Reifenbohei: Wie man der DTM ins Knie schießt

Von Andreas Reiners
Am Nürburgring waren die Reifen ein großes Thema

Am Nürburgring waren die Reifen ein großes Thema

Die DTM erlebte am Nürburgring mal wieder eine dieser Geschichten, die mehr Staub aufwirbelte als nötig. Weil der Lerneffekt leider immer noch sehr bescheiden ist.

René Rast hatte DTM-Geschichte geschrieben. Die maximale Punktzahl geholt. Jackpot. 56 Punkte. Mehr geht nicht. Der Titelverteidiger ist so gut drauf, dass er sogar noch ein Wörtchen im Titelkampf mitreden kann.

Zwei Husarenritte auf die Pole Position und anschließend zum Sieg: Es war ein beeindruckendes Rennwochenende des Audi-Stars. In der Mixed Zone wurde dem 31-Jährigen dann zuerst die Frage gestellt, welche Rolle denn jetzt die Reifen gespielt haben. Ob man am meisten von den Änderungen profitiert habe. Typisch DTM. Ein Thema beherrschte ein ganzes Wochenende, wurde so aufgebauscht, dass es den Titelkampf in den Hintergrund rückte.

SPEEDWEEK.com beantwortet die wichtigsten Fragen.

Worum geht es?

Kurz gesagt darum, dass der Mindestkaltluftdruck der Reifen verbindlich festgelegt wird. Am Nürburgring waren es 1,3 bar. Daran müssen sich alle halten, sonst droht eine Disqualifikation.

Vorher war die Zahl nur eine Empfehlung, was viele als Reglements-Grauzone dazu nutzten, das Limit zu suchen. Teilweise ging der Luftdruck abenteuerlich weit nach unten, was wiederum zu den extremen Strategien mit Stopps in Runde eins geführt hatte. Weniger Luftdruck bedeutete auch, dass man länger mit den Pneus fahren konnte, die im Parc ferme aber ihren Geist aufgaben und teilweise böse ramponiert aussahen. Ein akutes Sicherheitsproblem. Deshalb griffen Hankook, ITR und DMSB ein und machten aus der Empfehlung eine Vorgabe. Was vor allem bei Mercedes eine Menge Arbeit zunichte machte. Alle drei Hersteller mussten in Sachen Setup von vorne beginnen, Mercedes aber noch ein bisschen weiter vorne als der Rest.

Was sagt Mercedes?

Vor allem am Samstag war das Mercedes-Lager stinksauer. Mercedes-Teamchef Ulrich Fritz wetterte in recht deutlichen Worten: «Neutral betrachtet ist es ein deutlicher Eingriff in die Meisterschaft. Wir haben einen guten Job gemacht, das Paket verstanden. Das alles nochmal durcheinander zu würfeln – wenn das jemand zur Spannung braucht. Für uns ist das einfach enttäuschend. Man fragt sich, ob das alles so Sinn macht.»

Am Sonntag ruderte er zurück, formulierte seine Worte bedachter, sprach auch davon, selbstkritisch sein zu müssen. Wohl bedingt durch die Erkenntnis, dass das Gesagte vom Samstag weit über das Ziel hinausgeschossen war. Da war das Kind aber schon in den Brunnen gefallen.

Auch Spitzenreiter Gary Paffett hatte einen Hals. «Es ist ein absoluter Neustart. Das Setup des Autos hat sich komplett verändert. Es ist frustrierend, dass die Performance, die wir uns erarbeitet haben, komplett verloren gegangen ist. Die neuen Regeln haben den Ausgang der Rennen komplett verändert. Aus meiner Sicht war das absolut nicht nötig.»

Was sagt die Konkurrenz?

BMW kommt die Umstellung entgegen. Dementsprechend locker geht man in München mit dem Thema um. BMW-Boss Jens Marquardt: «Ich sehe nicht, wie sich da ein Blatt wendet. Nicht fünf Daimler unter den ersten sechs zu sehen finde ich sehr spannend. Dass ein paar BMW wieder mit dabei sind, ist auch wieder gut. Wenn Mercedes die Vorgabe nicht umgesetzt, sondern etwas Anderes gemacht hat, dann ist das ihre Verantwortung.»

Auch Audi-Motorsportchef Dieter Gass relativiert den Eingriff in die Meisterschaft. «Wer die Meisterschaft gewinnt ist doch klar? Die Situation ist für alle neu und für alle gleich. Jetzt versuche ich damit umzugehen und das Beste daraus zu machen.»

In Richtung Mercedes gab es noch einen deutlichen Seitenhieb: «Wenn Mercedes sich aufregt, dann kann ich das absolut gar nicht verstehen. Die sind in ihrem letzten Jahr unterwegs, fahren alles kurz und klein und meckern jetzt noch einmal rum.» Die meisten anderen Fahrer wollten dazu gar nichts groß sagen. Es sei für alle gleich, so der Tenor. Mike Rockenfeller sagte wohl den passendsten Satz des Wochenendes dazu: «Viel Lärm um Nichts.» Genau. Nur ist Lärm um Nichts leider nun mal trotzdem Lärm.

Was sagt die ITR?

Man war am Nürburgring damit beschäftigt, die Pferde ein wenig einzufangen. Kleinere Brände zu löschen, nachdem das Thema von Stunde zu Stunde mehr hochkochte und sich verselbständigte. Vor allem wollte man dem Gerücht entgegentreten, dass das Ganze nicht gemacht wurde, um Spannung in den Titelkampf zu bringen, sondern aus Sicherheitsgründen.

Von DTM-Chef Gerhard Berger gab es ein offizielles Statement. Der Bogen bei den Luftdrücken sei schlichtweg überspannt worden, so der Österreicher. «Mit Blick auf die Sicherheit wurde daher der Mindestluftdruck bindend festgelegt. Nun zeigt der Reifen genau das Verhalten, auf das sich die ITR zusammen mit den Herstellern bei der Neueinführung dieser Reifenspezifikation für die Saison 2017 verständigt hatten.»

Wie fährt sich das Auto denn jetzt?

René Rast sagte, der Unterschied sei groß, man fahre wie auf Ballons, es sei schwer zu managen. Bruno Spengler freut sich über mehr Spannung. «Es bringt im Rennen auch etwas Interessantes. Wenn einer zu früh im Rennen stoppt, dann hat er am Ende des Rennens Probleme. Wer während der Mitte des Rennens weit hinten ist und spät stoppt, der kann vielleicht wieder aufholen. Deshalb macht es die Sache allgemein wieder sehr interessant. Fünf bis zehn Runden Unterschied beim Boxenstopp können einen riesigen Unterschied am Ende des Rennens machen.»

Ist es denn tatsächlich ein Eingriff?

Klar. Ob man es nun als Änderung der Reifenregel oder Verpflichtung einer vormaligen Empfehlung bezeichnet, ist völlig egal. Wenn etwas während einer Saison rund ums Reglement verändert wird, ist es ein Eingriff. Wie groß der ausfällt, ist eine andere Frage.

Auf dem Nürburgring wurde die Meisterschaft zwar nicht komplett auf den Kopf gestellt, das Feld war aber dichter beisammen, der große Mercedes-Vorteil war in der Tat futsch. Es war das erste Rennwochenende in diesem Jahr ohne Mercedes-Sieg. Größter Profiteur war BMW. So gesehen war es auch sportlich ein Eingriff. Dass Mercedes aber noch die drei Titel verliert, ist höchst unwahrscheinlich. Und es war auch nicht so, dass die Stuttgarter plötzlich dem Feld hinterherfuhren.

Klar ist: Bei einer Sicherheitsfrage gibt es keine zwei Meinungen. Eine klare vertritt dabei Hankook, der Reifenpartner pochte vehement auf die Umsetzung. Mit dem nachvollziehbaren Gedanken: Wenn etwas passiert, ist das Geschrei groß und die Kritik, warum man nichts getan hat, obwohl man es vorher wusste, berechtigt.

Was ist das Problem?

Eingriff hin oder her: Den gemeinen Fan dürfte der Mindeskaltluftdruck wenig bis gar nicht interessieren. Er will geile Rennen, Action, Spannung, eine Wurst und ein paar Bier. Unterhaltung, Spaß.

Was er noch nie wollte und definitiv nicht will: Politik, Klüngeleien und Mauscheleien hinter den Kulissen. Genauso kommt die ganze Geschichte aber rüber, wenn sie nicht offen kommuniziert wird. Nach dem Motto: «Mercedes ist zu überlegen, bremsen wir die mal ein.» Weiteres wildes Gerücht: Die Änderung wurde vorgenommen, um die Stopps in der ersten Runde loszuwerden und die Rennen für die Fans damit verständlicher zu machen.

Ob nun hanebüchener Quatsch oder nicht, diesen schlechten Ruf hat die DTM bei vielen Wegbegleitern immer noch, weil sie ihn sich über Jahre hart erarbeitet hat. Auch wenn viele alte Zöpfe abgeschnitten wurden und ein anderer Wind weht: Man traut dem Geschacher im Hintergrund immer noch nicht über den Weg.

Warum Mercedes zunächst so einen Aufriss veranstaltet hat, scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, menschlich. Schließlich wurde die Arbeit an einem funktionierenden Gesamtpaket kaputt gemacht. Man kann auch nachvollziehen, dass sich Mercedes standesgemäß verabschieden will, aber das sollte nicht um jeden Preis passieren. Mit dem Ausloten des Reifenlimits in besagter Grauzone hat sich Mercedes so weit an die Spitze katapultiert, dass das Bohei völlig übertrieben wirkt. Mindestens aber unnötig ist. Wie ein souveräneres Verhalten aussehen kann, zeigte Audi, als die Ingolstädter die Kröte, dass die Aerodynamik vor der Saison beschnitten wird, nach außen hin deutlich klagloser schluckten.

Was sich die Verantwortlichen noch vorwerfen lassen müssen: Dass nicht vor der Saison ein Riegel vor die Grauzone geschoben wurde. Sprich: Wäre die Empfehlung von Anfang an eine Vorgabe gewesen, wäre es wohl nicht so weit gekommen. Zu glauben, dass sich Hersteller, Teams oder Ingenieure in der heutigen Zeit im sportlichen Wettbewerb an Empfehlungen halten, ist leider vollkommen naiv.

Denn klar: Politische Spiele gibt es in der DTM natürlich immer noch, wird es auch immer geben. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Und da ist das Problem: Die ganze Geschichte ist mal wieder ein guter Beweis dafür, wie die Serie auf sensible und heikle Themen reagiert - bisweilen immer noch wie ein Elefant im Porzellanladen. Oder gar nicht. Aus mangelnder oder nicht vorhandener Kommunikation gelernt haben sie ganz offensichtlich nicht. Dabei geht es in Zeiten des Mercedes-Ausstiegs nicht nur um den Fan, sondern auch um eine gewisse Außenwirkung. Schließlich will man ja neue Hersteller auf die Plattform locken, die sich gerne als sehr professionell bezeichnet, in solchen Situationen aber oft ein unglückliches Gesamtbild abgibt. Das gilt dabei für alle Beteiligten.

Anstatt also im Vorfeld das Thema abzuarbeiten und den Wind aus den Segeln zu nehmen, zog sich die Reifengeschichte durch das komplette Rennwochenende, der Titelkampf mit zwei Mercedes-Fahrern, die zwei Punkte trennen und die Aufholjagd des Titelverteidigers rückte in den Hintergrund. Sehr professionell wirkte das leider nicht.

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