6h Shanghai: Analyse des fünften Rennens der FIA WEC
Fünf Rennen sind in der Super-Season 2018/19 der FIA WEC bereits absolviert. Dabei gab es vier Doppelsiege für das Toyota-Werksteam. Und wären die beiden japanischen Hybrid-Renner im August in Silverstone (nach Platz eins und zwei) nicht nachträglich disqualifiziert worden, so wäre die Statistik noch erdrückender. Schon seit Saisonbeginn versuchen die Regelhüter über unzählige Anpassungen der EoT (Equivalence of Technology), die Hybrid-LMP1 und die Privatwagen näher beisammen zu bekommen. (Kleine Notiz am Rande: Selbst Toyota spricht in seiner offiziellen Presseaussendung mittlerweile von einer BoP - Balance of Performance - wie sie im GT-Sport angewandt wird.) Zumindest für den Qualifying-Trimm der LMP1-Boliden, scheint dies nun gelungen zu sein. Dort hatte der schnellste Rebellion nur noch 0,287 Sekunden Rückstand auf die Pole-Position.
Doch damit die Privatwagen im Rennen überhaupt eine Chance gegen die Toyota haben, müssten weitere Änderungen an der Einstufung folgen. Aber dann würden Rebellion und Co. den Hybrid-Bombern in der Qualifikation um die Ohren fahren. Folglich würde Toyota dem niemals zustimmen. Die Japaner haben bereits seit Fuji 26 Kilogramm mehr Gewicht eingeladen, obwohl dies vor der Saison anders ausgemacht war. Irgendwann ist der Bogen für Toyota hier einfach überspannt.
Grund zum Jubeln gab es in Shanghai im Lager von SMP Racing. Erstmals fuhr mit dem Wagen von Mikhail Aleshin, Vitaly Petrov und Jenson Button einer der BR/Dallara aus eigener Kraft auf das Podium. (Platz drei in Silverstone für den Schwesterwagen wurde ja durch die Toyota-Disqualifikation lediglich nachträglich zugesprochen.) Was das Ergebnis besonders schmackhaft für die Russen macht, ist der Fakt, dass die Konkurrenz von Rebellion aufgrund der eigenen Performance niedergerungen wurde. So ist zumindest bei den privaten LMP1 ein spannendes Saisonende zu erwarten.
In der GTE-Klasse konnte Aston Martin in Shanghai den ersten Sieg mit dem neuen Vantage AMR feiern – und das im erst fünften Rennen des 2018er Modells. Hier hat aber auch der Regen eine große Rolle gespielt, da die nassen Bedingungen das wahre Potenzial der Fahrzeuge etwas kaschierten. Noch immer tut sich der britische Hersteller beispielsweise schwer, ausgeglichene Doppel-Stints mit den Slick-Reifen zu fahren. Die Lorbeeren des Triumphs von Shanghai gehen aber auch an die Taktikabteilung von Aston Martin. Diese hat beide Fahrzeuge zum Rennende hin auf unterschiedliche Strategien gesetzt. So musste der Wagen von Alexander Lynn/Maxime Martin seinen letzten Satz Regenreifen früher abholen als die am Ende siegreichen Teamkollegen Marco Sørensen/Nicki Thiim. Mit der gesplitteten Herangehensweise war sichergestellt, dass auf der Strecke zumindest immer ein Aston Martin vorne liegt (falls es einen vorzeitigen Rennabbruch gegeben hätte). Mit nachlassenden Reifen musste der Belgier Martin auf den letzten Metern aber noch das Podium an die Porsche 911 RSR abgeben. Des einen Freud, des anderen Leid.
Ein lehrreiches Wochenende hatte Corvette beim Gastspiel in der FIA WEC. Schon vor dem Rennen in Shanghai war klar, dass das amerikanische Muscle-Car nicht wirklich für den Klassensieg in der GTE in Frage kommen würde. Dort haben die anderen Werksteams die Trauben mittlerweile so hoch gehängt, dass nur über langwierige Erfahrung (beispielsweise in Bezug auf die Reifennutzung) ein vorderer Platz möglich ist. Durch nachträglich ausgesprochene Zeitstrafen für einen Ford und einen BMW reichte es für Oliver Gavin/Tommy Milner am Ende für Rang acht in der Klasse. Im Rennen lag die beste Rundenzeit der Corvette über 1,9 Sekunden hinter der Klassenspitze zurück – so kann natürlich kein Blumentopf gewonnen werden. Langfristig könnte sich der Shanghai-Auftritt aber auszahlen, denn Corvette hat wieder viel über die Michelin-Reifen der FIA WEC gelernt. Das könnte bei den nächsten 24 Stunden von Le Mans eine große Hilfe sein.
In der GTE-Am-Wertung hat in Shanghai erneut Porsche dominiert. Der Sieg von Christian Ried, Matt Campbell und Julien Andlauer dürfte Balsam auf die Seelen von Dempsey-Proton Racing sein, nachdem das süddeutsche Team am Samstag die zuvor erzielten WM-Punkte allesamt gestrichen bekam.
Mit einem grandiosen Schluss-Stint hatte Werksfahrer Jörg Bergmeister den 911 RSR vom norddeutschen Team Project1 noch auf Platz zwei in der Klasse gefahren, indem er den zweiten Dempsey-Proton-Porsche noch abfing. Project1 feiert in der aktuellen Saison gerade erst sein FIA-WEC-Debüt und liegt derzeit trotzdem an der Spitze der WM-Tabelle. Natürlich spielt hier die Punkte-Streichung für Dempsey-Proton Racing eine Rolle – doch auch die anderen Am-Teams hat Project1 bereits überflügelt. Die zweitplatzierte Equipe (Aston Martin Racing) liegt in der Gesamtwertung schon satte 20 Punkte zurück.
Erstaunlich war in Shanghai noch ein ganz anderer Fakt: Sintflutartige Regenfälle haben weite Teile des 6-Stunden-Rennens geprägt. Und zum Ende hin kam noch die Dunkelheit der anstürmenden Nacht hinzu. Die Bedingungen auf der 5,451 Kilometer langen Strecke waren insgesamt als extrem herausfordernd zu bewerten. Dennoch haben es alle 20 startenden GTE-Fahrzeuge ins Ziel geschafft. Sechs von sieben LMP2 sahen ebenfalls die schwarzweiß karierte Flagge. (Der Oreca 07 von TDS Racing nur deswegen nicht, weil er in der letzten Runde die Box anlief und dann am Boxenausgang keine grüne Ampel mehr bekam.) Somit waren die beiden einzigen richtigen Ausfälle der ENSO CLM und einer der BR/Dallara aus der LMP1-Klasse. Das beweist, wie hoch das Niveau in der FIA WEC mittlerweile geworden ist.