Aprilias lange Reise zum verdienten MotoGP-Sieg
Aleix Espargaró: Ein Siegerküsschen für seine RS-GP
«Es war eine lange Reise. Aber wir sind kontinuierlich gewachsen. Endlich hat sich die jahrelange Aufbauarbeit gelohnt», seufzte Aprilia-Technical Director Romano Albesiano nach dem Sieg von Aprilia beim Argentinien-GP. Der Italiener hatte in den ersten MotoGP-Jahren nach der Rückkehr von Aprilia 2015 viel Kritik einstecken müssen. Aprilia war damals ein Jahr früher als geplant in die WM zurückgekommen.
Der ehemalige Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen bezeichnete diesen hastigen Schachzug als Fehler, zumal sie mit Marco Melandri einen nicht motiviertem Topfahrer in die WM mitbrachten. «Sie haben 2015 nichts gelernt. Sie hätten lieber die Entwicklung des neuen MotoGP-Motors vorantreiben sollen. So musste sich Aprilia 2015 mit dem Superbike-V4-Motor abmühen und 2016 wegen der neuen Einheitstreifen von Michelin (statt Bridgstone) und der neuen Einheits-ECU von Magneti Marelli ganz von vorn beginnen», meinte Witteveen.
Piaggio-Group-Präsident Roberto Colaninno wurde damals nachgesagt, er sei einfach wütend gewesen, weil Gigi Dall’Igna im Oktober 2013 als neuer General Manager von Aprilia zu Ducati gewechselt sei. Dall‘Igna hatte damals betont, er habe noch ein letztes Ziel nach dem Gewinn der WM-Titel in den Klassen 125, 250 und bei den Superbikes, das sei ein Triumph in der MotoGP-WM.
Ducati gewann zwar 2020 und 2021 die Marken-WM, aber seit 2007 (Casey Stoner) keinen Fahrer-WM-Titel mehr.
Und jetzt führt ausgerechnet Aprilia-Werkspilot Aleix Espargaró nach drei Rennen in der Fahrer-Weltmeisterschaft 2022.
Vor einer Woche hatte Stefan Bradl im SPEEDWEK.com-Interview noch von der spannenden und aufregenden MotoGP-WM gesprochen und gemeint, es könnten fünf Werke Weltmeister werden, Aprilia sei die einzige Ausnahme.
Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta widersprach dann am Dienstag im Interview mit SPEEDEWEEK.com. «Aprilia ist sehr stark geworden. Aleix Espargaró war in diesem Jahr immer sehr nahe an der Spitze dran», gab der Spanier zu bedenken.
Aleix Espargaró hat zwar in der MotoGP zwei Jahre bei Suzuki in verbracht, doch dort stand er im Schatten von Maverick Viñales.
Bei Aprilia fährt er jetzt die sechste Saison, er ist die klare Nummer 1, doch er musste viele Rückschläge einstecken. Die Motoren waren lange zu schwach und nicht standfest, auch nach der Umstellung auf den 90-Grad-Zylinderwinkel fehlte es anfangs an Motorleistung.
Doch der neue Renndirektor Massimo Rivola, er kam aus der Formel 1 und ist seit Januar 2019 im Amt, sorgte für größere Budgets, er erhielt nach sieben Jahren Joint-Venture mit Gresini für die nächsten fünf Jahre zwei eigene Startplätze bei der Dorna. Aber er fand kein Kundenteam, selbst die Gresini-Truppe wechselte lieber als viertes Team zu Ducati statt als zweites Team bei Aprilia zu bleiben.
Doch Rivola holte nach etlichen umstrittenen Fahrerentscheidungen für 2022 noch Viñales neben Aleix Espargaró, der manchmal so verzweifelt war, dass er an Rücktritt dachte. Doch Aprilia bezahlte ihm dann 1 Million, und das Motorrad wurde schrittweise konkurrenzfähiger. Platz 3 in Silverstone 2021 wurde als erstes Podestplatz in der MotoGP-Geschichte von Aprilia gefeiert.
Pol Espargaró war bisher erfolgreicher als der ältere Bruder Aleix, der in den kleinen Klassen nie einen Grand Prix gewonnen hat, während Pol sogar Moto2-Weltmeister 2013 wurde.
In einer Zeit bei Red Bull-KTM sagte Pol einmal, sein Bruder habe schlechte Nerven, er werde in den entscheidenden Phasen und Situationen immer zu nervös. Doch diese Schwäche hat Aleix mit einem Mentaltrainer beseitigt.
Am Sonntag zeigte er in den 25 Rennrunden viel Übersicht, viel Können, viel Abgebrühtheit und Ruhe, viel Kampfgeist, er legte sich für das Finale eine sinnvoller Taktik zurecht und brachte den Soft-Hinterreifen offenbar in einem besseren Zustand ins Ziel als Pramac-Ducati-Held Jorge Martin.
Nach der Pole-Position und den starken Auftritten am Freitag (im FP2 fuhr Aleix Bestzeit vor Viñales) triumphierte Aleix Espargaró ausgerechnet bei seinem insgesamt 200. MotoGP-Einsatz erstmals in der Königsklasse.
Aprilia stieg 2002 in diese neue Kategorie ein, mit der 990-ccm-Dreizylinder-Cube, deren Motor bei Cosworth in England gebaut wurde. Nach drei Jahren zog sich Aprilia zurück. Das Werk war in die Zahlungsunfähigkeit geschlittert; Firmenchef Ivano Beggio musste sein Unternehmen an die Piaggio Group verkaufen.
Zu Zeiten der Claiming-Rule-Bikes (ab 2012) nahm Aprilia zum Beispiel beim Aspar-Team mit Aleix Espargaró und Randy de Puniet wieder an der «premier class teil», aber mit den Superbike-Motoren war natürlich nur in der CRT-Wertung etwas zu gewinnen. Erst 2015 kehrte Aprilia nach einem Joint Venture mit Fausto Gresini wieder in die MotoGP-WM zurück, 2016 erstmals mit einem echten neuen V4-Prototoyp mit 1000 ccm.
Es gab viele Rückschläge, das Budget konnte sich mit jenen der Konkurrenz nicht messen, dazu kamen seltsamer Fahrer-Verpflichtungen wie mit Melandri, Iannone, Redding, Lowes, Smith und Savadori und lange Zeit viel zu schwachen Testfahrern. Erst mit Dovizioso und dann Viñales 2021 gelang hier der Umschwung.
So wurde die Aprilia RS-GP von Jahr zu Jahr schlagkräftiger. 2022 verfügen die Italiener erstmals über zwei eigene Startplätze bei der Dorna (ohne Gresini), dazu wurde mit Viñales ein zweiter Topfahrer engagiert, nachdem Aleix Espargaró 2021 in Silverstone mit Platz 3 den ersten Podestplatz herausgefahren hat.
In der Königsklasse (500 ccm/MotoGP) stand zuletzt im Jahr 2000 eine Aprilia auf dem besten Startplatz – mit Jeremy McWilliams auf dem 500-ccm-Twin.
«Ich bin sehr happy und stolz darauf, was wir zu leisten imstande sind», seufzte Aleix schon am Samstag. «Das ist meine sechste Saison bei Aprilia. Ich weiß, wie weit unser Weg an die Spitze war, ich erinnere mich, wie stark wir gelitten haben. Heute haben wir bewiesen, das wir das schnellste Motorrad der Welt haben. Das ist etwas, was mich glücklich macht. Ich weiß, das ist nicht besonders wichtig, denn die Punkte werden erst am Sonntag vergeben. Es ist ein gutes Gefühl wenn man die Schnellste im Feld ist. Ich widme diesen Erfolg allen, die bei Aprilia an dem MotoGP-Projekt beteiligt sind, auch den Technikern in der Rennabteilung, die nicht an der Strecke sind sondern in Noale.»
Was die Aprilia-Mannschaft für Sonntag zuversichtlich stimmte: Aleix zeigte bereits im FP2 am Samstag eine eindrucksvolle Rennpace. Außerdem sorgte er in den Sektoren 2 und 3 immer wieder für Bestzeiten.
Auch Aprilia-Ingenieur Paolo Bonara traute Aleix nach dem starken Warm-up den ersten Sieg zu. «Wir haben viele Jahre auf den Tag gewartet, an dem wir die erste Pole-Position feiern konnten», sagte er. «Diese Piste passt zu unserem Bike, denn wir haben hier ein flüssiges Strecken-Layout ohne harte Bremszonen und dazu einige High-Speed-Kurven, die gut zu unserem Motorrad passen. Deshalb waren wir gespannt auf das Rennen.»
MotoGP-Ergebnis, Termas (3. April):
1. Aleix Espargaró, Aprilia, 41:36,198 min
2. Martin, Ducati, + 0,807 sec
3. Rins, Suzuki, + 1,330
4. Mir, Suzuki, + 1,831
5. Bagnaia, Ducati, + 5,840
6. Brad Binder, KTM, + 6,192
7. Viñales, Aprilia, + 6,540
8. Quartararo, Yamaha, + 10,215
9. Bezzecchi, Ducati, + 12,622
10. Bastianini, Ducati, + 12,987
11. Marini, Ducati, + 13,962
12. Nakagami, Honda, + 14,002
13. Oliveira, KTM, + 14,456
14. Miller, Ducati, + 14,898
15. Alex Márquez, Honda, + 23,472
16. Fernández, KTM, + 25,862
17. Gardner, KTM, + 28,711
18. Darryn Binder, Yamaha, + 28,784
19. Bradl, Honda, + 31,943
20. Dovizioso, Yamaha, + 3 Runden
– Di Giannantonio, Ducati
– Pol Espargaró, Honda
– Morbidelli, Yamaha
– Zarco, Ducati
WM-Stand nach 3 von 21 Grand Prix:
1. Aleix Espargaró 45 Punkte. 2. Brad Binder 38. 3. Bastianini 36. 4. Rins 36. 5. Quartararo 35. 6. Mir 33. 7. Oliveira 28. 8. Zarco 24. 9. Martin 20. 10. Pol Espargaró 20. 11. Miller 15. 12. Morbidelli 14. 13. Viñales 13. 14. Bagnaia 12. 15. Marc Márquez 11. 16. Nakagami 10. 17. Marini 10. 18. Bezzecchi 7. 19. Darryn Binder 6. 20. Alex Márquez 4. 21. Dovizioso 2. 22. Gardner 1.
Konstrukteurs-WM:
1. Ducati 61 Punkte. 2. KTM 55. 3. Aprilia 45. 4. Suzuki 37. 5. Yamaha 35. 6. Honda 24.
Team-WM:
1. Suzuki Ecstar 69 Punkte. 2. Red Bull KTM Factory 66. 3. Aprilia Racing 58. 4. Monster Energy Yamaha 49. 5. Pramac Racing 44. Gresini Racing MotoGP 36. 7. Repsol Honda 31. 8. Ducati Lenovo 27. 9. Mooney VR46 Racing 17. 10. LCR Honda 14. 11. WithU Yamaha RNF 8. 12. Tech3 KTM Factory 1.