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Lichtgestalt für Brasilien: Fittipaldi oder Piquet?

Von Mathias Brunner
​​Seit Felipe Massa Ende November 2017 in Abu Dhabi in Formel-1-Rente gegangen ist, klafft hinter ihm ein schwarzes Loch: Erstmals seit 1970 haben wir keinen brasilianischen GP-Stammfahrer!

Die brasilianische Rennlegende Emerson Fittipaldi umarmte zum Schluss der Formel-1-Saison 2017 seinen Landsmann Felipe Massa. Fittipaldi, Formel-1-Weltmeister von 1972 und 1974 sowie Indy-500-Sieger und IndyCar-Champion, schaute regelmässig bei Massa vorbei, wenn er einen Grand Prix besuchte. Ihr Zusammensein war von hohem, symbolischen Charakter.

Denn Emerson Fittipaldi war der erste brasilianische Stammfahrer im GP-Sport, als ihn Lotus-Chef Colin Chapman 1970 in die Formel-1-WM holte. Es begann eine Serie, die bis 2017 ungebrochen blieb: Brasilien hatte immer Piloten in der Formel 1. Um nur die Wichtigsten zu nennen – Emerson und Wilson Fittipaldi, José Carlos Pace, Nelson Piquet, Ayrton Senna, Rubens Barrichello, Felipe Massa. Brasilien schien über Jahrzehnte ein fast unerschöpfliches Reservoir an vielversprechenden Piloten zu haben, doch seit Felipe Massas Rücktritt blicken die Fans in die Röhre. Die Saison 2018 ist das erste Jahr seit 1969 ohne brasilianischen Piloten mit Formel-1-Festanstellung.

Schon als Felipe wegen Schwindelgefühlen Ende Juli 2017 in Ungarn das Handtuch werfen musste (für ihn kletterte der Schotte Paul Di Resta in den Williams), verfielen Statistiker ins Grübeln: Genau, es war 606 Rennen her, dass wir einen Grand Prix ohne Brasilianer im Startfeld erlebt hatten, beim Grossen Preis von San Marino 1982. Es war das Skandalrennen von Imola, als der Sport zerrüttet war im Machtkampf zwischen dem Automobilverband und den englischen Herstellern im Bernie Ecclestone, als die meisten britischen Teams dem Grand Prix fernblieben, daher war von Nelson Piquet und Chico Serra in Imola nichts zu sehen. Es war auch das Rennen mit dem erbitterten Ferrari-Duell zwischen Gilles Villeneuve und Didier Pironi.

Zurück zum Thema: Schon seit Jahren fällt in Interlagos auf, dass die Zuschauerzahlen rückläufig sind. Während in Mexiko-Stadt 90.000 Fans zu einem Freitagtraining kommen, verliert sich in São Paulo ein Bruchteil davon auf den Tribünen. Der grösste Grund für den krassen Unterschied bei den Zuschauerzahlen: Die Mexikaner gieren förmlich nach der Formel 1. In Brasilien hingegen hat sich eine gewisse Formel-1-Müdigkeit eingeschlichen.

Das liegt vorrangig an den Identifikationsfiguren. Den Fans war seit Jahren klar, dass Felipe Massa Siegen und dem WM-Titel nie wieder so nahekommen würde wie zu seiner besten Saison 2008 – als er im Finale von Interlagos hauchdünn Lewis Hamilton unterlag. Danach blieb Massa neun Jahre lang sieglos. Hand aufs Herz – hätten Sie ohne zu googeln gewusst, wer der vorherhand letzte brasilianische GP-Sieger ist? Rubens Barrichello in Monza 2009, mit einem BrawnGP-Mercedes.

TV Globo, jahrelang der Formel-1-Leuchtturm von Brasilien, berichtet nur noch fragmentarisch aus der Formel 1. Der Sender muss sparen und hat Personal von den Strecken abgezogen. Zu Zeiten von Ayrton Senna wäre so etwas undenkbar gewesen. Massa warnte schon vor drei Jahren: «Globo ist aber noch immer die Informationsquelle Nummer 1 für die Fans, was unseren Sport betrifft. Aber wenn die immer weniger Berichte bringen, dann wird das nicht dazu beitragen, das Interesse wieder anzufachen.»

Wirtschaftskrise in Brasilien, immer neue Skandale um Korruption bei Privatfirmen und staatlich geführten Unternehmen, dazu kein neuer Senna weit und breit, das WM-Rennen bereits entschieden – das alles drückt die Stimmung.

Brasilien braucht dringend eine neue Lichtgestalt, und die könnte einen berühmten Namen tragen: Fittipaldi oder Piquet. In den Nachwuchsklassen ist die Zahl der aufstrebenden Brasilianer überschaubar. Der neue McLaren-Nachwuchspilot Sérgio Sette Camara belegt in der Formel-2-Zwischenwertung den sechsten Platz, der 20-Jährige aus Belo Horizonte konnte in der laufenden Saison vier Mal einen zweiten Platz erringen.

In der Formel 3 finden wir keinen Brasilianer, dagegen in der GP3: Pedro Piquet (Sohn des dreifachen Formel-1-Weltmeisters Nelson Piquet) hat 2018 zwei Mal gewinnen können, der 20-Jährige aus Brasilia ist wie Sette Camara Sechster im Zwischenklassement.

Besser läuft es dem 17jährigen Enzo Fittipaldi, Enkel des grossen Emerson Fittipaldi. Der Ferrari-Nachwuchspilot ist in der italienischen Formel 4 Meister geworden, in der deutschen Meisterschaft reichte es zum dritten Schlussrang. In der italienischen F4 wurde Gianluca Petecof (16) Vierter, auch der Teenager aus São Paulo gehört dem Nachwuchskader von Ferrari an.

Pietro Fittipaldi (22), Bruder von Enzo, sucht sein Glück in den USA. Nach dem Gewinn der World Series Formula V8 3.5 im Jahre 2017 und einem Test im Langstrecken-Porsche im November 2017 in Bahrain wechselte er als Teilzeit-IndyCar-Fahrer zu Dale Coyne, dazu trat er für Dragon Speed in der Langstrecken-WM an. Im Mai 2018 zog sich der in Miami geborene Fittipaldi bei einem Unfall in Spa-Francorchamps Beinbrüche zu und musste seine Saison unterbrechen. Ende Juli sass er wieder im Rennwagen, Anfang September errang er mit Rang 9 in Portland sein bestes Saisonergebnis.

Pietro Fittipaldi steht mit dem Formel-1-Rennstall von Gene Haas in Verbindung. Teamchef Günther Steiner: «Ich habe ihm gesagt, er soll mich anrufen, wenn er sich zum Test bereitfühlt.»

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