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Gedanken an Senna: Der schwärzeste Tag der Formel 1

Von Andreas Reiners
Ayrton Senna

Ayrton Senna

Am 1. Mai 1994 verstirbt Ayrton Senna nach einem schweren Unfall in Imola noch auf der Strecke. Am kommenden Wochenende fährt die Königsklasse in Imola, und die Gedanken kommen automatisch zurück.

Es ist ja immer müßig, die Gedanken fliegen zu lassen. Zu mutmaßen: Was wäre gewesen, wenn? Es ist schließlich alles nur Theorie, die der Tod hinterlässt. Trotzdem verliert man sich immer wieder darin, spielt die Szenarien durch, lässt dabei der Fantasie freien Lauf. Überlegt, schwelgt, trauert. Sucht Trost.

Was, wenn Ayrton Senna damals angeln gegangen wäre? Wenn er seinem Impuls gefolgt wäre, der ihn damals am Vorabend jenes schicksalshaften 1. Mai 1994 weinen ließ? Oder wie würde die Formel-1-Welt heute aussehen, wenn er nach seinem Unfall einfach aus seinem Auto gestiegen wäre? Wie sein Leben?

Theorie. Nicht greifbar. Nicht erlebbar. Nicht passiert.

Das schwärzeste Wochenende

Denn am 1. Mai 1994 erlebte die Formel 1 in Imola das schwärzeste Wochenende ihrer Geschichte. Der Horrorcrash von Rubens Barrichello im Training, den er fast verletzungsfrei überlebte. Damon Hill meinte Jahre später im Rückblick: «Wir alle machten weiter mit dem Qualifying, denn wir hatten ja gesehen, dass unsere Autos stark wie Panzer sind. Man konnte vielleicht durchgeschüttelt werden, sich aber nicht verletzen.»

Wie sehr sie sich irrten. Denn nur einen Tag später, am 30. April, starb Roland Ratzenberger. 314 km/h. Ein beschädigter Flügel, die Tosa-Kurve. Und eine Betonbegrenzung. Der Österreicher, damals Rookie, hatte keine Chance. Er erlag seinen schweren Kopfverletzungen.

Wie Senna war Ratzenberger 34 Jahre alt und sehr beliebt bei Kollegen und dem gesamten Motorsport-Zirkus. Auch Senna mochte ihn. Durch dessen ehemaligen Teamkollegen Gerhard Berger und Masseur Josef Leberer - wie Ratzenberger auch ein Salzburger. Schon 1991 wäre Ratzenberger bei Jordan fast in der Königsklasse gelandet, ehe Sponsoren absprangen und Bertrand Gachot im Auto platznahm, ehe ihn ein gewisser Michael Schumacher ersetzte.

Entsprechend entgeistert war die Formel 1 an jenem Samstag in Imola. Die Königsklasse hatte den Tod als regelmäßigen Begleiter gerade erst ein wenig abgeschüttelt, die ständige Gefahr ein bisschen hinter sich gelassen: Zwölf Jahre war es her, dass in dem Italiener Riccardo Paletti ein Fahrer an einem Rennwochenende ums Leben kam.

«Was willst du noch beweisen?»

Bei Senna saß der Schock tief. An der Schulter von Formel-1-Chefarzt Sid Watkins weinte er um Ratzenberger. Und da ist die dann, diese müßige Theorie: Was, wenn Senna auf Watkins gehört hätte? «Was willst du noch beweisen?», hatte er Senna gefragt. «Hör auf und lass uns angeln gehen.»

Senna blieb.

Auch, wenn sich offenbar alles in ihm dagegen sträubte.

Seine damalige Freundin Adriane Galisteu erinnert sich, dass Senna ein «ganz schlechtes Gefühl» für das Rennen gehabt habe, er trotz seiner Pole Position nicht fahren wollte. Aber: Er hatte eine kleine rotweißrote Fahne im Cockpit - er wollte sie nach dem Rennen in Gedenken an Ratzenberger schwenken.

Hätte, wäre, wenn.

Hätte er nur auf seinen untrüglichen Instinkt gehört. Es kam ja sogar noch ein «Warnschuss»: Der Portugiese Pedro Lamy raste beim Start des Rennens im Lotus in den stehen gebliebenen Benetton des Finnen JJ Lehto. Fahrzeugteile flogen umher, Zuschauer wurden verletzt.

Das Unheilvolle lag in der Luft

Das Unheilvolle, das in der Luft lag, wiegt immer schwerer. Niemand wollte wirklich ein Rennen fahren. Doch wie heißt es so schön: The Show must go on. Bis «die Sonne vom Himmel fiel».

So fasste der heutige DTM-Chef Berger in einem Satz das zusammen, was in den nächsten Runden geschah. Berger kommt damit dem Empfinden von Familie, Freunden und Fans wohl am nächsten.

«Senna war für mich unverwundbar», sagte Teamchef Frank Williams einmal über seinen damaligen Piloten. Berger sagte: «Wir hielten ihn für unzerstörbar.»

Bis zum 1. Mai um 14.17 Uhr, als sein Williams in der gefürchteten Tamburello-Kurve ausbricht.

Es ist so ein Moment, an den sich alle erinnern, die ihn erlebt haben, egal wo. Auch der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel, zu dem Zeitpunkt sechs Jahre alt. «Ich erinnere mich an den Moment. Aber ich wusste damals nicht, was es bedeutet. Ich wusste nicht sofort, dass er tot war. Aber mein Vater war ein großer Senna-Fan und er war sehr geschockt.»

Vettel rückblickend: «Auf der ganzen Welt sind die Fans zu dieser Zeit verstummt. Es ist ein großer Verlust für die Formel 1.»

211 km/h hat Senna drauf, als er in die Mauer rast. Das Rennen wird abgebrochen. Auf den TV-Bildern ist bei den hilflosen Streckenposten die ungläubige Hektik des Moments zu spüren, die Tragik wiederum, als Luftaufnahmen den zur Seite geneigten Kopf des Brasilianers im zerstörten Williams zeigen. Die Live-Bilder sind unbarmherzig, halten gnadenlos drauf, zeigen den Kampf um Sennas Leben.

Seine Seele verlässt ihn

Watkins ist bei ihm. «Wir haben ihn aus dem Wagen gehoben, und als wir ihn auf den Asphalt legten, seufzte er. Ich bin absolut ungläubig, doch in diesem Moment hatte ich das Gefühl, als hätte ihn seine Seele verlassen.»

Um 18.40 Uhr ist der Kampf endgültig verloren, Senna wird im Krankenhaus offiziell für tot erklärt.

Zweieinhalb Stunden zuvor hat Michael Schumacher das zwischenzeitlich wieder aufgenommene Rennen gewonnen, so wie später auch den Titel.

Es ist bis heute nicht klar, was genau die Ursache für den Unfall war, es gibt zahlreiche Theorien dazu. Eine Vermutung: eine gebrochene Lenkstange. Eine Strebe der Radaufhängung durchbohrte Sennas Helm und verletzt ihn tödlich. Drei Prozesse wurden in Italien zu dem Unfall geführt, alle endeten «aus Mangel an Beweisen» ohne Schuldspruch.

Schuldig fühlt sich Adrian Newey trotzdem.

Newey fühlt sich schuldig

«Was den Unfall verursachte, lässt mich bis zum heutigen Tag nicht los», sagte der damalige Williams-Chefdesigner: «Es war eine extrem schwere Zeit. Ich habe nie darüber nachgedacht, dass jemand in einem Auto, für das ich verantwortlich war, verletzt oder sogar getötet werden könnte.» Er glaubt nicht an die Theorie mit der Lenksäule, sondern an einen schleichenden Plattfuß oder daran, dass das Auto aerodynamisch zu instabil war.

Die Formel 1, die sich bis dahin unverwundbar fühlte, vorher mehr Glück als Verstand hatte und egozentrisch in einem Zustand der Jagd nach mehr Technik und Geschwindigkeit alle Warnsignale missachtete, wurde brutal in die Realität geholt. Durchgerüttelt, durchgeschüttelt.

Doch sie lernte daraus. Und erhöhte mit vielen Neuerungen wie zum Beispiel mit der Kopf-und-Nacken-Stütze HANS oder größeren Auslaufzonen die Sicherheit.

Es ist nur eines der vielen Vermächtnisse der Formel-1-Legende.

Wie seine Vorbildfunktion für so viele junge Rennfahrer. Senna hätte es sicher begrüßt.

Ja, auch das mag müßig sein. Trotzdem ist der Gedanke tröstlich.

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