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Halbzeitbilanz: Sébastien Ogiers Thron wackelt

Kolumne von Christian Schön
Drei Hauptdarsteller der WM 2018 – Thierry Neuville, Julien Ingrassia, Sébastien Ogier (von links)

Drei Hauptdarsteller der WM 2018 – Thierry Neuville, Julien Ingrassia, Sébastien Ogier (von links)

Die Rallye Italien war der siebte von 13 WM-Läufen der Saison 2018. Zeit für eine Analyse und eine Vorschau

Mit dem Sieg bei der Rallye Italien hat Thierry Neuville einen großen Schritt in Richtung Fahrertitel gemacht. Auch für Hyundai sieht’s in der Markenwertung gegen Ford gut aus. Toyota steckt in einem Formtief, auch weil Jari-Matti Latvala das Pech treu bleibt. Und bei Citroën brennt die Hütte. Mit diesen knappen Worten lässt sich die erste Halbzeit der WM-Saison zusammenfassen.

Doch schauen wir uns den Verlauf der ersten Jahreshälfte im Detail an. Mit jeweils drei Siegen haben sich Thierry Neuville (Hyundai) und Sébastien Ogier (Ford) schon deutlich vom Verfolgerfeld abgesetzt. Zwischen diesen beiden wird der Titelkampf ausgefochten, darauf würde ich wetten.

Momentan spricht alles für den Belgier. In Italien hat er Ogier im offenen Zweikampf geschlagen. Neuville hat den fünfmaligen Weltmeister in der letzten Wertungsprüfung überholt – in der Vergangenheit eine klare Domäne von Ogier. Das zeugt von Neuvilles derzeitigem Höhenflug in Sachen Nervenstärke und Selbstbewusstsein.

Ogier macht dagegen in letzter Zeit für sein Level erstaunliche Fehler, zum Beispiel der Ausrutscher in Portugal. Und da reden wir noch nicht über Beifahrer Julien Ingrassia. Der muss sich offensichtlich hin und wieder einen dicken Patzer leisten. Am vergangenen Wochenende in Italien vergaß er die Bordkarte an einer Durchfahrtskontrolle – so etwas passiert eigentlich nur blutigen Anfängern.

27 Punkte Rückstand auf Neuville sind heftig, der selbst verschuldete Nuller von Portugal könnte Ogier noch teuer zu stehen kommen. Neuville war 2018 bisher nie schlechter als Sechster. Für Ogier spricht, dass in der zweiten Saisonhälfte einige Rallyes anstehen, bei denen Neuville in der Vergangenheit nicht gerade glänzte. In Finnland, Deutschland und Spanien hat Ogier die besten Chancen zur Aufholjagd.

Ähnliches gilt für Ott Tänak (Toyota). Der Este hat bereits 72 Zähler Rückstand auf Neuville und immerhin 45 auf Ogier. Ein Sieg (Argentinien) ist halt ein bisschen wenig.

Allerdings muss man einen Teil des Problems auch beim Auto suchen. Der Yaris WRC hat erstaunlich oft technische Probleme. Am häufigsten davon betroffen: Jari-Matti Latvala, der geborene Pechvogel. In Italien rumpelte er über einen riesigen Felsbrocken, der hinter einer Kurve mitten auf der Ideallinie lag – keine Chance zum Ausweichen, in der Folge ein Motorschaden. Aber am Jahresende wird wohl kaum jemand danach fragen, wie groß Latvalas persönlicher Anteil an seiner schwächsten Saison seit langem war.

Toyota liegt zur Saisonhalbzeit in der Markenwertung sogar noch hinter Ford, wo Ogier mehr oder weniger eine One-Man-Show abzieht. Oder können Tänak, Latvala und Esapekka Lappi das Blatt in der zweiten Saisonhälfte noch wenden?

Als nächstes steht das Heimspiel der japanisch-finnischen Mannschaft an. Als einziges Werksteam darf Toyota in Finnland unbegrenzt testen. 2017 münzte Lappi diesen Vorteil in einen Sieg um – bei seiner Premiere im World Rally Car. Alles andere als ein erneuter Sieg wäre eine Enttäuschung für die Truppe von Tommi Mäkinen. In Deutschland hat Tänak letztes Jahr gewonnen (im Ford). Die Karten zumindest in der Markenwertung stehen für Toyota also gar nicht so schlecht.

Definitiv keine Rolle im Titelkampf wird Citroën spielen. Kris Meeke mitten in der Saison vor die Tür zu setzen, war hart, aber aus Sicht eines emotionslos handelnden Herstellers verständlich. Dass Mads Östberg kein vollwertiger Ersatz ist, dürfte auch Teamchef Pierre Budar klar sein. Aber wo will er diesen hernehmen?

Vor Saisonende dürfte Budar kaum eine neue Nummer 1 finden. Superstar Sébastien Loeb hat jedenfalls schon abgewinkt. Vielleicht hat der neunmalige Weltmeister bei seinen zwei Gastauftritten (Rang fünf in Mexiko, 14. in Frankreich/Korsika), die nicht gerade von überragendem Erfolg gekrönt waren, realisiert, dass ein halbherziges Comeback keinen Sinn macht.

Ich denke, die zweite Saisonhälfte 2018 wird ähnlich spannend verlaufen wie die erste. Und die hatte es in sich. Bei der Rallye Portugal fuhren zehn verschiedene Fahrer Bestzeiten – gab es das in den 45 Jahren der Rallye-WM schon einmal?

Das Powerstage-Ziel der Rallye Italien war für mich übrigens ein Musterbeispiel dafür, warum Rallyes in Sachen Publikumsnähe alle Motorsportarten auf der Rundstrecke um Meilen schlagen. Wie Thierry Neuville und Beifahrer Nicolas Gilsoul inmitten von Hunderten von Fans ihren Sieg gefeiert haben – das war ein purer Gänsehaut-Moment.

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