MotoGP: Nur Marc Márquez geniesst die Sommerpause

Von Matthew Birt
WM-Leader Marc Márquez

WM-Leader Marc Márquez

Pünktlich zur Halbzeit in der MotoGP-WM werfen wir einen Blick auf die ersten neun Saisonläufe und schauen, wie sich Valentino Rossi, Jorge Lorenzo und Marc Márquez geschlagen haben.

Das Wort «unberechenbar» wird im Wörterbuch als etwas definiert, das nur schwer oder unmöglich vorhersehbar oder voraussagbar ist. Es ist auch das perfekte Wort, um die jüngsten beiden MotoGP-Rennen zu beschreiben, die verrückt und chaotisch abliefen, und den diesjährigen WM-Kampf auf den Kopf gestellt haben.

Wer hätte gedacht, dass Danilo Petrucci in den letzten beiden Rennen das Feld zeitweise anführen und dennoch keine Punkte holen würde? Wer hätte darauf gewettet, dass Scott Redding nur 0.3 Sekunden fehlen würden, um zwei Podestplätze hintereinander feiern zu können? Und wer hat damit gerechnet, dass Jack Miller der erste Privatteam-Fahrer in zehn Jahren sein würde, der einen Sieg in der MotoGP-Klasse feiern durfte?

Jorge Lorenzo: Probleme bei kühlen Temperaturen

Und als wäre das nicht schon genug überraschend, macht Jorge Lorenzo, der am Anfang noch wie ein WM-Favorit aussah, zuletzt den Eindruck eines Rookies. Valentino Rossis zehnter WM-Titel hängt am seidenen Faden und Marc Márquez dürfte sich an irgendeinem spanischen Strand fragen, wie er es bloss geschafft hat, mit einer solchen Überlegenheit in die Sommerpause zu gehen. Kurz gesagt: Die jüngsten Entwicklungen im WM-Kampf sind verblüffend.

Als Lorenzo Márquez in Mugello knapp besiegte und damit erstmals in diesem Jahr zwei Siege in Folge feiern konnte, wirkte er unbesiegbar. Mit diesem dritten Saisontriumph sicherte er sich die WM-Führung mit zehn Punkten Vorsprung. Drei Rennen später scheint der Mallorquiner so verletzlich wie in seiner von Crashs geprägten MotoGP-Debütsaison 2008.

Dass Lorenzo in Assen und am Sachsenring im Nassen keine gute Figur machte, überrascht indes nicht. Er scheint seinen Unfall im Regen von Assen 2013, bei dem er sich das linke Schlüsselbein gebrochen hat, bis heute nicht ganz überwunden zu haben. Doch dass er auf dem Sachsenring auch im Trockenen weit vom Spitzentempo entfernt war, sorgt für Unbehagen.

In Deutschland legte sich der Spanier drei Mal auf trockener Piste hin. Zum Vergleich: So viele Stürze hat er in den Jahren 2013 und 2015 insgesamt verkraften müssen und in der gesamten Saison 2014 fiel er ein Mal weniger hin! Insgesamt acht Mal ist Lorenzo in dieser Saison schon abgestiegen – so oft, wie in den letzten drei Jahren zusammengezählt.

Der Grund: Kühle Streckentemperaturen sorgen in Kombination mit den Michelin-Reifen dafür, dass sein sanfter Fahrstil zum Nachteil wird. Denn er heizt die Michelin-Vorderreifen nicht so sehr auf, wie Márquez es tut. Deshalb fehlt ihm die nötige Betriebstemperatur, um das Feedback und Vertrauen ins Bike zu bekommen, das er für seinen Fahrstil mit präzisen Bremsmanövern und schnellen Kurvengeschwindigkeiten braucht.

Es ist besorgniserregend, wie deutlich er in den letzten beiden Rennen zurückgefallen ist. In den jüngsten drei MotoGP-Läufen sammelte Márquez 58 WM-Punkte mehr als Lorenzo, der nur sieben Zähler holte. Sein 15. Platz im Deutschland-GP ist in 147 MotoGP-Einsätzen erst seine zweite Platzierung ausserhalb der Top-10. Den letzten Punkteplatz belegte er letztmals 2003 im 125-ccm-Rennen in Jerez.

Lorenzo muss nun zuerst sein angeschlagenes Selbstbewusstsein wieder stärken und herausfinden, wie man das Potenzial des Michelin-Vorderreifens ausschöpft. Denn er hatte nicht nur bei kühlen Bedingungen Probleme, man denke nur daran, wie schnell er in der Hitze von Jerez und Barcelona zurückgefallen ist. Offenbar kommen Márquez und Rossi auf dem Michelin-Reifen, der sich klar von den Bridgestone-Mischungen unterscheidet, mit einer sehr vielgrösseren Spannweite an Bedingungen zurecht.

Marc Márquez: Geniale Strategie-Wahl

So schlecht wie Lorenzo in Deutschland war, so genial präsentierte sich Márquez auf und neben der Piste. Er war auf dem Sachsenring der Schnellste und der Schlaueste, und sein Sieg geht auf eine geniale Strategiewahl und umwerfenden Mut zurück. Seine Siegeschance wurde immer kleiner, da sein aggressiver Fahrstil den extraweichen Regen-Vorderrreifen schnell zum Überhitzen brachte.

Auf eine schnell abtrocknende Piste spekulierend verzichtete Márquez darauf, auf den neuen Intermediate-Vorderreifen von Michelin zu wechseln. Zu unsicher schien ihm diese Reise ins Ungewisse, denn auf dieser Mischung hatte der 23-Jährige aus Cervera kaum Runden gedreht. Stattdessen zog er es vor, auf seiner mit Slicks bestückten Honda RC213V den Tanz mit dem Teufel zu wagen.

Mit dieser Entscheidung brachte er sich in eine gefährliche Lage. Denn es braucht einiges an Mut und Können, um die Slick-Reifen auf einer kühlen Strecke mit einer schmalen trockenen Spur auf Betriebstemperatur zu bringen. Aber Márquez hat zwei Talente im Überfluss: Er hat die unglaubliche Gabe, ständig wechselnde Streckenbedingungen sofort richtig einschätzen zu können. Und er findet auf einem neuen Bike und neuen Reifen schnell das Limit.

Seit Marcs verheerenden Disqualifikation von Philipp Island in der Saison 2013 gab es fünf weitere Flag-to-Flag-Rennen, in denen die Piloten das Bike wechseln mussten. Vier Mal sorgte das Wetter dafür: 2014 in Assen und Aragón, 2015 in Misano und beim letzten Rennen auf dem Sachsenring. Das fünfte Flag-to-Flag-Race war der Argentinien-GP in diesem Jahr, in dem die Piloten aus Sorgen um die Lebensdauer der Reifen gezwungen wurden, Bike und Reifen zu wechseln.

Márquez hat vier dieser fünf Rennen gewonnen. Einzig in Aragón 2014 fällte er die falsche Entscheidung, im strömenden Regen auf Slicks weiterzufahren. Grosse Folgen hatte diese Fehleinschätzung aber nicht, denn er hatte sich in jenem Jahr zuvor mit zehn Siegen in Folge in die beste Ausgangslage für den Titel gebracht.

Valentino Rossi: Mehr Vertrauen ins Team

In den letzten beiden Regenrennen in Misano und auf dem Sachsenring trafen Márquez und Honda mit ihrer Strategie ins Schwarze. Das Gleiche kann man auch von Yamaha behaupten. Da der Funkverkehr in der MotoGP verboten ist, liegt die Entscheidung, wann der Wechsel stattzufinden hat, einzig am Fahrer. Doch das Rennen in Deutschland hat gezeigt, welch’ entscheidende Rolle die Mannschaft an der Boxenmauer bei der Entscheidungsfindung des Fahrers einnehmen kann.

Das Team hat im Gegensatz zum Piloten den Überblick über das ganze Renngeschehen und kann dem Fahrer deshalb helfen, eine auf Informationen beruhende Entscheidung zu treffen. Trotzdem ignorierte Valentino Rossi über fünf Runden die Anweisung, an die Box zu kommen. Die Yamaha-Crew konnte klar erkennen, wie schnell Márquez auf den Slicks unterwegs war, und zeigte Rossi deshalb wiederholt die Boxentafel mit der Anweisung «Box» an. Die Reaktion seines Teams auf seine Weigerung, spricht Bände, und nach dem Rennsonntag in Deutschland scheint man mehr als nur die Anweisung «Box» zu benötigen, um den Fahrer reinzuholen.

Im Nachhinein ist man immer schlauer und nachdem Rossi auf dem achten Platz ins Ziel hinkte – seinem schlechtesten Ergebnis seit Texas 2014 – kann man leicht sagen, dass dem neunfachen Champion auf dem Sachsenring ein Schnitzer unterlaufen ist. Er war ganz mit dem Fünfkampf an der Spitze beschäftigt, doch man muss auch festhalten, dass er seine Lektion von Misano nicht gelernt hat, als er und Lorenzo zu lange draussen geblieben sind. Rossi und auch einige seiner Gegner müssen den Anweisungen ihrer Mannschaft schlicht vertrauen.

Allerdings hätte ein früherer Stopp von Rossi den Rennausgang auch nicht verändert. Denn er hatte zuvor auf dem Slick-Vorderreifen von Michelin derart viele Probleme, dass schon vor dem Rennen entschieden wurde, sein zweites Bike mit dem Intermediate auszurüsten. Das war keine Fehleinschätzung, sondern die sicherste und beste Lösung, denn die weichste Vorderreifen-Mischung konnte er am Freitag bei kühlen Bedingungen einfach nicht richtig aufheizen.

Rossi war auf dem Intermediate-Vorderreifen zu langsam, denn auch auf dieser Mischung fehlte ihm das Gefühl für die Front. Die Yamaha heizt die Reifen offenbar sehr viel langsamer auf als die Honda-Werksmaschine, das spiegelte sich auch im Tempo von Márquez und Cal Crutchlow auf den Slicks.

Rossi lag in den letzten drei Rennen an der Spitze, doch am Ende konnte er nur 33 von 75 möglichen WM-Punkten sammeln. Sein WM-Rückstand von 59 Zählern auf Spitzenreiter Márquez wird nur schwer einzuholen sein.

Repsol-Honda-Star Marc Márquez wird seine Sommerpause in vollen Zügen geniessen, während Rossi und Lorenzo darauf hoffen müssen, irgendwann in nächster Zeit zur Ruhe kommen zu können.

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