Fazit Portugal: Thierry Neuville auf Titelkurs?
Nach Portugal-Sieg mit guten Titelchancen – Hyundai-Pilot Thierry Neuville
Dieses Mal behielt Thierry Neuville die Nerven. «Als ich das Auto von Sébastien Ogier im Wald habe liegen sehen, war ich ein paar Kurven lang unkonzentriert», gab der Hyundai-Werkspilot aus Belgien hinterher zu. Zumal kurz zuvor auch Ott Tänak gestrandet war. Damit waren der Tabellenführer und der Gesamtdritte raus aus der Rallye Portugal. Und der Meisterschaftszweite Neuville musste den Elfmeter nur noch verwandeln.
Noch letztes Jahr hätte die kurzfristige Nervosität wohl ausgereicht, um auch Neuville in einen Fehler zu treiben. Nicht so dieses Mal. «Mir war klar, dass dies eine Riesenchance war», erinnert er sich. Die beiden Hauptkonkurrenten im Titelkampf mit voraussichtlich null Punkten – so eine Chance gibt dir Ogier so gut wie nie und auch Tänak immer seltener.
Neuville blieb cool und verwaltete seinen Vorsprung bis ins Ziel – Saisonsieg Nummer zwei für den Belgier. «Wir haben Gas gegeben, wenn wir es mussten, und wir haben das Geschehen kontrolliert, wenn es möglich war», beschrieb er seine Taktik, Er fuhr sogar noch auf der abschließenden Powerstage, wo der Rallyeführende gerne mal Tempo herausnimmt und auf «Nummer sicher» geht, die zweitschnellste Zeit. Machte vier Extrapunkte, die am Saisonende vielleicht sehr wertvoll sind.
Ogier dagegen kam zum ersten Mal seit der Rallye Finnland 2017 nicht in den Punkterängen ins Ziel. «Der Unfall resultierte aus einem Fehler im Training», erklärte der fünfmalige Weltmeister. «Ich habe eine Kurve ziemlich weit geschnitten. Dass dort eine Wurzel im Gras verborgen ist, hätte mir im Training auffallen müssen.» Mit gebrochener Spurstange rodelte der Fiesta WRC in der nächsten Kurve mehr oder weniger lenkungslos von der Piste.
Und weil seine Startposition zur Powerstage miserabel war, holte Ogier nach dem Neustart mit repariertem Auto noch nicht einmal ein paar Extrapunkte. «Noch mal loszufahren, war totaler Blödsinn», maulte der vorläufig entthronte Ex-Tabellenführer. Am Ende nahm ihn sein Team M-Sport sogar aus der Wertung, um einige Fahrzeugkomponenten tauschen zu können, was nur bei einem «Ausfall» möglich ist.
Die gute Nachricht für den Ford-Piloten: Beim nächsten WM-Lauf auf Sardinien muss er zur Abwechslung einmal nicht zur ersten Etappe nicht als Erster starten. Der Nachteil des „Straßenkehrers“ ist auf der italienischen Mittelmeerinsel so groß wie sonst fast nirgendwo.
Der neue Tabellenführer Neuville hat nun 19 Punkte Vorsprung vor Titelverteidiger Ogier. Tänak ist mit 47 Zählern Rückstand sogar schon deutlich - möglicherweise vorentscheidend – abgeschlagen. Hyundai hat sich übrigens, auch im Kontrast zu vergangener Saison, an der Tabellenspitze der Markenwertung etabliert.
Hat Neuville, anders als 2017, das Zeug, die Spitze der Gesamtwertung bis zum Saisonende zu verteidigen? Gegen einen abgebrühten Ogier, der normalerweise maximal einen Fehler pro Jahr macht?
Zumindest spricht Einiges dafür, dass Neuville in Sachen Nervenkostüm nachgelegt hat. Der 29-Jährige macht nicht mehr so viele «unforced errors» wie früher.
Sein Vertrag mit Hyundai läuft zum Jahresende aus. Vielleicht motiviert ihn das zusätzlich. Seinen zeitweise umstrittenen Nummer-1-Status im Team gegen Andreas Mikkelsen, Hayden Paddon – in Portugal mit heftigem Unfall – und Dani Sordo hat er jedenfalls derzeit absolut sicher. Aber auch Citroën wäre nach fünf Jahren bei dem koreanisch-deutschen Team sicher eine überlegenswerte Alternative.
Bei der Rallye Italien (7. bis 10. Juni) wird sich zeigen, ob Neuville auch mit dem Druck umgehen kann, für Hauptkonkurrent Sébastien Ogier die Piste zu säubern. Dann wird sich herausstellen, ob Neuville clever genug ist, sein Tempo in erster Linie am Weltmeister auszurichten, und den Sieg notfalls kampflos anderen zu überlassen.