Concessions: Kein Freifahrtschein für die Japaner
Start zum Sprint-Race in Sepang: Darf man Ducati einbremsen und die Japaner für Misserfolge belohnen?
Wer hätte das gedacht? Die ruhmreichen japanischen Motorradhersteller sind entweder längst aus der MotoGP-WM ausgestiegen (Kawasaki 2008, Suzuki 2022) oder sind wie die zwei verblieben (Honda und Yamaha) arg ins Trudeln geraten.
Der beste Fahrer eines japanischen Motorrads (Fabio Quartararo/Yamaha) liegt in der Fahrer-WM nach 18 von 20 Grand Prix an neunter Position, 256 Punkte hinter Weltmeister und Leader Pecco Bagnaia (Ducati). Die vier Honda-Stammfahrer verlieren sich auf den Rängen 14 (Marc Márquez), 18 (Alex Rins), 19 (Taka Nakagami) und 22 (Joan Mir). Der Ex-Weltmeister (2020 auf Suzuki) hat überhaupt erst 22 Punkte gesammelt und ist unfassbare 388 Punkte hinter Bagnaia zurückgefallen.
Yamaha hat immerhin 2021 mit Fabio Quartararo 2021 noch die WM gewonnen und 2022 den zweiten WM-Rang erobert, aber seit dem letzten Yamaha-Sieg sind eineinhalb Jahre (Sachsenring 2022) verstrichen. «Unser Motorrad ist seit drei Jahren nicht verbessert worden, deshalb erreichen wir nicht einmal die Rundenzeiten vom Vorjahr», beschwerte sich Quartararo.
Das glorreiche Repsol-Honda-Werksteam hat seit zwei Jahren nicht mehr gewonnen, Honda hat seit 2019 nicht einmal den Funken einer Titelchance gehabt. «Die RC213V ist kein Sieger-Motorrad», stellt Marc Márquez seit zwei Jahren unablässig fest.
Er hat seinen Vertrag für 2024 aufgelöst und wechselt ohne Fahrergage ins private Gresini-Ducati-Team, in dem sein kleiner Bruder Alex 2023 schon zwei Sprint-Siege errungen hat.
Jetzt will der spanische WM-Promoter Dorna Sports S.L., seit 1992 Inhaber der kommerziellen Motorrad-GP-Rechte, en Japanern so genannte «Concessions» zuschanzen, also technische Privilegien, die ihnen die Weiterentwicklung erleichtern soll. Also Motorenentwicklung nicht eingefroren, zwei Motoren zusätzlich pro Jahr und Fahrer (zehn statt acht), mehr Aero-Updates, mehr Testreifen, mehr Testtage und so weiter.
Doch die europäischen Hersteller KTM und Aprilia laufen gegen diese Zugeständnisse Sturm. KTM will die bisherigen Concessions-Regeln beibehalten, die aber keine Privilegien für die Japaner erlauben, weil sie in zwei Jahren zu viele Podestplätze eingefahren haben.
«Honda hätte halt mehr Geld in die Bike-Entwicklung als in die Fahrergagen stecken sollten», ätzte KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer im Interview mit SPEEDWEEK.com.
Damit meint er: Honda hat Márquez 18 bis 20 Millionen im Jahr bezahlt, er gewann auch mit dem unterlegenen Material Rennen und Titel. Die Ingenieure legten sich auf die faule Haut.
Beim Blick auf die Honda-Ergebnisse wird offenkundig: Der weltgrößte Motorradhersteller hat gewaltige Versäumnisse begangen. Die Weiterentwicklung in den Bereichen Aerodynamik, Chassisbau, Elektronik, Motor, Anpassung an die unterschiedlichen Michelin-Reifen und so weiter ist spurlos an Honda vorbei gegangen.
Yamaha verfügt über ein besseres Paket, tritt aber als einziger Hersteller mit einem Reihenmotor an, der den V4-Triebwerken von Ducati, KTM, Aprilia und Honda vin der Power unterlegen ist. Der ehemalige Formel-1-Engine-Designer Ing. Luca Marmorini päppelt den M1-Motor für 2024 auf.
Concessions wuden für Neueinsteiger erfunden
Mit der Einführung überhastet eingeführter neuer «Concessions», nur weil die Japaner nicht mehr einen Titel nach dem andern gewinnen, betritt die Dorna ein Minenfeld.
Denn die «Concessions»» wurden vor ca. acht Jahren eingeführt, um neuen Werken wie KTM (bis dahin in erster Linie eine Offroad-Firma) sowie Rückkehrern (Suzuki und Aprilia) den Einstieg schmackhaft zu machen und zu erleichtern.
Diese Zugeständnisse waren angebracht: Denn beim Debüt in Katar 2017 standen die beiden KTM-Werksfahrer mit 3 sec Rückstand in der letzten Reihe.
Honda hat aber mit Marc Márquez in diesem Jahr schon zwei dritte Sprint-Ränge und einen Podestplatz am Sonntag (Japan) erreicht; dazu gelangen ihm eine Pole-Position und zwei zweite Startplätze.
Yamaha hat 2023 mit Fabio Quartararo bereits drei dritte GP-Ränge verbucht – und letztes Jahr noch drei Siege.
«Yamaha hat uns bei den letzten fünf Grand Prix dreimal besiegt. Also müssten wir auch Concessions bekommen», gab Pit Beirer zu bedenken.
Der KTM-Rennchef möchte die alten Concessions-Vorschriften beibehalten und rechnet vor: «In der Konstrukteurs-WM ist der Abstand von Ducati zu KTM doppelt so gross wie der Unterschied zwischen KTM und Yamaha oder Honda.»
Der Stand in der Konstrukteurs-WM: 1. Ducati, 626 Punkte. 2. KTM 334. 3. Aprilia 292. 4. Yamaha 176. 5. Honda 169.
Tatsächlich hat Ducati in diesem Jahr bereits 15 von 18 Rennen gewonnen und 16 Pole-Positions erzielt, die Desmosedici-Piloten beschlagnahmen die Top-3-Plätze in der Fahrer-WM. Die Marken WM wurde zum vierten Mal in Serie gewonnen.
Alle Beteiligten bewegen sich in einem Minenfeld. Die Dorna darf keinen Hersteller vergraulen, sonst könnte ein Schneeballeffekt entstehen – und der eine oder andere europäische Hersteller die Lust an der MotoGP verlieren.
Die Pierer Mobility AG (KTM, GASGAS und Husqvarna) investiert ca. 70 Millionen im Jahr in den GP-Sport und hat immerhin bereits sieben MotoGP-GP-Siege erobert. Die Österreicher rüsten über alle drei Klassen hinweg bei jedem Grand Prix 28 Fahrer aus.
Die Pierer-Gruppe besitzt zudem 25,1 Prozent an MV Agusta und wird 2026 die Mehrheit an dieser Premium-Marke erwerben. 2027 könnte die Marke, die durch Fahrer wie Agostini und Read einen Namen gemacht und 38 Fahrer-WM-Titel gewonnen hat, in die Königsklasse zurückgebracht werden.
Die aktuellen Verträge der Werke mit der Dorna laufen Ende 2026 aus. Aber Suzuki hat den Rückzug fünf Monate. Nach der Unterzeichnung eines neuen 5-Jahres-Vertrags verkündet. Und Aprilia ist bereits 2004 einmal ohne Strafzahlung aus einem 5-Jahres-Vertrag ausgestiegen und hielt sich dann in der Superbike-WM mit einigen Titelgewinnen schadlos.
Aprilia kämpfte 2022 mit einem Bruchteil des Honda-Budgets um die MotoGP-Weltmeisterschaft und heimste auch 2023 schon zwei Siege und vier weitere Podestplätze ein. Hut ab: Aleix Espargaró und Viñales liegen in der WM unter den Top-7!
Honda produzierte jahrelang Schnecken
Von allen Beteiligten ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Ducati wird ein paar Einschränkungen akzeptieren müssen. Doch die Japaner sollten keinen Freifahrtschein zurück an die Weltspitze bekommen, vor allem Honda nicht, denn sie haben die größten Budgets und haben trotzdem am schlimmsten versagt.
Die HRC-Dilettanten haben jahrelang Schnecken produzuiert und mit Könnern wie Márquez, Rins und Mir vorsätzliche Körperverletzung betrieben. Dieses Trio war 2023 öfter beim Arzt als in der Box.
Das Repsol-Honda-Duo Márquez und Mir (zusammen zehn WM-Titelgewinne) hat es an den GP-Wochenenden 2023 zu 50 Stürzen gebracht. Ein Rekord für die Ewigkeit.
Vor der Saison 2022 entwickelte Honda einen neuen Hochleistungs-Motor. Weil er ständig explodierte, musste kurz vor der Saison die Power reduziert werden. Die HRC-Ingenieure schlossen dann alle Verkleidungslücken, um genug Top-Speed zu erreichen. Dafür verschmorten die Fahrer beim Sachsenring-GP bei 36 Grad Außentemperatur. Honda blieb dort erstmals seit 40 Jahren ohne Punkte.
Soll solche Ingenieurskunst durch übertriebene Concessions belohnt werden?
Wie erklärt man so eine Vorgangsweise dem genialen Ducati-Corse General-Manager Gigi Dall’Igna, der zehn Jahre lang das Reglement aufmerksamer studierte als die Gegner und sie jedes Jahr mit neuen innovativen Ideen verblüffte?
Bis Honda nichts anders übrig blieb, als Dall’Igna ein Angebot für 2024 zu machen.
Aber momentan setzt sich kein Mensch, der halbwegs bei Trost ist, in das abgewirtschaftete HRC-Wespennest.
Dabei weiß zumindest die Automobil-Abteilung von Honda, wie man in der Königsklasse auf vier Rädern zu Erfolgen kommt.
Zum Beispiel indem man die Entwicklungsabteilung rechtzeitig nach Europa (England) verlagert.
Momentan werden Honda und Yamaha für 2024 folgende «concessions» in Aussicht gestellt:
- Motorenentwicklung ab Saisonstart nicht eingefroren;
- Zwei Motoren pro Fahrer mehr als die Europäer, also zehn statt acht;
- Vier statt drei Teststrecken;
- Zwei statt ein Aero-Update pro Fahrer und Saison;
- Beliebig viele zusätzliche Testtage für die Stammfahrer. Zum Beispiel auch Teilnahme am 3-Tage Shakedown-Test in Sepang.
Die geplanten Einschränkungen für Ducati:
- Zwei statt sechs Wildcards pro Jahr (oder gar keine), damit nicht neun Ducati im 23-Fahrer-Feld mitfahren wie in Sepang;
- 140 statt 170 Testreifen pro Saison.