Aprilia 2002: Wegweisende Technik mit 3-Zylinder-Cube

Von Günther Wiesinger
Aprilia bestritt die MotoGP-WM schon 2002 bis 2004, damals mit der 990-ccm-Dreizylinder Cube. Ex-Renndirektor Jan Witteveen schilderte die Vorzüge des Projekts und die schwierigen Hintergründe.

Ride by Wire. Pneumatischer Ventiltrieb. Gegenläufige Kurbelwelle. Heute sind das lauter technische Selbstverständlichkeiten in der MotoGP-Weltmeisterschaft, aber 2002 machte sich dieses Knowhow nur ein Hersteller zunutze – Aprilia. Das italienische Werke dominierte jahrelang die 125er- und 250er-WM. Der Niederländer Jan Witteveen diktierte damals als Renndirektor und Technical Director von Aprilia Reparto Corse in Noale das Geschehen. Und er war maßgeblich am ersten und einzigartigen MotoGP-Projekt für 2002 beteiligt. Aprilia setzte damals als einziges Werk einen 990-ccm-Dreizylinder-Motor ein, es handelte sich um einen Reihenmotor. Aprilia-Firmenchef Ivano Beggio wollte damals unbedingt schon im ersten Jahr der neuen Viertakt-Ära dabei sein und den Erzrivalen Ducati übertrumpfen, denn die Roten kamen erst 2003 in die Königsklasse.

Weil Aprilia damals auch in der Superbike-WM mitmischte und die Manpower-Kapazitäten in Noale nicht ausreichten, wurde für den MotoGP-Motor mit Cosworth ein Partner aus der Automobilbranche an Bord geholt. «So konnten wir Zeit sparen, denn Cosworth konnte uns die Zylinder-Einheiten und Kolben der Drei-Liter-Formel-1-V8-Motoren anbieten. So konnten wir die identische Bohrung und einen ähnlichen Hub übernehmen und hatten von Anfang an genügend Power», erinnert sich Jan Witteveen (72), der sich nach 2004 von Aprilia trennte, als Piaggio-Group-Chef Roberto Colaninno dort das Ruder übernahm.

«Wir haben das Layout des Motors bei Aprilia gemacht und die ganzen mechanischen Teile», blickt Witteveen zurück. «Nur die Leistungsteile sind von Cosworth geliefert worden. Die Dreizylinder-Idee kam von uns, weil wir die Leistungsteile mit der Formel-1-Technologie als Basis verwenden wollten.»

Aprilia hatte zunächst Kontakt mit Sauber Petronas Engineering (SPE) in der Schweiz, wo der ehemalige Honda-Formel-1-Ingenieur Osamu Goto am Ruder war. «Aber bei Sauber fehlte das Know-how, dieses Risiko wollten wir nicht eingehen. Außerdem waren die Schweizer zu teuer», erinnert sich Witteveen. «Gleichzeitig hatten wir mit Cosworth vorher schon eine Partnerschaft für unser Zweizylinder-Superbike. Zylinderkopf, Kolben – das haben wir für die SBK damals alles von Cosworth bekommen. Als wir gesehen haben, dass unser MotoGP-Plan mit Sauber schwierig aussah, haben wir den Deal für MotoGP auch mit Cosworth vereinbart.»

«Wir haben uns für 2002 für den Dreizylinder-Motor entschieden, weil dieses Motorrad dann 10 kg leichter sein durfte als die Bikes mit vier und fünf Zylindern. Honda hat damals in der MSMA vorgeschlagen, das Gewicht für Vier- und Fünfzylinder zu vereinheitlichen», weiß Witteveen. «Zu Beginn des Reglements sollte ein Fünfzylinder 10 kg mehr wiegen als ein Vierzylinder. Wir haben dann wie alle anderen Werke eingewilligt, weil keiner von uns auf die Idee kam, dass ein Werk einen Fünfzylinder bauen würde, weil uns das wie ein komisches Konzept erschien. Honda hat überraschend den V5 entwickelt – und hatte dann keinen Gewichtsnachteil gegen die Vierzylinder. Wir haben hingegen die Dreizylinder-Cube geplant, um 10 kg leichter sein zu dürfen als die Gegner. Wir hatten also einen Gewichtsvorteil.»

Aber wegen der Formel-1-Technologie litt die Fahrbarkeit und die Kraftentfaltung der Cube. Trotzdem wurde diese Aprilia Cube in der MotoGP-WM von 2002 bis 2004 an den Start gerollt, 2002 nur mit Régis Laconi, er sammelte 33 Punkte und wurde WM-19. Colin Edwards und Noriyuki Haga steuerte die Cube 2013 auf den 13. und 14. WM-Rang, sie kassierten 62 und 47 Punkte ein. 2004 landete Jeremy McWilliams auf der Aprilia auf dem 19. WM-Rang.

Aprilia vertraute bei der Elektronik nicht auf Cosworth, es wurde eine hauseigene ECU eingesetzt – sie hieß Poker.

«Von der technischen Seite her haben wir uns für das Richtige entschieden», ist Witteveen heute noch überzeugt. «Aber wir mussten alles neu entwickeln, es gab ja nichts für 990-ccm-Dreizylinder-Rennmotoren.»

Außerdem trat Cosworth bei der partnerschaftlichen Weiterentwicklung des Cube-Triebwerks auf die Bremse. Witteveen: «Cosworth wollte Aprilia unbedingt langfristig als Kundschaft behalten. Ich aber wollte Cosworth nur als Start-up nutzen und dann das Projekt zur Gänze selbst übernehmen. Die Engländer haben dann immer gebremst, damit sie bei unserem Projekt so lange wie möglich dabei bleiben konnten. Ich wollte ihnen aber nicht zu viele technische Einzelheiten verraten, weil ich fürchtete, dass sie dieses Wissen in absehbarer Zeit einem Mitbewerber verkaufen würden.»

Aprilia verfügte damals bei Reparte Corse über keinen «Cleaning Room», das ist ein System, bei dem auf höchste Sauberkeit wert gelegt werden muss, es darf kein Sandkörnchen und kein Staubpartikel in der Luft liegen, es muss alles klinisch sauber gefiltert werden, denn die Motoren mit den pneumatischen Ventilen sind in dieser Hinsicht besonders heikel. Das System funktioniert nur bei klinischer Sauberkeit. Erst für 2004 baute Aprilia in Noale einen eigenen Cleaning Room.

Witteven: «Aprilia ist 2005 in die Piaggio Group integriert worden, wie auch Moto Guzzi, Gilera und Derbi. Aprilia existiert seither als eigenes Werk nicht mehr. Es war eine Art Fusion. Moto Guzzi hingegen ist unter Piaggio immer noch ein eigenständiges Werk geblieben. In Noale und Scorzé befindet sich jetzt alles unter dem Dach von Piaggio.»

«2004 haben wir für McWilliams und Byrne in der MotoGP das meiste selbst gemacht und am meisten entwickelt, ohne Cosworth», erinnert sich Jan Witteveen. «Cosworth war nur noch Lieferant. Aber Piaggio hat Aprilia am 1. Januar 2005 als neuer Eigentümer übernommen und das MotoGP-Projekt zugedreht.»

Nach dem Rückzug Ende 2004 kehrte Aprilia erst 2015 wieder in die «premier class» zurück. Von einem eigenständigen Konzept ist seither nicht viel zu sehen. Der erste MotoGP-V4-Prototyp 2016 sah der Honda zum Verwechseln ähnlich.

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