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Niki Lauda: Dieses Interview ist 60.000 Euro wert
​Denn die österreichische Rennlegende verrät im Interview aus «The Red Bulletin» alles: Warum es Blödsinn ist, dass man reich werden möchte. Worauf es in der Formel 1 wirklich ankommt.
Formel 1
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Herr Lauda, ich kann Sie um 60.000 Euro für einen Vortrag buchen. Was erzählen Sie mir da, das 60.000 Euro wert ist?
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Achtung, das ist noch der Preis vom Vorjahr. Sie sind raufgegangen? Klar. Vorträge sind ja nicht mein Hauptarbeitsfeld. Ich mach das ungefähr viermal im Jahr, öfter ginge gar nicht, Anfragen hab ich ein Vielfaches, und es werden immer mehr. Mir ist lieber, es hat sich einer ernsthaft überlegt, er will den Lauda, weil der Lauda das Geld wert ist. Und bei 60.000 kann ich davon ausgehen: Er hat es sich überlegt.
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Angenommen, ich hab’s mir ernsthaft überlegt: Wie bereiten Sie sich auf den Auftritt bei mir vor?
Gar nicht. Aber absichtlich, weil mir Spontaneität wichtig ist. Mir reicht, zu wissen, in welcher Branche Sie sind. Das letzte Mal, Frankfurt, vor 2000 Leuten, die Sandra Maischberger hat moderiert, da ist es mit dem Airport-Slot nicht anders gegangen, als dass ich grad eine Viertelstunde vor Beginn angekommen bin. Nicht einmal mit der Maischberger hab ich vorher reden können, weil die war da schon auf der Bühne. Und wissen Sie was? Super war’s, dass ich gar nix gewusst hab. Es war eine Riesenhetz. 2000 Leute beim Lachen, Weinen, Aufstehen, Hinsetzen. Alle waren happy.
Wie lange dauert so ein Vortrag? Eine Stunde, eine Stunde zwanzig.
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Und dann sind Sie wieder weg. Sitz im Flieger und heim. Eine Stunde reden ohne Vorbereitung für 60.000 Euro. Jetzt muss ich Sie natürlich fragen: Wie wird man reich? Falsche Frage. Was ist denn Reichwerden für ein blödes Ziel?
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Für viele Leute ist das gar nicht blöd. Reichwerden ist doch kein Ziel! Wenn Sie so fragen, zäumen Sie das Pferd von hinten auf. Ich muss zuerst was leisten. Nur die, die was leisten, kriegen was. Nur die, die vorne sind. Wenn einer vom Geld getrieben ist, wird das nicht funktionieren. Keiner, der im Hochleistungssport vorne ist, ist nur vom Geld angetrieben. Aber wenn ich beispielsweise Versicherungen verkaufe oder Interviews schreibe? Dann ist Geld natürlich eine Motivation. Grundsätzlich gilt: Du musst zuerst etwas finden, wofür du geeignet bist. Wo du deine Talente, deine Fähigkeiten einsetzen kannst. Wenn du das im richtigen Job richtig machst, dann kann passieren, dass du reich wirst. Aber als Ergebnis. Reichwerden ist immer ein Ergebnis, ein Nebenprodukt einer Leistung. Wer damit anfangt, dass er sagt, er will reich werden, der ist gleich ganz falsch abgebogen.
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Waren Sie jemals in etwas gut, für das Sie nur durchschnittliches Talent hatten? Ja, im Rennfahren. Aha? Ich bin das eher auf der technischen Seite angegangen, also zunächst mein Auto zu verbessern. Weil dann tu ich mir leichter, logisch. Erst auf dem höchsten Niveau hab ich dann gelernt, das Letzte aus mir herauszuholen, mit dieser wahnsinnigen Risikobereitschaft, die damals nötig war. Das war dann das sogenannte Talent dazu, obendrauf.
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Warum ist Mercedes in der Formel 1 gerade so überlegen? Weil wir vor drei Jahren bei der großen Reglement-Umstellung den besten Motor entwickelt haben und das beste Auto hingestellt haben. Damals wurde die Formel 1 ja quasi neu erfunden, technisch, da haben alle Teams im Neuland herumgestochert. Da wurden viele Entscheidungen ins Blaue hinein getroffen, das ging ja gar nicht anders, es gab ja keine Erfahrungswerte. Wie viel an so einer Entwicklung ist letztlich Glück? Und wie viel ist tatsächlich Vermögen und Können? Glück ist überhaupt nichts. Mit Glück kannst du keinen Formel-1-Motor bauen. Es geht in der Formel 1 darum, was Sie an Hirnschmalz und technischer Qualität in Ihrer Mannschaft haben. In erster Linie brauchst du eine unglaubliche Menge an Ingenieuren. Und die müssen genau wissen, was man tun muss, um einen Motor und ein Auto zu konstruieren und kontinuierlich zu verbessern. Das ist ihr Job.
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Aber eine Riesenmenge gescheite Leute haben doch auch die anderen Teams. Sie müssen die richtigen Leute finden, sie kriegen, über Jahre aufbauen, in Ihr eigenes System hinein ausbilden. Also etablierte Leute, Top-Ingenieure, und Junge dazu. Sie brauchen Potential an unterschiedlichen Inputs. Je mehr Sie davon haben, desto leichter tun Sie sich. Also am Ende geht’s in der Formel 1 um Personalpolitik? Das ist alles? Es geht um ein Puzzle aus qualifizierten, motivierten Menschen, die so zusammenpassen, dass sie dann einen besseren Motor und ein besseres Auto machen als alle anderen. Das ist ja auch der Hauptgrund, warum es neue Formel-1-Teams so schwer haben. Bei uns hat es drei Jahre gedauert, bis wir unsere tausend Leute beinander hatten.
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Sie sind quasi der Chef dieser tausend. Theoretisch gefragt: Sie stehen nach dem nächsten Rennen auf, verlassen Mercedes und gehen sofort zu einem anderen Team. Was würde das bei Mercedes ändern? Und was beim neuen Team? Kurzfristig überhaupt nix. Mercedes wird heuer hoffentlich genauso die WM gewinnen. Und entweder übernimmt ein anderer meine Arbeit, dann passiert auch langfristig null, oder es macht keiner, dann geht’s halt langsam abwärts. Bei einem neuen Team wäre es genauso, nur halt umgekehrt, aufwärts. Da braucht es wieder Zeit, weil man kann nicht von heute auf morgen die Leute austauschen, die haben ja alle Verträge. Und die neuen Leute, die man braucht, haben natürlich auch Verträge. Da kann man nix machen. Nicht einmal, wenn man Niki Lauda heißt? Völlig wurscht. Alleine kann ich gar nix machen.
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Keiner hat auf so vielen verschiedenen Ebenen in der Formel 1 Erfolg gehabt wie Sie. Was sind die durchgehenden Erfolgsfaktoren in der Formel 1? Was macht dort jemanden erfolgreich, unabhängig von der Position? Das ist relativ einfach zu erklären. Die Formel 1 ist ein Verein aus egozentrischen Menschen, die dauernd im Fernsehen sind und durch die Versuchung des Sich-wichtig-Machens sehr oft fehlgeleitet werden. Da kommen manche vor lauter Posieren gar nimmer gescheit zum Arbeiten. Wenn man jetzt anders reinkommt, wenn einem bewusst ist, wie die alle ticken, und man macht das Gegenteil von allen anderen, dann ist man schon einmal sehr gut aufgehoben. Das heißt zum Beispiel? Sich zuerst einmal nur um schwarz und weiß kümmern. Um die Fakten. Und das ganze Fahrerlagergequatsche, die Gerüchte auslassen. Wenn einer zu mir kommt und sagt, Red Bull hat gerade wieder irgendwo 50 PS gefunden, dann denk ich sofort einmal das Gegenteil. Und lieg damit zu 90 Prozent richtig.
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Aber 50 PS sind viel. Na dann geh ich halt zum Christian Horner frühstücken und frage ihn: Stimmt das mit den 50 PS? Das wird er Ihnen doch nicht sagen. Mir sagt er’s schon. Ich kann überall hingehen, zu Ferrari, zu Red Bull, und fragen. In der Formel 1 hab ich schon einen gewissen Namen.
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Aber man wird doch dem Mercedes-Chef nicht seine Geheimnisse verraten. Da wär man ja blöd. Man macht es, weil ich es ja umgekehrt auch mach. Ich bin genauso offen und erzähl keinen Blödsinn. Schwarzweiß, Fakten. Ich hab geglaubt, Formel 1 ist die totale Geheimniswelt mit Spionage und so. Im Winter, da ja. Aber ab dem ersten Rennen: Geheimniswelt vorbei. Sieht ja jeder sofort, was Sache ist: Der Erste ist Erster, der Zweite Zweiter. Das ganze Gequatsche von vorher bricht dann in sich zusammen. Oder es bestätigt sich, wenn sie recht gehabt haben, die Quatscher, ausnahmsweise.
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Zusammengefasst sagen Sie also: Erfolg in der Formel 1 hat, wer sich nicht am Gequatsche beteiligt. Einfach die Füß’ am Boden halten, das ist das Wichtigste. Herr Lauda, wir reden von der Königsklasse des Motorsports! Realist bleiben. Sieg ist Sieg, Niederlage ist Niederlage. Ich hab’s zusammeng’haut oder gewonnen. Pragmatiker bleiben, nicht in jeder Zeitung stehen wollen. Das Hirn nicht von der Arbeit ablenken lassen. Das ist für mich der einzige Weg.
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Fast ein bisschen enttäuschend, dass es so einfach ist. Es ist ja nicht einfach! Es klingt nur so. Schauen Sie sich doch die Welt an, überall Nullmenschen mit Nullleistung. Heute früh hab ich in der Zeitung gelesen, in Amerika haben sie einen eingesperrt, der schaut fesch aus, jetzt ist er the sexiest Häftling of the world oder so ein Blödsinn. Jetzt wird er entlassen. So was regt mich auf. Wie wahnsinnig sind wir geworden? Nämlich nicht der, wir! Das kann doch nicht sein, dass man in die Zeitung kommt, weil man ein fescherer Verbrecher ist als die anderen Verbrecher! Und die jungen Menschen erleben das alles als normal. Die wachsen mit dem Irrsinn auf. Und dann wächst natürlich dieses Bedürfnis, sich in Szene zu setzen. Aber ist das nicht auch ein bissl wurscht? Für Sie vielleicht. Für mich nicht. Weil ich tagtäglich erlebe, dass Leute keine Leistung mehr bringen, weil sie abgelenkt sind vom dauernden Sich-Inszenieren. Weil dann die Leistung nicht mehr im Mittelpunkt steht, weil jeder selber im Mittelpunkt stehen will. Und das geht eben rauf bis in die Formel 1.
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Sie sagen: Sich nicht um die Wahrnehmung der anderen zu kümmern verbessert die eigene Leistungsfähigkeit? Zu hundert Prozent. Sich nicht drum kümmern, was die anderen denken, bringt einen weiter? Na und wie auch noch. Noch was kommt dazu: Wenn hundert Leute sagen, das und das ist richtig, dann mach ich das Gegenteil. Das hab ich immer so gemacht: Schauen, was die anderen vorleben, und dann in die andere Richtung gehen. Probieren Sie das einmal aus. Einfach genau das Gegenteil von allen anderen machen, da liegen Sie schon einmal zu mindestens 95 Prozent richtig.
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Das ist aber ganz schön arrogant, Herr Lauda. Ich versteh nicht, was daran arrogant sein soll, das Richtige zu machen. Kennen Sie das Excuse-Buch? (Gemeint ist „The Racing Driver’s Book of Excuses“, das nur in der Motorsportfolklore existiert; Anm.) Nein. Das ist aber berühmt, da steht nämlich alles drin, was schuld sein kann. Reifen, Lenkung, Motor, Kupplung, alles. Ein Bestseller im Motorsport. Nur mich hat das nie interessiert. Weil ich habe immer gesagt: Denk zuerst an dich, du Depp. Such den Fehler immer zuerst bei dir. Immer. Weil nur so kommst du weiter.
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Aber wenn der Reifen wirklich schlecht war? Na dann freuen Sie sich aber, weil ein kaputter Reifen ist das Bequemste, Sie sind eh super, Sie haben keine Schuld, alles super. Das einzige Problem: So werden Sie niemals Erfolg haben. Ihre Aufgabe ist nämlich, zu schauen: Was hätte ich tun können, dass ich trotz kaputtem Reifen gewonnen hätte? Und genau da beginnt’s unbequem zu werden, mit einer tiefgehenden Analyse in mich hinein. Wenn also der Reifen schuld ist, muss ich seinen Fehler gutmachen? Wenn Sie was erreichen wollen, dann ja. Sie müssen sich fragen: Warum hab ich den nicht ins Ziel geschleift, den depperten Reifen? So zu denken lernt man halt nur im Sport.
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Dieses Interview stammt aus der Juli-Ausgabe von "The Red Bulletin".
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