Pit Beirer/KTM über Rollstühle, Ernährung und Jet-Ski

Von Günther Wiesinger
Pit Beirer, querschnittsgelähmter Motorsport-Direktor von KTM, meistert sein Leben vorbildlich. «Mein Rat: Immer darüber nachdenken, was man noch machen kann. Und nicht darüber jammern, was man nimmer machen kann.»

Pit Beirer (44), der ehemalige Motocross-Weltklassefahrer, kümmert sich um ein möglichst erträgliches Rollstuhl-Dasein. Seit 2017 kann er an seinem Rollstuhl vorne sogar ein drittes Rad ankoppeln, welches über einen Batterieantrieb verfügt und ihn auf der Ambulanzfahrbahn rund um die Strecke kutschieren kann.

«Der Rollstuhl erreicht dann bis zu 17 km/h, die Batterieladedauer beträgt fünf Stunden», erzählte der Motorsport-Direktor von KTM. «Wenn ich essen gehe, lade ich den Akku inzwischen wieder auf.»

Pit, wenn du als querschnittsgelähmter Motorsport-Direktor ins neue KTM Factory Racing-Hauptquartier in Munderfing kommst, musst du keine Barrieren überwinden?

Ja. Das beginnt schon damit, dass ich den Luxus habe, zwei Rollstühle zu besitzen. Ich lasse also einen daheim in Simbach in der Garage stehen, hüpf’ einfach ins Auto rein und fahr’ los. Der zweite liegt im Kofferraum.

Bei deinen Rollstühlen sind in regelmäßigen Abständen technische Fortschritte zu sehen, auch im Design, wenn ich das richtig beobachtet habe.

Ich habe Gott sei Dank bei der Firma Sopur einen verrückten Rollstuhl-Entwickler gefunden, der selbst schon sehr lange im Rollstuhl sitzt und die Firma in Malsch bei Heidelberg gegründet hat. Mit ihm gemeinsam habe ich schon die verrücktesten Kleinigkeiten verbessert, weil wir beide davon besessen sind, die Rollstühle so klein und so leicht wie möglich zu machen.

Wir wollen die Reifen so nahe wie möglich am Körper. Die Greifreifen auch wieder so nahe an dem Körper. Denn jeder Zentimeter, den du an Breite rausholst und einsparst, kann darüber entscheiden, ob du in einem Restaurant in die kleine WC-Türe reinfahren kannst oder nicht.

Alle reden von den genormten Türen. Aber dass ich hinterher mit dem Rollstuhl mal auf eine Restaurant-Toilette muss, daran denkt keiner.

Bei uns werden die Rollstühle sehr breit gebaut, sehr bequem zum Reinsetzen, die Greifreifen sehr weit weg, damit du gemütlich rangreifen kannst, nur manchmal macht 1 cm den Unterschied, ob ich bei der Türe reinkomme oder nicht.

Jetzt habe ich bei der Firma Sopur einen Gleichgesinnten gefunden, so dass die Bremsen halt perfekt funktionieren und dass der Rollstuhl schmal ist. Ich möchte neben das Auto fahren, den Rollstuhl aber zusammenlegen können, wenn ich im Auto sitze und ihn dann über mich auf den Beifahrersitz reinziehen können. Ich habe mittlerweile meistens den Luxus, dass mir die Leute den Rollstuhl ausladen, wenn ich wo hinkomme. Aber wenn einmal niemand da ist, möchte ich alleine aus dem Auto rauskommen.

Dazu brauchst du jemand, der genau so extrem denkt, wie die besten Motorradentwickler und den Rollstuhl besser machen will als ein 0815-Kassenmodell.

Hast du in deinem KTM-Büro irgendwelche speziellen Vorkehrungen, die dir den Alltag erleichtern?

Gar nichts.

KTM hat ja Gott sei Dank lauter sehr neue Gebäude. Ich kann bei KTM auf jeden Parkplatz fahren und ohne Stufen in jedes Büro fahren, nicht nur in meines. Und wir haben überall Aufzüge in alle Stockwerke.

Im alten Werk in Mattighofen auch?

Das wäre eine Katastrophe, denn da gibt’s gleich am Anfang Stufen.

Aber ich war von Beginn weg im Hauptwerk, das ungefähr im Jahr 2000 neu gebaut wurde. KTM musste speziell für mich nie etwas umbauen. Ich glaube, sie haben an einer Passage vor dem Hauptwerk die Randsteine absenken lassen, weil dort eine kleine 10-cm-Stufe war.

Aber sonst sind für meinen relativ schmalen Rollstuhl in der heutigen Zeit die Türen immer so breit, dass ich durchkomme. Und eine Behinderten-Toilette hat mittlerweile auch jedes öffentliche Gebäude.

Ich fahre mindestens so oft zum Flughafen Salzburg und München wie zu KTM selber, wenn ich zu diesen vielen Rennserien auf der ganzen Welt unterwegs bin. Die Firma KTM und die Flughäfen dieser Welt sind meine liebsten Arbeitsplätze. Die Flughäfen fast noch lieber als bei KTM, weil dort die Türen automatisch aufgehen, wenn du hinfährst.

Hat es seit dem Unfall irgendwann eine Zeit gegeben, wo du gedacht hast: «Ist das heilbar?» Rechnet man insgeheim nicht mit einem Wunder? Oder hast du von solchen Szenarien nie geträumt?

Ich hoffe wie alle anderen Rollstuhlfahrer auch, dass irgendwann irgendjemand das Problem lösen kann. Aber ich glaube, aufgrund meiner Sportkarriere und meines jetzigen Berufs kennt mich jeder als Realist.

Und wenn du mal fast 15 Jahre im Rollstuhl sitzt, träumst du natürlich nicht mehr von einem Überbrückungskabel, das dir hinten irgendwer hinhängt und dann läufst du. Weil es nach 15 Jahren andere Probleme gibt, wie auch in den Gelenken, nachdem ich 15 Jahre sitze.

Ich bin völlig überzeugt, dass wir mit der Stiftung «Wings vor Life» schon sehr viel erreicht haben und dass dieses Problem irgendwann gelöst wird, so dass junge, frisch Verletzte geheilt werden können, wenn die Ärzte sehr kurz nach dem Unfall eingreifen können. Ich habe meine Zweifel, ob das mir noch etwas bringen wird. Und es ist mir mittlerweile auch wurscht.

Ich habe Gott sei Dank von Anfang an im Krankenhaus überlegt: «Natürlich hoffe ich, dass dieses Problem mit dem Rückenmark irgendwann gelöst wird. Aber was mache ich bis dahin?»

Wenn ich jetzt jeden Tag aufwach’ und träume, dass mir jetzt jemand das Problem löst und ich wieder laufen kann, ich realisiere aber irgendwann: «Daraus wird nichts.» Dann habe ich die schönsten Jahre meines Lebens verschenkt in der Hoffnung, irgendwann laufen zu können.

Ich habe versucht, jetzt auch die Jahre, in denen ich nicht laufen kann, zu den schönsten meines Lebens zu machen. Und es waren die schönsten. Denn ich habe mit meiner Familie und mit KTM so viele tolle Sachen erlebt, dass ich es extrem bereuen würde, wenn ich mit dem Frust, ich muss irgendwann wieder laufen, diese schönen Jahre verplempert hätte.

Ich kenne einige Rollstuhlfahrer, die das tun, die das einzige Lebensziel haben, wieder laufen zu können.

Ja, ich habe dieses Ziel auch.

Ich werde auch irgendwann laufen.

Aber ich kann nur jedem Rollstuhlfahrer empfehlen: Überlegt euch, was tun wir bis dahin?

Bis dahin musst du das genießen, was du noch hast und nicht das suchen, was du nicht mehr hast.

Mußt du irgendwie besonders auf deine Ernährung achten?

Ich versuche halt lieber Fisch, Hühnerfleisch oder Nudeln zu essen, ich vermeide allzu üppige Speisen.

Und beim Alkohol ist Vorsicht geboten?

Naja, wenn’s etwas zu feiern gibt, trink’ ich ein bisschen mit. Aber ich muss immer Herr meiner Sinne bleiben. Wenn ich im Rausch das Kathetern vergessen würde, hätte ich am nächsten Tag zwei kaputte Nieren.

Du treibst trotz deiner Behinderung alle möglichen Sportarten.

Ja, Handbike, Jet-Ski-Fahren, Skifahren, da fahre ich Monoski oder Sitzski, Schwimmen, Krafttraining in meinem eigenen kleinen Fitnessstudio, das sind die Sportarten, die ich am liebsten mache.

Beim Jet-Ski-Fahren in Kroatien bist du aber vor einiger Zeit in Lebensgefahr geraten.

Ich muss ehrlich sagen, das Jet-Ski-Fahren ist für mich heute eine der attraktivsten und emotionalsten Sportarten. Weil es das einzige ist, was mich an die Geschwindigkeit und an die Fliehkräfte wieder hinbringt.

Denn ein Quad ist zu gefährlich. Wenn du mit dem Quad abschmierst, bist du verletzt. Und ich bin nicht verrückt, denn das bisserl was ich an Gesundheit noch habe, möchte ich mir erhalten.
Wenn’s dich im Wasser mal runterhaut, passiert nichts.

Naja, mit dem Jet-Ski hast du schon eine gefährliche Situation erlebt.

Ja, da hatte ich noch keinen eigenen Jet-Ski. Es war das Jahr, bevor ich mir meinen eigenen Jet-Ski gekauft habe. Ich war mit einem geliehenen Jet-Ski unterwegs. Und ich überlege ja immer den nächsten Schritt. Also habe ich im Hafen probiert, ob ich auf den Jet-Ski wieder raufkomme, wenn ich umkippe und im Wasser lieg’.

Das hat problemlos funktioniert.

Ich bin auf das Ding rauf und raus aufs Meer gedonnert. Da draußen bin ich gestürzt, umgekippt. Ich muss klar unterstreichen: Es war ein technisches Problem. Auch der Sturz war die Folge eines technischen Problems, es war kein Fahrfehler. Der Jet-Ski ist nämlich umgefallen, weil er innen mit Wasser vollgelaufen war. Auf jeden Fall habe ich den Jet-Ski im Wasser umgedreht, aufgestellt, ich bin raufgeklettert – und wieder umgekippt. Und wieder umgekippt. Am Schluss hat mich der Jet-Ski gar nimmer raufziehen lassen. Er ist immer wieder umgekippt. Er hatte nämlich im Gehäuse ein Loch, deshalb ist der Innenraum mit Wasser voll gelaufen. Drum ist er nimmer stabil gewesen. Ich war fast am Ende meiner Kräfte.

Wie weit warst du vom Ufer weg?

Keine Ahnung. Ich war nicht mehr in Sichtweite von niemandem...

Irgendwann habe ich probiert, ob die Kiste noch läuft. Dann habe ich im Wasser liegend den Jet-Ski angeworfen, ich habe den Lenker in der Hand gehabt und mich durch das Gasgeben Richtung Land ziehen lassen. Ich lag neben der Kiste im Wasser... Ich habe mich zwei-, dreimal ausruhen und neue Kräfte sammeln müssen. Am Ende bin ich irgendwann wieder am Ufer angekommen,.

Wie gesagt: Man kann in meiner Situation noch relativ viel machen, wenn man will.

Aber mein Rat an alle andern: Immer darüber nachdenken, was man noch machen kann. Und nicht darüber jammern, was man nimmer machen kann.

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