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Über Pietät und Respekt: Zum Tod von Dennis Lippert

Kolumne von Günther Wiesinger
Trauer um Dennis Lippert

Trauer um Dennis Lippert

Drei Tage nach dem verhängnisvollen Sturz von Dennis Lippert in Oschersleben wurden die schlimmen Befürchtungen bestätigt. Was können wir aus dieser Tragödie lernen?

SPEEDWEEK.com wurde nach der Berichterstattung zum schweren Unfall von Dennis Lippert (23) in der dritten Runde des ersten Supersport-IDM-Laufes in Oschersleben am Samstag kritisiert. Man warf uns mangelnden Respekt und Pietätlosigkeit vor. Max Enderlein, Sieger der SSP-Rennen am Samstag und am Sonntag, schrieb von Respektlosigkeit und verlangte eine Entfernung des Artikels. 

Das mag eine berechtigte Sicht der tragischen Dinge sein. Wir haben uns aber den Umgang mit dieser traurigen Situation nicht leicht gemacht. Und man darf sich in diesem Zusammenhang auch ein paar andere Fragen stellen. Warum wurde das erste Rennen neu gestartet, obwohl Augenzeugen berichteten, der gestürzte Yamaha-R6-Pilot Dennis Lippert habe auf der Strecke reanimiert werden müssen? Ein junger Rennfahrerkollege befand sich also in akuter Lebensgefahr, trotzdem wurde das Rennen unverzüglich neu gestartet, zu einem Zeitpunkt, als man mit dem Schlimmsten rechnen musste. Denn der 23-jährige Bayer war nach dem Sturz vom nachfolgenden Martin Vugrinec, der unmöglich ausweichen konnte, im Kopfbereich überfahren worden. Die Situation erinnerte Vugrinec sofort an den Sepang-GP 2011, als Marco Simoncelli zu Tode kam, nachdem Colin Edwards über seinen Kopf gerollt war.

Für SPEEDWEEK.com berichtete Rudi Hagen aus Oschersleben.  Er ist im Pensionalter, Seitenwagen- und Bahnsportfreund und das genaue Gegenteil eines Sensations-Reporters. Er schilderte am Sonntagnachmittag in einem gefühlvollen Bericht, dass es an Neuigkeiten zum Gesundheitszustand von Dennis Lippert fehle.

Am Montagvormittag um 10.30 Uhr berichtete Papa Ivica Vugrinec, dem das Unglück verständlicherweise sehr naheging, vom Tod des Dennis Lippert. Sein Sohn war von einem glaubwürdigen Boten informiert worden, berichtete uns Papa Ivica. Es bestand kein Anlass, dieser Nachricht zu misstrauen.

Zumal Laufsieger Enderlein nach dem am Sonntag um 11 Uhr gestarteten zweiten Supersport-Rennen partout keine Auskünfte geben wollte, obwohl er üblicherweise als sehr auskunftsfreudig gilt.

Die Anwesenden gingen davon aus, dass Max Enderlein zumindest nach dem Rennen Bescheid wusste, denn auch Martin Vugrinec war nach der zweiten Zieldurchfahrt vom Tod Lipperts in Kenntnis gesetzt worden.

Max Enderlein beschwerte sich trotzdem über die Berichterstattung von SPEEDWEEK.com. Der Yamaha-Fahrer mimte also den Moralapostel, postete aber wenig später kommentarlos ein neues Profilbild auf seiner Facebook-Seite, das ihn mit dem verunglückten Dennis Lippert zeigte, der beim Saisonstart auf dem Lausitzring mit den Plätzen 7 und 5 überzeugt hatte.

Da konnten sich die Facebook-Freunde auch ihren Reim drauf machen.

Eine journalistische Gratwanderung

Ich habe in den Jahrzehnten als Motorsportberichterstatter viel zu viele Todesstürze und Todesfällen beschreiben müssen. Es ist jedes Mal eine journalistische Gratwanderung zwischen Pathos und echter persönlicher Ergriffenheit, und es ist wahrlich eine Seite unseres Berufes, auf die man gerne verzichten würde. Wenn uns dann jemand vorwirft, wir würden das nur wegen der Klickzahlen machen, stehen mir die Haare zu Berge. Über die IDM berichten wir eher aus Tradition, nicht wegen der Zugriffe. Aber Journalismus besteht nicht nur aus dem Bejubeln von Erfolgen. Er muss auch informieren, aufklären, kommentieren, Hintergründe liefern.

Die Betroffenheit ist jedes Mal groß, auch wenn man den Verunglückten nicht persönlich gekannt hat. Aber wir haben auf SPEEDWEEK.com vor wenigen Wochen über die Brüder Marco und Dennis Lippert berichtet, die 2019 erstmals in der IDM gegeneinander fahren, Marco in der Superstock-Klasse, die gemeinsam mit den besten SSP-Piloten an den Start gehen und getrennt gewertet werden. Das heißt: Marco Lippert fuhr am Samstag an der Unfallstelle vorbei. Eine grauenhafte Vorstellung.

Sogar wenn man selbst Kinder in diesem Alter hat und Geschwister, kann man sich gar nicht im Geringsten vorstellen, welche Welt in so einem Augenblick zusammenbricht.

Die tiefe Betroffenheit war im Oscherleben-Fahrerlager zwei Tage lang zu spüren. Die IDM-Verantwortlichen müssen sich aber die Frage gefallen lassen, ob sie mit der ungewohnten Situation verantwortungsvoll umgegangen sind.

Wer sich auf idm.de informieren wollte, erfuhr auch drei Tage nach dem Unfall nur, dass Dennis Lippert in der Klinik in Magdeburg versorgt werde.

Kein Wort des Mitgefühls.

Man wurde unweigerlich an das Motto «The show must go on» erinnert.

Man hätte sich nur vor Augen führen müssen, wie rücksichtsvoll die Dorna und IRTA bei den Todesstürzen von Marco Simoncelli und Luis Salom (in Barcelona 2016) reagierten. In Catalunya wurde am Freitagabend damals sogar über eine Absage des Grand Prix diskutiert. Die Fahrer schlugen eine Änderung der Streckenführung vor, die Unfallstelle wurde die ganze Nacht umgebaut, am Samstag und Sonntag wurde gefahren. Nicht zuletzt auf Wunsch von Luis' Eltern. Bei Simoncelli wurde keine Sekunde an einen Re-Start gedacht.

Auf der idm.de-Website sind jetzt noch auf der Startseite lachende und fröhlich Champagner spritzende Superbike-IDM-Piloten aus Oschersleben zu sehen.

Der Motorradsport ist gefährlich. In der IDM-Serie mussten in den letzten Jahren Jürgen Ölschläger (Superbike-IDM 2004), Daniel Lo Bue (im Yamaha-Cup 2009) und Jonas Hähle (Startunfall im Junior-Cup 2015) ihr Leben lassen. Alle in Oschersleben. Es handelte sich um Startunfälle und Kollisionen, die nicht der Strecke angelastet werden können. Vier Tote in Oschersleben. Da wird einem erst bewusst – ein völlig ungeeigneter Name für eine Rennstrecke.

Informationssperre nicht zielführend

SPEEDWEEK.com berichtet seit elf Jahren aktuell von der IDM. Deshalb hielten wir es auch für unsere Pflicht, den Zuschauern an der Strecke und den Usern aktuelle Informationen aus Oschersleben zu liefern, auch wenn sie bestürzend waren und uns nachdenklich und betroffen machten.

Eine Informationssperre, wie sie jetzt quasi in Oschersleben verhängt wurde, wirkt alles andere als zielführend. Wo die Nachrichten fehlen, wachsen die Gerüchte.

Irgendwann am Samstag oder Sonntag hätte man ein knappes Statement veröffentlichen sollen, immer mit Rücksicht auf die Privatsphäre der Familie und der Betroffenen.

Denn die IDM ist eine international renommierte Rennserie. Es besteht öffentliches Interesse an allen Vorkommnissen, die Medien kommen einer Informationspflicht nach. Es wird auch niemand verhindern können, dass jetzt alle Medien, die sonst der IDM keine Zeile widmen, über den Todesfall berichten.

SPEEDWEEK.com hat sich um eine ausgewogene Berichterstattung bemüht. Wenn das nicht gelungen ist, nehmen wir die Kritik ernst. Etwaige Fehler in der Wortwahl bedauern wir aufrichtig. Zeitdruck darf nicht als Ausrede gelten, denn wir haben zu keinem Zeitpunkt übereilt berichtet. Aber wir waren traurig und erschüttert.

Ob die Promoter der Endurance-WM und der IDM-Serienmanager in Oschersleben in jeder Hinsicht taktvoll agiert haben, steht auf einem anderen Blatt.

Ich werde den Eindruck nicht los, man sei nach dem ganz offenbar fatalen Unfall von Dennis Lippert zu rasch zur Tagesordnung übergegangen.

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