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McLaren-Honda: Falsches Timing, schwache Führung

Von Mathias Brunner
​Im zweiten Teil unserer Journalistenrunde geht es um die Frage, wie McLaren und Honda personell aufgestellt sind und was die Änderungen im Management bedeuten.

Im ersten Teil unserer Expertenrunde aus Luis Vasconcelos (Portugal), Tony Dodgins (England) und Mathias Brunner sind wir den Fragen nachgegangen, welche Fortschritte McLaren-Honda 2016 erreichen können und wo sie am Ende der Saison wohl liegen werden (siehe Story). Nun wollen wir über Timing und Personal sprechen.

Honda hat die Formel-1-Verantwortlichkeit im Winter in neue Hände gelegt. Welche Auswirkungen wird das haben?

Luis Vasconcelos
Ich möchte dazu an etwas anknüpfen, was Mathias zuvor angeschnitten hatte: Ich glaube, das gegenseitige Beschuldigen hört 2016 auf. Denn das Sagen haben in der Formel-1-Abteilung wieder echte Racer. Da sehen wir auf einmal viele Gesichter, die wir schon vor zehn oder fünzehn Jahren bei Honda im GP-Sport gesehen haben. Das sind Fachleute, die ihr Handwerk verstehen, angefangen beim neuen Formel-1-Verantwortlichen Yusuke Hasegawa. Sie werden auf eine positive Art und Weise Druck auf McLaren ausüben. Aber ohne in der Öffentlichkeit mit dem Finger zu zeigen.

Mit diesen Leuten und mit dieser Mentalität hätte Honda in die Formel 1 zurückkommen müssen, nicht mit so vielen neuen, unerfahrenen Leuten, angefangen beim rätselhaften Yasuhisa Arai.

Um genau zu sein, hätten sie gar nicht 2015, sondern erst 2016 debütieren sollen. Der Zeitpunkt war falsch, die Leuten waren nicht die Richtigen, die Mentalität war die Falsche. Sie wurden vielmehr dazu gedrängt, in die Formel 1 zu kommen, zu einem Zeitpunkt, an dem sie einfach noch nicht bereit waren.

Mit Hasegawa kehrte eine ganz andere Mentalität zurück. Im Gegensatz zu früher gibt es nun einen klaren Plan, wie vorzugehen ist. 2015 wurde nur auf Probleme reagiert. Und das nicht einmal gut.

Honda hat aber schon Ende 2015 angefangen, viele Formel-1-erfahrene Leute in den Sport zurückzubringen. Sie waren gewissermassen die Vorboten der Änderung im Management. Denn ihre Aufgabe bestand nicht im Feuerlöschen. Sie sollten vielmehr ihre Expertise einbringen, die Situation einschätzen, Weichen stellen. Das Gute daran: Das sind alles echte Racer. Weil sie schon mal in der Formel 1 waren, wissen sie genau, worauf es ankommt. Klar können auch sie keine Wunder vollbringen, Erfolg über Nacht gibt es in der Formel 1 nun mal nicht. Aber ich halte sie für fähig, den Honda-V6 im Laufe der Saison so zu entwickeln, dass McLaren in der zweiten Saisonhälfte besser aussehen wird.

Mathias Brunner
Die Fans richten sich nicht nach den Technikern vor Ort, sie richten sich nach den Aussagen der Chefs. Den meisten Formel-1-Freunden bleiben die verschiedenen Schichten der Ingenieure komplett verborgen. Die meisten Techniker vor Ort haben ohnehin Sprechverbot. Wir sehen sie nicht, weil sie in ihren Boxen, in den Rennlastern oder gleich zuhause im Werk ihrer Arbeit nachgehen. Weil die meisten Fans die internen Zusammenhänge nicht erklärt bekommen, orientieren sie sich an den Führungspersönlichkeiten und was die von sich geben.

Bei allem Respekt vor dem früheren Honda-Rennchef Yasuhisa Arai: Einige seiner Aussagen fand ich überaus verwirrend und zeugten von wenig Sachverstand. Zwei Wochen später wurde da schon mal das Gegenteil behauptet. Das fand ich für die Glaubwürdigkeit der Firma nicht übermässig hilfreich.

Ein Beispiel: McLaren-Honda fuhr hinterher, es gab peinliche Defekte reihenweise, aber noch immer wurde da von Podesträngen zum Schluss der Saison 2015 gefaselt. Ja für wie blöd wurden denn da die Fans gehalten? Ich bin zwar kein Fan von vagen Aussichten, wenn sich eine Führungskraft der Formel 1 ganz offensichtlich nicht traut zu sagen, wohin die Reise geht. Aus Angst, die eigenen Zitate dann um die Ohren geschlagen zu bekommen, wenn es eben nicht so gut gelaufen ist. In diesem Zusammenhang gefiel mir die Einstellung beim neuen Haas-Team sehr gut: «Wir wollen im ersten Rennen in die Punkte fahren.» Das war mal eine Ansage! Umso schöner, dass sie Taten folgen liessen. Aber hinterher zu gurken wie Honda und dann von Podesträngen zu reden, das ist doch nur lächerlich.

Wenn wir wissen, mit welchem Fachwissen, mit welcher Leidenschaft und Hingabe Honda früher Formel-1-Sport betrieb, so ertappte ich mich bei einigen Erklärungen von Arai oft beim Gedanken: Das ist so falsch, das ist nicht das Honda, das ich kenne und das ich sehen will. Honda, das ist für mich immer eine Technik-orientierte Firma, mit Fachkräften, deren Passion für Rennsport deutlich zu spüren war. Und das habe ich geliebt! Es ist genau diese Racer-Mentalität, diese tiefe Leidenschaft für den Sport, die Nationen-übergreifend das Herz der Formel 1 ausmacht. Wenn wir nicht alle ein klein wenig rennverrückt wären, wieso würden wir dann so viele Stunden unseres Leben in etwas investieren, dass andere Menschen als banales Im-Kreis-Herumfahren bezeichnen?
Arai war mir in seinen Aussagen zu wankelmütig, ich erlebte ihn nicht als Führungspersönlichkeit, sondern schon fast als Lachnummer, ich spürte zu wenig Ernsthaftigkeit und Passion, zu wenig Herz. Das fand ich alles traurig, denn so wurde dann Honda gegen aussen repräsentiert.

Tony Dodgins
Die halbe Zeit über ging es überhaupt nicht um den Rennsport, sondern nur im firmeninterne Politik. Vieles hatte auch damit zu tun, dass es in der Konzernspitze von Honda einen Wechsel gegeben hatte. Da werden vielleicht Aussagen vom Rennchef gemacht, die einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Ich erkannte innerhalb der Firma verschiedene Lager, es gab keine einheitliche Marschrichtung. Ich glaube erst dann an den Erfolg, wenn die ganze Firma hinter dem Sport steht, also nicht nur die Rennabteilung. Und dann kommen auch die Fortschritte. Daher sehe ich die grossen Schritte nach vorne eher erst 2017.

Wir werden auch eine Änderung im Management bei McLaren haben – Jost Capito kommt. Was wird das ändern?

Tony Dodgins
McLaren hat sich aufgrund der Erfolge in der Vergangenheit diesen tollen Ruf erarbeitet. Aber als Teamchef Eric Boullier zum Team kam, erhielt er den Eindruck: Hier gibt es für jeden Job drei Spezialisten. Da stellt sich die Frage, ob der ganze Apparat nicht zu aufgeblasen ist. Sollten nicht die Befehlsstrukturen gestrafft werden? Ist beim ganzen Wachstum ein wenig die Flexibilität der echten Racer auf der Strecke geblieben?

Ich spürte nach den Wintertests seitens McLaren eine gewisse Niedergeschlagenheit. Die Fortschritte im Winter waren vielleicht nicht so gross, wie einige sich das erhofft hatten. Gleichzeitig ist auch die Rolle von Eric Boullier etwas seltsam. Wenn nun Jost Capito ins Team geholt wird, was sagt das über Erics Rolle als Teamchef aus?

Mathias Brunner
Die Erfolge von Jost Capito als Direktor des VW-Motorsportprogramms sind unbestritten. Mir ist einfach nicht ganz klar, was McLaren eigentlich mit ihm anstellen will. So richtig konnte mir bislang auch niemand erklären, was im Detail sein Verantwortungsbereich sein soll. Als ich jedenfalls hörte, dass McLaren Capito holt, war meine erste Reaktion – wie bitte?

Tony Dodgins
Lustig, genau das habe ich auch gedacht.

Mathias Brunner
Wenn Leute unterstellen, dass Capito nichts könne, wie konnte VW dann die Rallye-WM gewinnen? Aber die Formel 1 ist nicht Rallyesport. Wir reden hier nicht nur von einer grundlegend verschiedenen Technik, wir reden auch von anderen Macht- und Firmenstrukturen. Aber im Grunde läuft es wirklich auf die Frage hinaus: Was will McLaren mit ihm? Formel 1, das sollte nie sein – viele Häuptlinge und wenig Indianer. Einer muss die Richtung vorgeben, das gilt auch für die Technik.

Tony Dodgins (lacht)
Bei McLaren hast du aber den Fall von zu vielen Häuptlingen und auch zu vielen Indianern! Wird Capito als Bindeglied zwischen McLaren und Honda eingestellt? Basierend auf den Spannungen, dies zwischen Eric Boullier und Yasuhisa Arai gab? Vielleicht wird das ja seine Rolle.

Luis Vasconcelos
Was in diesem Zusammenhang wirklich merkwürdig ist: Nicht einmal Eric Boullier konnte mir erläutern, was Capito bei McLaren machen soll. Ich habe ihn das unter vier Augen gefragt. Seine Antwort war: «Das betrifft mich nicht, ich werde genau das tun, was ich bislang auch mache, mit den gleichen Verantwortlichkeiten. Capito kommt auf einer anderen Ebene zu McLaren, aber ich kann dir nicht sagen, was er machen wird, weil ich es selber nicht weiss.»

Das wäre für mich der Hinweis, dass Jost Capito mit dem Formel-1-Team vielleicht gar nichts zu tun haben wird, sondern eine Position innerhalb der McLaren-Gruppe übernehmen könnte. Ich persönlich hoffe jedenfalls, dass er mit der Formel 1 nichts zu tun haben wird, denn McLaren und Honda haben nun eine brauchbare Gruppe von Leuten an den richtigen Stellen. Man muss sie jetzt nur zusammenarbeiten und wachsen lassen.

Eric und Yusuka Hasegawa kommen sehr gut miteinander aus. Boullier strahlte nach den ersten Sitzungen mit dem neuen Honda-Formel-1-Verantwortlichen. Weil er spürte, dass es jetzt endlich in die richtige Richtung geht.

Tony Dodgins
Genau, McLaren und Honda haben Ingenieursprobleme, sie brauchen keine neuen personellen Schwierigkeiten.

Die Gesprächsleitung hatte der japanische Fachjournalist Kunio Shibata.

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