Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Niki Lauda: «Lindbergh war ein armer Hund»

Von Helmut Zwickl
Mit Niki Laudas Privat-Jet von Salzburg nach Long Beach: Zum 70. Geburtstag des dreifachen Weltmeisters erinnert sich Laudas Wegbegleiter Helmut Zwickl an eine abenteuerliche Reise von 1977.

Wir sind zu viert: Niki Lauda auf dem linken Sitz des Cäpt’n, Linien-Pilot Helmut Kaar neben ihm, Marlene Lauda und ich. Start in Salzburg, Richtung Norddeutschland. Ziel: USA/Westküste. Wir schweben in Flugfläche 350, das sind 10.600 Meter. Marlene liest sinnigerweise das Arthur-Hailey-Buch «Flug in Gefahr»...

Noch viel schneller als im Formel-1-Cockpit ist Niki Lauda im Flugzeug-Cockpit heimisch geworden. Bereits bevor er einen Privat-Pilotenschein hatte, besaß er eine zweimotorige Cessna «Golden Eagle». Und kaum hatte er dann den Privat-Pilotenschein, war ihm sein Kolbenmotorflieger schon nicht mehr schnell genug. Lauda kaufte sich 300 km/h dazu: eine Cessna «Citation». Dieser Klein-Jet schafft eine Reisegeschwindigkeit von 650 km/h.

«Um Flugstunden zu sammeln», aber auch aus Spaß und purer Lust am Abenteuer jettet Niki Lauda nun über den Atlantik: zum Long Beach Grand Prix nach Kalifornien.

Nach 3.14 Stunden landen wir in Glasgow. In den Tanks befinden sich noch Treibstoff-Reserven für eine knappe Stunde Flugzeit.

Wetter-Briefing: Ein Hoch steht über Grönland. Der Weiterflug nach Island sollte keine Probleme aufgeben. Der Tower gibt uns «Ocean-Freigabe». Für gewisse Koordinaten-Punkte westlicher Länge/nördlicher Breite müssen wir die voraussichtliche Überflugzeit vorausbestimmen und vorher im Flugplan protokollieren.

Erst in 9000 Meter tauchen wir aus dem Dunst des Festlandes auf ins gleißende Sonnenlicht. «Scottish-Radar» führt uns über Stornoway auf Kurs nach Island.

Marlene bereitet Essen vor: Brote mit Schinken, Pfefferwurst, Milch und Mineralwasser. Nachher gibt’s Kaffee.

Die Außentemperatur beträgt minus 43 Grad. Unsere Geschwindigkeit lässt sich auf einem Anzeigegerät ablesen, eine Art Tachometer, der die Entfernung zu einem Funkfeuer misst und daraus die Geschwindigkeit errechnet: im Moment 500 km/h. «Nicht schlecht», meint Niki.

«Scottish-Radar» reicht uns an «Färöer-Radar» weiter. Der Gegenwind wird stärker: 80 km/h. Dünn und spröde piepst dann die Anflugkontrolle von Reykjavik im Lautsprecher. Wir erhalten die Freigabe zum Verlassen der Reiseflughöhe. Island, dieser Adlerhorst im Nordatlantik, empfängt uns mit schönen Bildern: hohe Schichtwolken, die untergehende Sonne färbt die Krater messinggelb. Wir tauchen in das dichte Gewölk hinab. Die Frontscheibe vereist kurz. Das Sonnenlicht kommt jetzt nicht mehr durch. Unten ist es schon Abend.

Niki zieht die Cessna mit gedrosseltem Schub in weitem Bogen über die Bucht. Über dem Meer lässt sich die Höhe kaum abschätzen. Ist man noch 400 Meter oder nur noch 50 Meter hoch?

«Cleared to land» sagt der Tower. Unter uns Schiffe, dann niedrige Hütten. Wir setzen auf einer Landebahn auf, die einem Motocross-Gelände gleicht.

Bis zum Abendessen im Flughafen-Hotel hat es sich herumgesprochen, dass Niki Lauda hier ist. Reporter tauchen auf. Es gibt Interviews zur Hauptspeise und zum Nachtisch Blitzlichter.

Der nächste Morgen ist glasklar. Niki macht den Außencheck an der Maschine und lässt volltanken. Wir holen eine genau Wettermeldung für Grönland ein. Narssarssuaq, «die große Ebene», ist das Einfallstor nach Südgrönland. Der Flugplatz wurde im Zweiten Weltkrieg von der US-Air-Force unter dem Namen «Blue West» angelegt, 1958 aufgegeben. Für 180 Dollar öffnete man damals für uns den Platz, der das Wochenende über geschlossen ist.

Wir schreiben Samstag den 26. März 1977.

Langsam verlischt der Funkleitstrahl von Island. Damals gab es noch kein GPS. Wir fliegen weiter, schweben in 10.600 Meter Höhe. Der Autopilot führt uns in Richtung Grönland weiter. Die Windabtrifft wird geschätzt und der Kurs entsprechend korrigiert. Es ist behaglich warm an Bord. Alle Zeiger am Armaturenbrett stehen dort, wo sie stehen müssen. Der Funksprechverkehr wird immer schwächer.

Mit fällt Charles Lindbergh ein. Es war jetzt 50 Jahre her, seit ihm dieser epochale Flug von New York nach Le Bourget bei Paris gelang. Am 20. Mai 1927 hatte er mit seiner «Spirit of St.Louis» von einem dreckigen Airstrip in Long Island abgehoben. 33 und eine halbe Stunde später landete er in Paris. «Stellt euch vor» sagt Niki, «was der Lindbergh für ein armer Hund war. Der hatte nur ein Triebwerk, flog kaum 200 km/h schnell, hatte keinen Autopiloten, kein Funkgerät.»

Lindberghs größer Feind war der Schlaf. Oft war er nur wenige Meter über dem Meer geflogen, um sich durch die Nähe dieser tödlichen Gefahr wach zu halten.

Doch auch jetzt im Jet-Zeitalter ist ein gewisses Risiko nicht ganz auszuschalten. Wir wissen: Der Umkehrpunkt auf diesem Flug ist überschritten. Falls wir in dem Höllen-Fjord von Narssarssuaq nicht landen können, müssen wir wieder nach Norden, wo der dänische Zivilflugplatz Sondre-Strömford unser Ausweichflugplatz wäre. Würde auch dieser Platz «zugehen» wie es im Flieger-Jargon heißt, dann wären wir fällig. Unser Treibstoffvorrat, der für vier Stunden reicht wäre erschöpft. Niki meint nicht ohne Sarkasmus: «Dann blasen wir eben das Schlauchboot auf...»

Wir rufen immer wieder Narssarssuaq im Funk. Keine Antwort. Helmut Kaar: «Wir bleiben möglichst lange auf unserer Reiseflughöhe, um Sprit zu sparen. Ist Narssarssuag zu, fliegen wir gleich nach Sondre weiter.» Es wird spannend.

Marlene spürt das, schaltet sich ein: «Was ist da unten, schlafen die?»

Endlich eine Antwort. Aber völlig verstümmelt. Mit jeder Minute wird die fremde Stimme lauter und deutlicher. Endlich wissen wir es: Unten herrscht ein Sturm, Spitzenböen bis 80 km/h. Aber die Sicht ist gut. Die Wolkenuntergrenze müsste reichen. Also fädeln wir uns mit Hilfe eines Langwellen-Funkfeuers in den Fjord ein, links und rechts drohen Berge, wir stoßen hinab.

«Wie hoch sind die Berge? Passt auf, dass wir nicht abstürzen wie der Carlos Pace» warnt Marlene.

Dann bricht das Wolkenmeer auf. Unter uns Grönland. Eine bizarre Landschaft aus vereisten Fjorden, grünen Hochplateaus, kahlem Gebirge, blauen Gletschern.

Die Turbulenzen nehmen zu, je tiefer wir sinken. Der Picknickkoffer wirbelt auf einmal durch die Maschine.

«Das taugt mir» grinst Niki.

Ein gesunkener US-Transporter aus dem Zweiten Weltkrieg markiert den Anflug in den Fjord. Man muss links an dem Schiffswrack vorbei, sonst landet man im falschen Fjord. Und aus dem gib es kaum eine Rückkehr. Zum Wenden ist es zu eng. Es wäre an sich mit diesem Jet kein Problem, nach oben durchzustoßen. Aber – die Wolken liegen auch diesmal wie ein Deckel über dieser Rinne.
Die Turbulenzen werden so arg, dass man glaubt die Cessna bricht auseinander. Der Tower meldet Windböen bis zu 80 km/h und darüber.

Landung nach eigenem Ermessen. Knapp vor der Landung wendet sich Niki an Helmut Kaar: «Du landest, Du hast mehr Erfahrung als ich...»

Kaar übernimmt und landet die Maschine vom rechten Sitz mit etwa 220 km/h.

Wir rollen aus. Niki begründet seinen Entschluss: «Ich lass mich ungern auf eine Situation ein, die mein persönliches Limit übersteigt. Ich weiß, wenn ich hier schlecht aufsetze, reißt es mir womöglich einen Reifen runter, ein Rad ist womöglich hin, dann sitzen wir hier fest, und ich versäume den Grand Prix.»

Narssassuaq ist das Ende der Welt. Kaum zweihundert Menschen, durchwegs Geologen und Forscher lebten damals mit ihren Frauen in dieser Einöde. Wir tanken. Der Sturm draußen auf dem riesigen Rollfeld wirft uns beinahe um.

Die nächste Etappe ist nach Goose Bay angesetzt. Als wir aber merken, dass durch günstige Windverhältnisse der Sprit reicht, fliegen wir bis nach Sept-Iles (Kanada) weiter. Dort ist es Mittag. Wir wollen uns in Ruhe einen Kaffee genehmigen, doch Niki mahnt zum Aufbruch. So ist er immer, wenn man mit ihm unterwegs ist: kein Stillstand, Tempo, Tempo.

Kanada liegt im tiefsten Winter. Wir ziehen am Ontario-See vorbei und machen 10.000 Meter unter uns die verschneite Rennstrecke von Mosport aus. Am späten Nachmittag landen wir in Cleveland (Ohio). Spätestens auf dieser Etappe nach Kansas-City verlieren wir den Wettlauf gegen die Sonne. Wir haben 150 km/h Gegenwind ausgefasst und kommen nur langsam weiter.

Die Triebwerke singen so beruhigend wie Waschmaschinen. Stöße von Karten öffnen uns den Weg, werden aufgeklappt, zugeschlagen, weggelegt. Niki ist immer noch aufmerksam und hellwach wir ein Luchs. Pausenlos wandern seine Augen über die Instrumente. Seine Kondition und Konzentrationsfähigkeit ist bewundernswert.

Als wir von Kansas City aus in die dunkle Nacht aufsteigen, fallen wir einer Kaltfront in die Klauen. Das Schneegestöber entlässt uns erst in 8000 Meter Höhe. Wir beschließen in Albuquerque (New Mexico) runterzugehen. Niki Landet seidenweich. Das Aquaplaning beim Aufsetzen stört ihn nicht. Mit weichem Bremsen bei solchem Wetter kennt er sich aus.

Der zweite Nachtstopp.

Am nächsten Morgen liegen fünf Zentimeter Neuschnee. Wir schaufeln die Citation frei und starten zur letzten Etappe nach Long Beach. Aus dem Winter fliegen wir in den Frühling. Der Funkverkehr wird, je näher wir Los Angeles kommen, immer dichter. Mindestens zehnmal wechseln wir in den letzten 40 Minuten die Funkfrequenz. Die amerikanischen Fluglotsen sind phantastisch.

Als wir auf dem Flughafen von Long Beach aufsetzen, errechne ich unsere totale Flugzeit: 23 Stunden und 33 Minuten seit Salzburg.

Als Jody Scheckter von unserem Trip erfährt, schüttelt er den Kopf: «Hätt ich nie gemacht. Niki ist verrückt.» Scheckter besitzt eben mehr Kampf- als Pioniergeist.

Niki Lauda hat beides.

Übrigens: Niki startete beim USA West Grand Prix von der Pole und wurde auf Ferrari hinter

Mario Andrettis Lotus Zweiter.

Ich flog mit der Linie nach Hause.

Dieser Text erschien im Buch: «DAMALS - als Sex noch sicher und die Formel 1 gefährlich war».

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