in die WM ein; Max Biaggi gewann 1998 in Suzuka mit einer Kunden-Honda gleich seinen ersten 500-ccm-WM-Lauf; Rossi unterstrich sein Können auch gleich im Jahr 2000; 2001 wurde er Weltmeister; Casey Stoner gelang bei seinem MotoGP-Debüt 2006 im LCR-Honda-Team in Katar die Trainingsbestzeit; Rookie Jorge Lorenzo stellte die Yamaha bei den ersten drei WM-Läufen 2008 auf die Pole-Position. Auch Marco Simoncelli sorgte gleich 2010 in seiner ersten MotoGP-Saison für viel Aufsehen.

Hat Márquez überirdische Fähigkeiten?
Aber ich erinnere mich auch an viele Superstars, die auf leisen Sohlen in die Weltmeisterschaft eindrangen und trotzdem nachhaltig ihre Spuren hinterliessen. Wayne Rainey (3 WM-Titel), Eddie Lawson (4 WM-Titel) und Mick Doohan (5 WM-Titel), zum Beispiel.

Erfreuen wir uns an den heldenhaften Darbietungen von Marc Márquez. Aber verlangen wir ihm in der ersten MotoGP-Saison nicht dauerhaft überirdischen Fähigkeiten ab. Das wird er nicht leisten können.

«Aller Anfang ist leicht, und die letzten Stufen werden am schwersten und am seltensten erstiegen», heisst es bei Goethe.

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