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Enzo Ferrari: Unerreicht, unglaublich, unvergessen

Von Mathias Brunner
Mitte August 1988 hörte das Herz des Sport- und Rennwagenherstellers Enzo Ferrari auf zu schlagen, im Alter von, Moment mal, wie alt war der Italiener? Alleine seine Geburt ist Stoff für Legenden.

Vor 34 Jahren fiel ein Land in kollektive Trauer: Enzo Ferrari schloss am 14. August 1988 für immer Augen. In zahlreichen Nachrufen weltweit war davon die Rede, dass er am 20. Februar 1898 geboren worden sei, anderswo war vom 18. Februar die Rede. Typisch Ferrari, dass seine fabelhafte Laufbahn mit einer ungewöhnlichen Geschichte begann, so ungewöhnlich wie der Sport- und Rennwagenbauer sein ganzes Leben führte.

Enzo Anselmo Ferrari kam am 18. Februar 1898 auf die Welt, doch weil in der Region um Modena ein grimmiger Schneesturm tobte, stapfte Papa Alfredo Ferrari erst am 20. Februar zur Gemeinde, um die Ankunft des vortrefflichen Nachwuchses zu melden.

So jedenfalls die Legende. Bis vor einigen Jahren ein Wetterspezialist sich die Mühe machte und in alten Zeitungen nachschlug: Von einem Schneesturm in der Region konnte er nichts finden.

Was feststeht: Der Sportwagenbauer wurde 90 Jahre alt. Sein Sohn Piero sagt: «Selbst nach so vielen Jahren berühren mich die vielen Nachrichten zu seinem Todestag tief.»

Der grosse Ferrari selber fand es unnötig, ein Gedöns um seinen Geburtstag zu machen. Ein Zitat von Enzo Ferrari: «Wie ich in Erinnerung behalten werden will? Ich würde Schweigen vorziehen.»

Müsiggang verhasst

Ich fand es eine drollige Laune des Schicksals, wie der Tod des grossen Enzo Ferrari ausgerechnet in den «ferragosto» fällt, in die traditionellen Sommerferien von Italien und heute in die Sommerpause der Formel 1, denn Müsiggang war ihm verhasst. Piero Ferrari schmunzelt: «Mein Vater würde sich im Grab drehen. Er hasste ‘ferragosto’. Und er freute sich wie ein Kind, wenn er in Fiorano einen Test auf Mitte August ansetzen konnte.»

August und September sind hochemotionale Monate für Ferrari: Im August 1988 verstarb Firmengründer Enzo Ferrari, nur wenige Wochen später errangen Gerhard Berger und Michele Alboreto in Monza einen unerwarteten Doppelsieg, wenn wie üblich Anfang September das Heimrennen von Monza ansteht. Unerwartet deshalb, weil 1988 McLaren-Honda noch überlegener war als Mercedes-Benz in den ersten Jahren der Turbohybrid-Ära.

Ein Rückblende.

Die Kombination Ayrton Senna und Alain Prost fuhr 1988 mit dem McLaren MP4/4-Honda die Konkurrenz in Grund und Boden. In Monza schied Alain Prost zwar aus, aber Senna führte mühelos, und alles sah nach dem zwölften Sieg von McLaren im zwölften Saisonlauf aus.

Sternstunde in Monza

Auf den Tribünen waren die Tifosi so gut wie verstummt: Zwei Runden vor Schluss lagen die Ferrari von Gerhard Berger und Michele Alboreto zwar auf den Rängen 2 und 3, aber weit hinten. Die ersten Besucher rollten die gelben Fahnen zusammen und gingen nach Hause.

Senna kam dem Williams von Jean-Louis Schlesser näher. Der Franzose war für Nigel Mansell eingesprungen, der wegen Windpocken gar nicht erst angereist war. Senna rückte schnell auf, so schnell, dass Schlesser einen Moment lang zögerte. Das reichte, um den Bremspunkt zu verpassen und die Linie zu vermasseln. Senna zog aussen vorbei und stolperte dann über ein Rad des Williams – die Tifosi trauten ihren Augen nicht!

Keine 120 Sekunden später kreuzten die Ferrari zu einem unerwarteten Doppelsieg die Zillinie. Die Begeisterung war grenzenlos.

Ich stand damals zum Schluss des Rennens in der Boxengasse, wie eine gewaltige Welle wogte der Jubel über alles hinweg, dann stürmten die entfesselten Menschen die Rennbahn, die Polizei riegelte blitzschnell die Hinterausgänge der Boxen ab, und es bedurfte stattlichen Schweizer Körpereinsatzes, um dem Chaos ins Fahrlerlager zu entfliehen.

Erinnerungen wie ein Schatz

Enzo Ferraris Sohn Piero, inzwischen 77 Jahre alt, meint: «Selbst nach so vielen Jahren bin ich tief berührt von allen Nachrichten, die jeweils im August bei mir eintreffen, zum Todestag meines Vaters. Es ist schön zu wissen, dass der eigene Vater anhaltend geliebt und respektiert wird. Ich bewahre die Erinnerungen an ihn wie einen Schatz.»

«Es ist nicht einfach, mit der Öffentlichkeit so etwas Persönliches zu teilen wie den Todestag seines eigenen Vaters. Und doch mache ich das gerne, weil mich selbst heute noch jeden Tag Menschen kontaktieren, um mir zu sagen, wie wichtig Enzo Ferrari in ihrem Leben gewesen ist. Es geht nicht nur um Kunden oder Fans, es geht um Menschen, welche den Wagemut meines Vaters bewundert haben, seine Fähigkeit, Ziele anzustreben, das hat sie inspiriert.»

Ferrari ist dank Enzo Ferrari nicht nur zu einer der berühmtesten Automarken der Welt geworden, Ferrari hat die Formel 1 geprägt. Die Italiener halten fast alle wichtigen Rekorde im Grand-Prix-Sport, kein Team hat weltweit eine solche Gefolgschaft.

Journalist, Opernsänger, Rennfahrer

Enzo Ferrari wollte eigentlich Journalist werden, dann Opernsänger, schliesslich Rennfahrer. Er nahm an 47 Rennen teil und gewann für Alfa Romeo mehr als ein Dutzend Mal. Aber ihm war klar: Das Format der ganz grossen Fahrer würde er nie erreichen. Stattdessen gründete er 1929 die «Scuderia Ferrari».

Gesungen hat er nur noch in der Badewanne, den Journalisten hat er als Beinahe-Arbeitskollege akribisch auf die Finger geschaut und sie beim traditionellen Ferrari-Jahresabschlussessen tüchtig durch den Kakao gezogen.

Das vielleicht berühmteste Formel-1-Tier prangt natürlich auf dem Ferrari: das «cavallino rampante», das sich aufbäumende Pferd.

Die Geschichte des Logos

Der Legende zufolge trug der italienische Kampfflieger Francesco Baracca das Pferd auf seinem Flieger, weil er dem Kavallerie-Regiment angehörte, der «Piemonte Cavalleria». Andere Quellen sagen: Baracca übernahm das Pferd von einem Stuttgarter Kampfflieger, den er abgeschossen hatte.

Jedenfalls: Nach dem Tod des Fliegerasses traf die Mutter Baraccas, die Contessa Paolina Biancoli, den jungen Rennfahrer Enzo Ferrari und schlug vor, das Pferd als Glücksbringer aufs Auto zu malen. Enzo machte mehr als das – er hinterlegte das schwarze Pferd mit dem Gelb seiner Heimatstadt Modena und macht dieses Logo weltberühmt. Ein Pferd für die Marke mit den vielen Pferdestärken, das passte.

Erstmals war das Ferrari-Logo 1932 auf den Alfa Romeo 8C 2300 MM der Fahrerduos Antonio Brivio und Eugenio Siena sowie Piero Taruffi und Guido d’Ippolito zu sehen, beim Rennen in Spa-Francorchamps.

Was selbst vielen Ferrari-Fans unbekannt ist: Das Logo prangte noch vor dem Autorennen in Belgien auf einem Motorrad! Und zwar beim Zweiradrennen auf dem Circuito di Pontedera in der Provinz Pisa am 3. Juli – auf einer britischen Rudge-Maschine, die von der Scuderia von 1932 bis 1934 in der italienischen Meisterschaft eingesetzt wurde.

Mit dem Rückzug von Alfa Romeo wurde Ferrari zum unabhängigen Rennstall. Die Zerstörung des Werks von Modena 1943 erzwang einen Umzug nach Maranello. 1947 kam der erste Ferrari auf den Markt. Als Ferrari erstmals Alfa Romeo schlug, sagte Ferrari: «Es ist, als hätte ich meine Mutter ermordet.»

Die berühmteste Automarke der Welt

Eine beispiellose Erfolgsgeschichte begann. Ferrari wurde weltberühmt, kleine Kinder identifizieren rote Sportwagen sofort mit Ferrari. Der Chef war geliebt und gefürchtet zugleich, die Menschen nannten ihn «Commendatore», nach einem Orden, der ihm 1927 verliehen wurde. Er selber bevorzugt «Ingegniere», obschon er nie eine Ingenieurs-Ausbildung genossen hat. Hinter seinem Rücken tuschelten die Leute von «Drago», dem Drachen.

Enzo Ferrari war ein Meister der Manipulation, gewissenlos, wenn es darum ging, ein Ziel zu erreichen, aber auch butterweich – den Tod seines Sohnes Dino aus erster Ehe 1956 hat er nie überwunden. Den Kanadier Gilles Villeneuve liebte er wie einen Sohn und litt entsprechend, als der Lenkradkünstler 1982 ums Leben kam.

Enzo Ferraris Schwäche für schöne Frauen gehört zur Legende. Die Ferrari-Mitarbeiter sind an seinem herrischen Stil gewachsen oder daran zerbrochen. Legendär, wie er Fahrer gegeneinander ausgespielt hat, um das Beste aus ihnen herauszuholen. Das war selten elegant, zuweilen tödlich, aber der Erfolg heiligte seiner Ansicht nach die Mittel.

Enzo Ferrari ist auf dem Cimitero di San Cataldo in seiner Heimatstadt Modena zur letzten Ruhe gebettet.

Die wichtigsten Ferrari-Rekorde

Fahrer-WM-Titel (15)
Alberto Ascari 1952 und 1953
Juan Manuel Fangio 1956
Mike Hawthorn 1958
Phil Hill 1961
John Surtees 1964
Niki Lauda 1975 und 1977
Jody Scheckter 1979
Michael Schumacher 2000 bis 2004
Kimi Räikkönen 2007

Konstrukteurs-Pokale (16)
1961
1964
1975
1976
1977
1979
1982
1983
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2007
2008

Grand Prix-Einsätze (1043)

Pole-Positions (238)

Schnellste Rennrunden (259)

Siege (242)

Doppelsiege (85)

Dreifachsiege (8)

Vierfachsiege (2)

Siege von der Pole-Position aus (134)

Siege in Folge (14)
Von der Schweiz 1952 bis Schweiz 1953

Podestränge (789)

WM-Punkte (9046)

Führungsrunden (15.545)

Treuster Fahrer
Michael Schumacher (180 GP)

Siegreichster Fahrer
Michael Schumacher (72 Siege)

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