Clay Regazzoni: Vor 14 Jahren starb der Unzerstörbare

Von Mathias Brunner
​Am 15. Dezember schloss der Tessiner Clay Regazzoni für immer die Augen: Der Südschweizer kam bei einem Verkehrsunfall in Italien ums Leben. Im Rennsport galt er als der Unzerstörbare.

Long Beach war für Gian-Claudio «Clay» Regazzoni eine Schicksalsstrecke: Beim ersten Grossen Preis der USA-West fuhr er 1976 von der Pole-Position aus die Konkurrenz in Grund und Boden, es war keine Siegesfahrt, es war eine Machtdemonstraiton, samt bester Rennrunde. Vier Jahre später beendete ein fürchterlicher Unfall auf dem kalifornischen Strassenkurs die lange Grand-Prix-Karriere von Clay, da war der Tessiner bereits 40 Jahre alt, aber mit dem Kampfgeist und dem Ehrgeiz eines Formel-1-Neulings unterwegs.

In einem ausfallreichen Rennen lag Regazzoni mit seinem Ensign bereits an vierter Stelle, als in seinem Wagen das Bremspedal brach. In einer Auslaufzone prallte der Renner des Südschweizers mit voller Wucht auf den liegengebliebenen Brabham von Ricardo Zunino und schlug dann in eine Betonmauer ein, die von Reifenstapeln kaum geschützt war.

Regazzoni zog sich mehrere Knochenbrüche zu, schwere Verletzungen an der Wirbelsäule zwangen ihn fortan in den Rollstuhl. Im Grunde war es bei der Wucht des Crashes ein Wunder, dass er überhaupt überlebt hatte.

Die englischen Journalisten hatten ihn aufgrund seiner scheinbaren Unverwundbarkeit in vielen Unfällen den «Unzerstörbaren» getauft. Jahrelang hatte der Mann mit dem Gesicht eines verwegenden Seeräubers schlimmste Unfälle meist unverletzt überstanden, nun verlor die Schweiz ihren erfolgreichsten GP-Piloten. Regazzoni war querschnittgelähmt, aber er liess sich von seiner Behinderung nicht unterkriegen. Mit einer Handgas-Vorrichtung fuhr er wieder Rennen und bestritt sogar die Rallye Paris–Dakar. Er gründete eine Fahrschule für Rollstuhlfahrer.

Clay Regazzoni wäre im September 2019 80 Jahre alt geworden. In Monza errang er seine grössten Erfolge: Sieger 1970 und 1975 mit Ferrari, auf dem dritten Platz 1979 im Williams-Ford.

Die moderne Formel 1 hätte dem Haudegen wenig gefallen. Als GP-Experte der italienischen RAI nannte er die Dinge beim Namen, politische Korrektheit war ihm zuwider. Er fand, die Fahrer müssten weniger labern und mehr liefern. Wie eine Rennstrecke nach der anderen mit diesen enormen Sturz-Zonen entmannt wurde, das prangerte Regazzoni immer wieder an.

Ferrari-Teamchef Mattia Binotto sagte nach dem Tod von Niki Lauda im Mai 2019: «Niki Lauda und Clay Regazzoni, das sind für mich Kindheitserinnerungen. Als ich klein war, habe ich Niki und Clay für Ferrari siegen gesehen. Als Dreikäsehoch hat sich mir eingeprägt – das sind Männer ohne jede Furcht.»

Die Ferrari-Renaissance mit Lauda hätte es ohne Clay vielleicht nie gegeben. Der Mann, der Enzo Ferrari diesen jungen Wiener ans Herz gelegt hatte, war Regazzoni. Der Tessiner war 1973 an der Seite Nikis bei BRM gefahren und glaubte – der analytische Verstand des Österreichers sei für Ferrari ideal. Und so war es auch.

Die Leistung von Regazzoni wird vor dem Hintergrund von Niki Laudas unermüdlicher Arbeit oft übersehen. Piero Ferrari, Sohn des legendären Firmengründers Enzo Ferrari: «Es gab Piloten, die besonders feinfühlig waren. Wer solche Antennen besass, der spürte sowohl Chassis wie Motor ganz intensiv. Niki Lauda war ein solcher Fahrer. Besonders sensibel war auch Clay Regazzoni. Er hat uns den leisesten Muckser des Autos mitgeteilt in Zeiten, als die Wagen noch nicht mit hunderten Sensoren gespickt waren.»

In den Zeiten vor Echtzeit-Datenaufzeichnung brachte Clay ab und an ein Auto zurück, um festzuhalten: «Mit dem Triebwerk stimmt etwas nicht.» Erst nachdem der Zwölfzylinder auseinander genommen war, zeigten sich Materialfehler oder Abnützungen, die ohne den Feinsinn von Clay zu schweren Motorschäden geführt hätten.

1974 hat Ferrari die Titelchancen von Regazzoni versemmelt, zu wenig standfest war das italienische Aggregat – ein Motorschaden ausgerechnet in Monza erwies sich als gravierender Rückschlag in jenem Monza-GP, da lag Clay in Führung.

Beim WM-Finale von Watkins Glen fuhr Clay mit einem jämmerlich abgestimmten Auto hinterher und wurde nur Elfter, Emerson Fittipaldi holte den Titel. Regazzoni trug am verlorenen Titel eine Mitschuld: Er schrottete sein gutes Chassis bei Tests in den USA, in aller Eile musste das Team einen neuen Wagen aufbauen, der nie optimal abgestimmt werden konnte.

Clays damaliger Hauptgegner Emerson Fittipaldi erinnert sich so an den Schweizer: «Als wir zu den letzten beiden Rennen nach Nordamerika flogen hatte ich das Gefühl, dass ich die WM immer noch gewinnen konnte, aber Clay und Jody waren bedrohlich nahe dran. Regazzoni war ein toller Typ abseits der Strecke, aber sobald er sein Visier schloss, veränderte er sich. Er war ein unglaublich aggressiver Fahrer und gab keinen Zentimeter nach.»

Beim letzten Rennen in Watkins Glen kam der Ferrari besser weg und ging vor Fittipaldi in die erste Kurve, Emerson konnte sich aber gleich danach in den Windschatten seines Rivalen hängen. «Als wir beide die lange Gerade auf Kurve 2 zufuhren, eine weitere 90-Grad-Kurve, kam die Nasenspitze meines McLaren immer näher an das Getriebe von Clays Ferrari. Wir nannten seinen Ferrari das breiteste Auto der Formel 1, und das kam daher, dass er über die gesamte Streckenbreite hin- und herfuhr, nur damit man nicht vorbeikam. Er zog nach rechts, obwohl ich schon fast gleichauf mit ihm war. Ich hatte keine Lust, klein beizugeben. Als wir beide bremsten, zog er ganz leicht nach links, um einen Unfall zu vermeiden. Das war’s.»

132 Rennen, fünf Siege (darunter der erste GP-Erfolg des Williams-Rennstalls, 1979 in Silverstone), fünf Pole-Positions, 212 WM-Punkte und WM-Zweiter 1974 auf Ferrari; das ist die beeindruckende Bilanz von Clay Regazzoni, dem erfolgreichsten Schweizer Formel 1 Fahrer aller Zeiten.

Am 15. Dezember 2006 prallte der Südschweizer auf einer Schnellstrasse im Westen von Parma am Lenkrad seines Chrysler Voyager mit dem Heck eines Lastwagens, der Wagen von Regazzoni krachte danach schwer in die Leitschienen, nach Angaben der Sachverständigen war der Rennfahrer auf der Stelle tot.

Die genaue Unfallursache wurde nie geklärt: Strasse und Sicht waren sehr gut, Regazzoni war nicht zu schnell gefahren, es gab kein Anzeichen für ein Versagen des Fahrzeugs oder für ein gesundheitliches Problem des Fahrers.

Clay Regazzoni liegt auf dem Friedhof von Porza begraben, nördlich von Lugano.

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