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History: Vor 36 Jahren starb Lotus-Chef Colin Chapman

Von Mathias Brunner
​Am 16. Dezember 1982 verstarb Lotus-Gründer Colin Chapman. Der Engländer gilt als gennialer Rennwagenbauer. Seine Konstruktionen waren wegen ihrer Zerbrechlichkeit jedoch gefürchtet.

Diese Nachricht ging am 16. Dezember 1982 um die Welt: Colin Chapman ist tot, mit nur 54 Jahren von einem Herzanfall dahingerafft. Der Engländer galt als genialer Rennwagenbauer, jeder Formel-1-Fahrer wollte seine Autos fahren, denn viele Jahre lang setzte Lotus Massstäbe. Seine Konstruktionen waren aber gefürchtet. Niemand brachte das besser auf den Punkt als der Österreicher Jochen Rindt: «Entweder ich werde mit Lotus Weltmeister oder ich sterbe.» Die Grausamkeit des Schicksals wollte es, dass beides passierte – Rindt kam im Abschlusstraining zum Grossen Preis von Italien 1970 ums Leben, wenige Monate später wurde er posthum zum Weltmeister erklärt.

Anthony Colin Bruce Chapman wurde am 19. Mai 1928 in Richmond (Surrey) geboren, sein Vater war Hotel-Manager. Der junge Chapman studierte Ingenieurswesen, Fachgebiet strukturelle Belastung. Luftfahrttechnik übte auf ihn enorme Faszination aus. Selbst zu seinen erfolgreichsten Zeiten als Rennwagenkonstrukteur und Teamchef war er immer mit einigen Flugzeug-Zeitschriften anzutreffen. Nach kurzer Zeit in der Royal Air Force sowie bei einem Unternehmen für Aluminium-Technik (British Aluminium) gründete er 1952 die Firma Lotus Cars. Sich unterordnen, in Militär oder im Zivilleben, das war nicht sein Ding.

Neben einigen kleineren Serien-Sportwagen wurde der Rennsport jenes Umfeld, in dem sich Chapman am wohlsten fühlte und wo er seine Kreatitivät am besten ausleben konnte. Für ihn war schnell klar, dass Power nicht alles ist. Leichtbau war sein Credo, von der ersten Stunde an. Es war auch Anlass zu ständiger Sorge. Graham Hill bemerkte einmal trocken: «Wenn du von deinem eigenen Hinterrad überholt wirst, dann weisst du, du sitzt in einem Lotus.»

Wie so viele Konstrukteure der damaligen Zeit versuchte sich Chapman auch selbst als Rennfahrer, etwa mit dem Modell Mark 1, das auf einem Austin 7 basierte, und schaffte es 1956 sogar bis zum Grand Prix von Frankreich in Reims, musste aber nach einem Trainingsunfall auf den Start verzichten. Er war ausgerechnet in seinen Vanvall-Stallgefährten Mike Hawthorn gekracht.

Bis heute lautet eine der ersten Fragen, wenn es um das Thema Lotus geht: Wie kam Chapman auf den Namen? Antwort: Colin nannte seine Freundin Hazel «Lotusblüte». So einfach ist das.

Chapman war der erste Konstrukteur, der in der Formel 1 eine Monocoque-Bauweise verwendete und keinen Gitterrahmen. Selten haben ein Rennwagenbauer und ein GP-Star so eng zusammengearbeitet wie Chapman mit Jim Clark. Später meinte der Engländer, er habe nur noch einmal mit einem Fahrer eine solche Symbiose erlebt, das war Mario Andretti.

Clark fuhr 1963 die Konkurrenz in Grund und Boden und wurde Weltmeister. Zwei Jahre später wiederholte der stille Schotte das Meisterstück und gewann mit Chapman auch das Indy 500.

1967 gab es durch Lotus erneut einen Meilenstein in der Formel-1-Technik: Der Lotus 49 wurde vom neu entwickelten Cosworth V8-Motor angetrieben, ein Projekt, das von Ford finanziert worden war. Ford liess sich das damals 100.000 Pfund kosten, heute wären das knapp zwei Millionen Euro. Der Motor wurde nicht ins Monococque eingebaut, sondern angeflanscht und als tragendes Teil verwendet. Das V8-Aggregat wurde zum erfolgreichsten Formel-1-Motor.

Anfang 1968 bei den Tasman-Series tauchte auf einem Lotus erstmals ein Heckflügelchen auf. Eines der vielen Dinge, die heute im Motorsport Standard sind und aus der Feder von Chapman stammen. Heute kein Standard, aber damals sensationell war der Einsatz eines Gasturbinen-Lotus bei den 500 Meilen von Indianapolis. Der Erfolg blieb Chapman versagt – die Rennwagen fielen wegen Pfennigdefekten aus.

Eine Gasturbine in einem Rennwagen, das gab es schon 1955. Allerdings bestritt dieses Fahrzeug nie ein Rennen – es handelte sich um eine Fingerübung von Ingenieuren der US Air Force, die eine Boeing-Turbine in ein Chassis zimmerten, das ihnen von der Reifenfirma Firestone zur Verfügung gestellt worden war.

Der erste ernstzunehmende Turbinen-Renner entsprang einer Zusammenarbeit zwischen Rover und dem Formel-1-Team BRM. Das Ergebnis war ein Sportwagen, der unter Graham Hill und Richie Ginther am 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1963 teilnahm. Hätte man ihn unter den Benzinern gewertet, wäre der Renner immerhin Achter geworden. 1965 wurde eine weiterentwickelte Version Gesamt-Zehnter.

Nach dem Zwischenspiel Howmet (US-Sportwagen) und dem legendären Turbinen-Renner STP-Paxton ST6 beim Indy 500 (Parnelli Jones haushoch überlegen in Führung, aber kurz vor Schluss ausgefallen) kommen wir zurück zu Innovator Colin Chapman.

Der Lotus-Gründer hatte für Andy Granatellis STP-Team den 1968er Indy-Keil namens Typ 56 gebaut, doch auch dieses Mal ging die Turbine leer aus: Unfall von Graham Hill, technische Defekte von Art Pollard und Joe Leonard. Leonard hatte geführt …

Nun wollte Chapman die Pratt & Whitney-Turbine in der Formel 1 ausprobieren. Das Modell 56B wurde 1971 von drei Fahrern in drei verschiedenen WM-Läufen ausgeführt – von Dave Walker in den Niederlanden, von Reine Wisell in England, von Emerson Fittipaldi in Italien.

Die beiden grössten Probleme des Fahrzeugs: Es war zu schwer, denn es war auch mit Allrad-Antrieb ausgerüstet, und die Turbine sprach zu wenig spontan an.

In Zandvoort hätte der Australier Walker bei seinem Formel-1-Debüt Rennhistorie schreiben können: Auf nasser Bahn überholte er dank des Allrad-Antriebs in den ersten fünf Runden zwölf Gegner, dann rutschte er leider von der Bahn.

Emerson Fittipaldi brachte in Monza den Wagen als Einziger ins Ziel, auf Rang 8. Heute ist eine Gasturbine vom Reglement her nicht mehr als F1-Antriebsquelle erlaubt

Das Experiment mit Allradantrieb war ein Flop. Enorme Fortschritte in der Reifenentwicklung sowie die Entdeckung von Flügeln zur Verbesserung der Traktion machten dem Vierrad-Antrieb in der Formel 1 dann den Garaus. Seit 1983 untersagt das F1-Reglement Allradler. Den Siegeszug im Motorsport mussten andere antreten – Audi bewies mit dem Quattro Vorsprung durch Technik und fuhr die Gegner in Grund und Boden. Das war einer der Gründe, wieso die Regelhüter in der Formel 1 einschritten. Sie befürchteten ein sündhaft teures Wettrüsten und die Überlegenheit eines einzelnen Herstellers.

Triumph und Tragödien lagen eng beisammen: Ricardo Rodríguez starb 1962 in einem privaten Lotus 24 in Mexiko, Gary Hocking in Natal. Jim Clark kam 1968 in einem Formel-2-Lotus ums Leben, die Formel-1-Welt war so erschüttert wie 1994 beim Tod von Ayrton Senna. Graham Hill hielt die Moral des Lotus-Teams aufrecht, wie Jahre später sein Sohn Damon bei Williams, eine merkwürdige Parallele des Schicksals.

1970 der Tod von Rindt in Monza, acht Jahre später verstarb Lotus-Fahrer Ronnie Peterson nach einem Start-Crash in der Nacht auf Montag an einer Fettembolie. Weniger bekannt: Die tödlichen Unfälle bei Veranstaltungen mit historischen Rennwagen, John Dawson-Damer in Goodwood 2000, Dennis Welch 2014 bei der Jack Brabham Memorial Trophy.

1972 gab es für Colin Chapman erneut den WM-Titel, durch den jungen Brasilianer Emerson Fittipaldi. Mit der schwarz-goldenden Lackierung in den Farben von Sponsor «John Player» setzte Chapman auch in der Vermarktung seines Rennstalls neue Massstäbe. 1968 schon hatte Chapman das Establishment schockiert und seine Rennwagen als rasende Litfasssäulen präsentiert – als Gold Leaf Team Lotus in Rot-Gold.

Im Jahre 2000 wurde im Rahmen des Silverstone-GP unter den Fans eine Umfrage gemacht. Simple Frage: Welche Zigarettenmarken haben Sie heute gesehen? Am meisten wurde Marlboro (Ferrari) genannt, vor West (McLaren), weiter hinten landeten Benson & Hedges (Jordan) und Winfield (Williams). Das Verblüffende: In Silverstone war kein einziges Auto so angeschrieben, wegen des Tabakwerbeverbots, die Fans hatten lediglich auf die Farben reagiert und die richtigen Markennamen assoziiert. Jetzt wird es noch wilder: Auf Rang 3 der Liste genannter Zigarettenmarken tauchte eine auf, die seit mehr als zehn Jahren gar nicht mehr im Sport vertreten war – John Player Special!

1977 tauchte mit dem Lotus 78 erstmals ein Wagen auf, die unter den Seitenkästen ein umgekehrtes Flügelprofil hatten. Der dadurch gewonnene Anpressdruck führte zu wesentlich höheren Kurvengeschwindigkeiten als bei einem herkömmlichen Formel 1. Mit dem der Weiterentwicklung des «Wing Cars», dem Lotus 79, wurde Mario Andretti 1978 Weltmeister, es war der letzte Titel für Chapman.

Es lag auf der Hand, dass einige Einfälle nicht nur die Konkurrenz vor den Kopf stiessen, sondern auch die – ab und an ziemlich überforderten – Rennkommissare und Regelwerk-Stricker. Nie traf das mehr zu als beim umstrittenen Lotus 88. Es war vielleicht jenes Projekt, das Chapman den Glauben an die Formel 1 verlieren liess.

Chapman und seine Mitdenker Peter Wright, Tony Rudd und Martin Ogilvie standen vor einem Problem: Der Lotus 78 hatte als erstes richtiges Wing-Car den Trend gesetzt, im Typ 79 konnte Mario Andretti in der Saison 1978 den WM-Titel erobern. Aber dann schoss Lotus übers Ziel hinaus, der Lotus 80 – grundsätzlich ein Flügel als Auto – war zwei Schritte zu weit gedacht und funktionierte nicht, weil sich die Anpresszone nicht sauber versiegeln liess.

Die Gegner hatten inzwischen nicht geschlafen und das Prinzip verfeinert, der Automobilverband hatte gleichzeitig die Schürzen verboten, jene Elemente also, welche seitlichen Luftabfluss bei den Flügel-Elementen in den Seitenkästen verhindern sollten.
Chapman & Co. wussten: Nun musste dringend ein Innovations-Schub her.

Also liessen sie sich ein Auto einfallen, das zwei Chassis-Einheiten mit je einer Aufhängung aufwies. Das innere Chassis (Fahrerzelle und Motor) war verhältnismässig komfortabel gefedert; das äussere Chassis (komplette Verkleidung, einschliesslich Schürzen aus Keramik) hingegen sehr hart. Hintergrund: Mit zunehmendem Tempo, also grösserer aerodynamischer Last, sollte es zu Boden gepresst werden, zur Seite abdichten, und – voilà! – schon haben wir wieder ein Flügelauto, wie es auch wirklich funktionieren sollte.

Der entscheidende Knackpunkt im Reglement: Aus dem Original auf Französisch ging nicht hervor, ob mit «Chassis» nur die Einzahl gemeint war oder das auch als Mehrzahl verstanden werden konnte.
Es begann ein endloses Theater: Vier Mal wurde das Auto von den lokalen Rennkommissaren als legal eingestuft, vier Mal schritt die Motorsportbehörde (damals FISA) ein und untersagte den Einsatz, weil sie das zweite Chassis als (verbotene) bewegliche aerodynamische Hilfe ansahen. Nigel Mansell und Elio de Angelis, die den 88er angenehm zu fahren fanden, waren jeweils gezwungen, auf den Typ 87 umzusatteln.

Beim Heimrennen in Silverstone wurde Chapman mitgeteilt, falls er nochmals seinen Kopf mit dem Doppel-Chassis-Wagen durchzusetzen gedenke, würde man ihn aus der Weltmeisterschaft werfen. Das Auto hat nie einen WM-Lauf bestritten. Chapman hat das den Behörden nie verziehen.

Danach machte Chapman eher Negativ-Schlagzeilen. Ein Finanzskandal um John DeLorean machte die Runde, in den Chapman verwickelt war. In der Formel 1 wusste Chapman, dass an Turbo-Motoren kein Weg mehr vorbeiführte, er gleiste für 1983 ein Abkommen mit Renault auf.

Beim Grossen Preis von Österreich 1982 beendete Elio de Angelis eine Serie von drei sieglosen Jahren von Lotus, mit einem Herzschlagfinale gegen Keke Rosberg im Williams. Keiner konnte ahnen, dass Colin Chapman an diesem Tag zum letzten Mal seine Kappe in die Höhe warf.

Am 16. Dezember 1982 verstarb er an den Folgen eines Herzinfarkts. Er hinterliess seine Frau Hazel, zwei Töchter und jenen Sohn Clive Chapman, der sich heute um Classic Team Lotus kümmert und so den Namen Lotus am Leben erhält. Colin hätte das gefallen.

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