Fans brauchen Helden
Zemke geniesst die Gunst der US-Fans
Viele Europäer verbindet mit den USA eine Hass-Liebe. Kommt man am Zoll an, will man am liebsten direkt wieder umdrehen. Wie einem Schwerverbrecher werden einem Fingerabdrücke abgenommen, dazu wird ein Foto gemacht. Fehlt nur noch die Sträflingskleidung. Und man sollte auf keinen Fall am Zoll husten. Sonst wird man im Handumdrehen der Schweinegrippe verdächtigt – auch wenn man nicht aus Mexiko kommend einreist.
Erst mal im Land drin, sind die meisten schwer beeindruckt. Für einen Europäer ist alles unvorstellbar gross. Der Staat Utah, in dem die Rennstrecke Miller Motorsports Park liegt, ist fast halb so gross wie Deutschland, hat aber nur 2,5 Millionen Einwohner.
Viele kennen Utah aus Wild-West-Filmen oder der Action-Serie «Airwolf». Das Monumental Valley gehört zu den bekanntesten Wahrzeichen.
Salt Lake City, das zirka 30 Auto-Minuten östlich der Rennstrecke liegt, wurde in Europa vor allem durch die Olympischen Winterspiele 2002 bekannt.
So beeindruckend die Natur in Utah ist, so erschreckend kann sie auch sein. Zuweilen mutet sie einer Mondlandschaft an. Die Berge sind auch im Sommer schneebedeckt, es herrscht Steppenklima. Wälder gibt es keine. Stattdessen den riesigen Salzsee, die grösste Kupfermiene der Welt, ein unterirdisches Lager für Chemie-Abfall und einen riesigen Army-Stützpunkt.
Auch in Utah ist, wie überall in den USA, alles ein bisschen grösser. Das Gefühl der Freiheit ist immer präsent. Hier kann man noch ohne Sturzhelm Motorradfahren, braucht beim Tanken keine Angst zu haben der Armut anheim zu fallen, und die Worte Dienstleistung und Service gewinnen eine ganz neue Bedeutung. Die Amis sind sehr freundlich, zuvorkommend, hilfsbereit. Hier ist der Kunde noch König. Kein Vergleich zu Europa.
Racing wird in den USA gelebt. Wer heute Rennen gewinnt, verkauft morgen Motorräder. Die Fans sind enthusiastischer und nicht so nüchtern analysierend wie Deutsche oder Schweizer. Schon eher wie Südeuropäer. Amis sind begeisterungsfähig. Mit Merchandising werden Milliarden Dollar umgesetzt. Und ein Fan ist nicht nur ein Fan. Eher ein Gläubiger.
Sehr passend, dass es im Mormonenstaat Utah viele Gläubige gibt ... wenn auch nicht ausschliesslich Renngläubige. Wobei diese immer mehr werden. Auch wenn John Hopkins nur als Zuschauer auf der Rennstrecke weilte, waren die Fans nicht unzufrieden. Schliesslich ist Ben Spies einer der Topstars der WM. Und mit Jake Zemke und Jamie Hacking waren zwei weitere bekannte Piloten aus der US-Meisterschaft dabei.
Viele US-Fans verfolgen die Superbike-WM inzwischen intensiv. Seit Colin Edwards haben sie sich nicht mehr so für diese Serie interessiert. Mit «ihrem» Ben Spies haben sie wieder eine Identifikationsfigur, einen Helden. Und ohne Helden geht in den USA bekanntlich nichts.
In der US-Meisterschaft sieht es dagegen weniger rosig aus. Die Startfelder sind ausgedünnt, im Fernsehen gibt es nur Wiederholungen. Kein Wunder, wenn die Fans auch über den grossen Teich blicken, wo sich die meisten Rennen der WM abspielen und «ihr» Ben Spies einer der Hauptdarsteller ist. Und wer weiss, vielleicht schadet es ihnen ja überhaupt nicht, wenn sie ihren Horizont erweitern und ihren Geist für neue Dinge öffnen.