Marco Melandri: Das Ziel wurde nicht erreicht

Von Enrico Borghi
Marco Melandri fuhr in der Superbike-WM ein Jahr für Yamaha, dann zwei Jahre BMW und 2014 für Aprilia. Das grosse Ziel hat er nicht erreicht. Seine Bilanz fällt zwiespältig aus.

Marco Melandri (33) verabschiedete sich Ende 2010 aus der MotoGP-WM. Er war 1999 Vizeweltmeister in der 125-ccm-Klasse hinter dem heutigen Marc-Márquez-Manager Emilio Alzamora. Er rannte damals mit einem T-Shirt «Quasi-Weltmeister» herum, die Enttäuschung sass tief. Melandri hatte fünf Rennen gewonnen, Alzamora keines, den Titel verpasste er mit 227 zu 226 Punkten.

2002 Weltmeister hielt sich «Macio» mit dem Titelgewinn in der 250-ccm-Klasse auf der Werks-Aprilia schadlos. In der MotoGP-Klasse brachte er es 2005 bei Gresini-Honda immerhin zum zweiten WM-Rang. Er besiegte das Repsol-Honda-Team und liess sich nur von Rossi/Yamaha übertrumpfen.

Marco Melandri hat sieben GP-Siege in der 125er-Klasse errungen, zehn auf der 250er und dazu fünf in der MotoGP-Klasse in den Jahren 2005 und 2006. Er fuhr in der Königsklasse auf Werks-Yamaha und Werks-Honda und Hyate-Kawasaki. Jetzt muss er die neue MotoGP-Maschine von Aprilia entwickeln. Sein Teamkollege ist Alvaro Bautista.

Vier Jahre lang war Marco Melandri zuletzt in der Superbike-WM unterwegs. 2014 gewann dort ausgerechnet sein Teamkollege Sylvain Guintoli den WM-Titel.

Marco, warum hast du es in der Superbike-WM 2014 nicht geschafft, an der Stelle von Guintoli zu sein?

Das ist einfacher zu verstehen, wenn ich etwas aushole. Ich bin mit einer schweren Last von viel Erfahrung zu Aprilia gekommen, weil ich verschiedene Motorräder gefahren bin. Auch zwei Superbikes, die total verschieden waren von der Aprilia. Von Yamaha wechselte ich zu BMW, die ein Screamer war. Trotzdem kam ich am Anfang mit meinem Fahrstil und der Charakteristik der Aprilia nicht zurecht.

Was waren die Gründe?

Ich hatte Abstimmungen und Anpassungen verlangt, die mir besser behagt hätten, aber man antwortete mir, dass die Aprilia mit dieser Abstimmung noch nie funktioniert habe. Sie wollten, dass ich meinen Fahrstil dem Motorrad anpasse. Aber wie soll das funktionieren, wenn du kein Vertrauen in das Motorrad hast? So verging die erste Hälfte der Saison 2014 mit diesen Schwierigkeiten. Dann kam Malaysia. Es war im Juni.

Und was ist passiert?

Es gelang mir, ein paar Sachen an meinem Motorrad zu ändern – und wie durch ein Wunder, gewann ich beide Rennen.

Dieses «wie durch ein Wunder» bedeutete was?

Ich habe verschiedene Änderungen verlangt, um die Leistung zu verbessern. Änderungen im elektronischen wie auch im mechanischen Bereich. Was das Fahrwerk betraf, bevorzugte ich die lange Gabel, denn mit der kurzen war die RSV4 unfahrbar. Das kann auch an meiner Figur liegen, denn ich bin klein und leicht. Jedenfalls wurde das Motorrad stabiler und ich hatte, was ich brauchte. So konnte ich beweisen, dass ich recht hatte mit meinen Forderungen. Von da an hat das Team verstanden und Guintoli hat meine Abstimmungen kopiert.

Schön, wenn der Teamkollege dein Set-up kopiert... Und dann Weltmeister wird.

Von da an haben wir jedenfalls dominiert. Aprilia hat die letzten zehn Rennen gewonnen. Aber ich habe bewiesen, dass ich Recht hatte und bestätigt, dass wir meine halbe Saison weggeschmissen hatten. Nach jedem Sieg verspürte ich deswegen aber Wut statt Freude, weil wir die Chance auf den Titel vermasselt haben. Vielleicht war es nicht zu vermeiden.

Wieso nicht vermeidbar?

Wenn du in einem neuen Team ankommst, müssen dich die Techniker erst kennen lernen und du sie. Und das braucht Zeit. Das lässt sich nicht einfach erzwingen, es wäre also fast nicht möglich gewesen, sofort an diesen Punkt wie in Malaysia zu gelangen.

Als ob das noch nicht reichen würde, hat dich Aprilia auch noch von der Superbike- in die Königsklasse transferiert.

Mein Plan mit Aprilia sah vor, dass ich zwei Jahre Superbike-WM fahre. Ich ging davon aus, dass das erste Jahr nicht einfach sein würde. Alle Fahrer haben bislang bei Aprilia im ersten Jahr Mühe gehabt. Geplant wäre also gewesen, dass ich im zweiten Jahr den Titel gewinnen wollte. Dann aber änderte sich alles sehr schnell und es hat alle in unserer Gruppe etwas überrascht. Ich denke, auch die Techniker waren etwas verwirrt.

Geschah der Transfer in die MotoGP von heute auf morgen? Oder gab es irgendwelche Bekanntmachungen?

Es geschah schnell, brüsk, auch etwas seltsam.

Was meinst du damit?

Zu dem Zeitpunkt, als Aprilia im letzten Juni oder Juli für 2015 statt Superbike-WM nächstes Jahr werkseitig MotoGP machen wollte, waren wir bereits am Verhandeln, deshalb war ich etwas überrascht und kapierte es nicht ganz. Trotzdem war ich zufrieden, denn ich war überzeugt, dass das Superbike-Projekt weitergeführt werde. Stattdessen musste ich mich entscheiden... Für die MotoGP.

Wie hast du reagiert?

Es war schwierig zu entscheiden, deshalb liess ich mir etwas Zeit damit. Ich wollte zuerst wissen, auf welchem technischen Level wir stehen und wie es mit dem neuen Reglement aussieht. Und wie stark sich Aprilia noch in der Superbike engagieren wollte. Denn ich wollte in der Tat noch einen Superbike-WM-Titel heimholen. Ich habe zwar einige Superbike-WM-Rennen gewonnen, aber letztendlich eben doch nichts.

Das ist also etwas, was in deiner Karriere fehlen wird.

Von aussen ist es einfach, zu urteilen.

Und von innen?

Man muss die Umstände kennen, um zu begreifen. Es ist hart, jedes Jahr wieder bei Null zu beginnen. Das ist vor allem mental schwierig, denn jedes Jahr musst du wieder ein Verhältnis mit einem Team aufbauen, du musst die Geheimnisse des Motorrad erforschen und lernen. Von aussen scheint das eben sehr einfach, ist es aber nicht. Denn ich weiss, was du alles brauchst, um schnell zu sein.

Was brauchst du dazu?

Einen Ingenieur, der dich kennt und dir folgt. Der dir hilft, dich in der neuen Umgebung einzugliedern. Wenn das fehlt, musst du viel Energie aufwenden, um möglichst schnell verstanden zu werden. Das ist es, was man braucht, um schnell zu sein. Ich habe ja erlebt, was es heisst, mit Leuten zu arbeiten, die dich nicht kennen, denn auch sie brauchen ihre Zeit.

Das ist also wirklich so schwierig?

Vielleicht habe ich auch eine andere Art zu kommunizieren als die der Techniker. Ich wollte immer Klartext reden, deshalb habe ich zuhause auch Berichte geschrieben, um möglichst präzise mit meinen Aussagen zu sein. Aber das war für mich schon immer schwierig, dafür gibt es kein Rezept, denn bei den vielen Marken- und Teamwechseln habe ich mir dabei auch schon die Finger verbrannt. Zuerst MotoGP, dann kamen die Superbikes, wo ich in vier Jahren drei verschiedene Motorräder pilotiert habe.

Wenigsten bei BMW bist du zwei Jahre geblieben.

Aber ich bin nur 2012 das erste Jahr im offiziellen BMW-Werksteam im Deutschland gewesen, bis sie mich bei BMW Italia untergebracht haben. Dadurch hat sich alles geändert. Sei dies bei der Weiterentwicklung des Motorrads oder in der Organisation.
Ich konnte zwar meine Crew behalten, aber der Chef wurde ein anderer. Und erneut verschwendete ich Zeit, meine Mentalität rüber zu bringen. Auch dort habe ich es verpasste, den WM-Titel zu gewinnen.

(Teil 3 des Interviews folgt am 26. Dezember 2014)

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