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Valencia: Ziviler Ungehorsam von Jorge Lorenzo?

Kolumne von Günther Wiesinger
Manche Berichterstatter ereiferten sich beim MotoGP-Finale in Valencia, weil Jorge Lorenzo die Stallorder ignorierte und Dovizioso nicht vorbeiwinkte. Aber die Vorwürfe sind nicht stichhaltig.

Mehr als 110.00 Zuschauer ergötzten sich am spanischen MotoGP-WM-Finale rund um den Circuit Ricardo Tormo, Millionen fieberten daheim vor den Bildschirmen mit.

Und wie so oft entpuppte sich das MotoGP-Rennen als «greatest show on earth». Marc Márquez, der Meister der Unerschrockenheit, wollte sich nicht auf die Schützenhilfe irgendwelcher Kollegen oder Gegner verlassen, deshalb hatte er schon an den zwei Trainingstagen heftig krachen lassen und täglich einen Crash hingezaubert. Und er nahm auch im Rennen das Heft in die Hand.

Irgendwo auf Platz 10 oder 11 rumzugaukeln, was ihm auch für den Titelgewinn gereicht hätte, das entspricht nicht seinen Vorstellungen von Rennsport.

Der Repsol-Honda-Star, jetzt in fünf Jahren viermal MotoGP-Weltmeister, blieb seinem Ruf nichts schuldig, er setzte mit seiner tollkühnen Fahrweise auf Sieg, auch wenn das Motorrad dazu eigentlich nicht taugte.

Marc wusste: Andrea Dovizioso, vor dem Start 21 Punkte hinter dem Weltmeister, brauchte einen Sieg, wenn er Ducati den MotoGP-Weltmeisterttel seit 2007 (Stoner) bescheren wollte.

Das ließ sich von Marc Márquez am besten verhindern, wenn er in diesem Wettkampf selbst das Kommando übernahm und die 25 Punkte nach Hause fuhr.

Aber der Beinahe-Crash im Turn 1 in der 23. von 30 Runden von Marc Márquez stellte alles auf den Kopf. Der Honda-Star lag plötzlich mehr als fünf Sekunden hinter der Spitze, er hatte dem Ducati-Duo Lorenzo und Dovizioso den Vortritt lassen müssen.

Dovizioso entschied sich nach dem Márquez-Ausritt zu einer Generaloffensive, er wollte von Platz 3 auf Platz 1 stürmen, nachdem sein Teamkollege Lorenzo wegen eines Sturzes in Runde 25 von der Bildfläche verschwunden war. Vorher hatte er mehrmals die Aufforderung zum Platztausch mit «Dovi» ignoriert.

Völlig zu Recht, wie sich herausstellte. Denn erstens türmten sich vorne mit Zarco und Pedrosa ohnedies zwei unüberwindliche Hürden auf, außerdem hatte Lorenzo schon in Malaysia den Sieg verschenkt, um die Titelchancen von Dovi bis zum Finale intakt zu halten. «Change Mapping», heißt die Botschaft, die die Ducati-Box in solchen Fällen aufs Dashboard schickt.

«Ich bin froh, dass Lorenzo nicht zur Seite gefahren ist. Wir wollen richtige Rennen sehen», erklärte Tech3-Yamaha-Teamchef Hervé Poncharal, der sich über Platz 2 seines Schützlings Johann Zarco freute.

Ich teile die Ansicht mancher Experten nicht, die Lorenzo für seine Hartnäckigkeit kritisierten. Erstens hatte Dovizioso mit Startplatz 9 (Marc Márquez stand auf der Pole-Position) deutlich bewiesen, dass ihm hier der Speed für den Titelgewinn fehlte. Zweitens fuhr Lorenzo vor heimischer Kulisse, die Fans hätten ihm ziemlich übel genommen, wenn er den Titelgewinn von Lokalheld Márquez mit unsportlichen Mittel verhindert hätte. Drittens machten vorne Zarco und Pedrosa keine Anstalten, irgendeine Ducati an sich heranzulassen. Viertens hatt Lorenzo in Sepang schon einen Sieg im Auftrag von Ducati verschenkt. Und fünftens gab Dovi nach dem Rennen zu, dass er dank Zugpferd Lorenzo an manchen Stellen gesteigert hatte.

Aber für den Sieg reichte es lange nicht.

Das sah auch Randy Mamola so, der 13-fache Halbliter-GP-Sieger und viermalige 500-ccm-Vizeweltmeister.

«Ich habe das Rennen draußen an der Strecke beobachtet», schilderte Randy. «Bei Halbzeit des Rennens war deutlich zu sehen, dass es Dovi leichter fiel, hinter Jorge herzufahren als allein die Verfolgung von Márquez, Zarco und Pedrosa aufzunehmen und allein zu pushen. Man hat ja gesehen. Als die beiden Ducati-Fahrer anfingen, zu pushen, sind sie sowieso beide gestürzt...»

«Ich will nicht beurteilen, ob man Lorenzo durch die Stallorder zwingen hätte sollen, Dovi vorbei zu lassen», ergänzte Randy. «Die beiden Fahrer haben ein gutes Verhältnis. Sie haben viel Respekt voreinander. Dovi sagte unmittelbar nach dem Rennen in Fernsehinterview, dass er es bevorzugt habe, hinter Jorge zu bleiben, weil er seine Stärken beim Bremsen hat und Jorge dafür mit mehr Speed durch de Kurven flitzte und dann mit viel Schwung rausbrettert. Die beiden konnten nicht schneller fahren. Sie waren beide am Limit.»

Pedrosa und Zarco schienen sowieso für die Ducati an diesem Tag auf dieser Strecke unüberwindlich, oder?

Mamola: «Es gab eine Phase, da konnten Jorge und Dovi mit derselben Pace rund um die Piste brausen. Aber sie hatten nicht die Mittel, um Zarco und Pedrosa unter Druck zu setzen, um sie zum Kampf herauszufordern.»

«Wenn Marc Márquez weit hinten gewesen wäre, dann hätte sich der Zugang von Jorge komplett geändert. Er wäre sicher auch zur Seite gefahren, wenn Dovi einmal in der Lage gewesen wäre, ihm das Vorderrad zu zeigen, hätte Jorge keinen Widerstand geleistet. Aber Dovi konnte ihm sein Vorderrad nicht zeigen. Man hat im Fernsehen gesehen, dass sich Dovi bemüht hat, aber er kam nie wirklich in Schlagdistanz zu Jorge.»

Bei Ducati wurde das Ergebnis recht gelassen und sportlich aufgenommen, Dovi wurde beklatscht, getröstet, aufgemuntert.

Der Italiener hat die WM um 37 Punkte verloren, im Vorjahr fehlten ihm 171. Letztes Jahr gewann er en Rennen, in diesem Jahr sechs.
«Seit dem Mugello-Sieg in diesem Jahr hat sich mein Leben verändert», schilderte Dovizioso. «Aber als Mensch bin ich der Gleiche geblieben.»

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