Regeln lassen die MotoGP dumm aussehen

Exklusiv: Leopard will Forward-MotoGP-Team übernehmen

Von Günther Wiesinger
Der gelernte Maurer Flavio Becca will mit der grossen Kelle anrichten und mit seiner Firma Leopard Racing S.A. das marode Forward-MotoGP-Team übernehmen.

Schon wenige Tage nach der Verhaftung von Giovanni Cuzari und dem deshalb erfolgten Rückzug des Hauptsponsors Athinà Eyewear war zu hören, es gäbe Interessenten für die Übernahme des Forward Racing Teams, es hätten sich potenzielle Investoren gemeldet, seriöse und weniger seriöse.

Danach sickerte durch, dass Marco Curioni vom zuständigen Richter die Erlaubnis bekommen habe, einen Rettungsplan für Forward Racing zu erstellen und sich um eine Fortführung des Teams zu bemühen.

Die Teamvereinigung IRTA kam Forward entgegen und suspendierte das Team für die Moto2-Rennen in Indy und Brünn, dazu auch für die MotoGP-WM-Läufe, um für Silverstone (30. August) durchstarten zu können.

Am Donnerstag war erstmals zu hören, unter den Investoren sei auch ein Name, «den wir alle kennen».

Inzwischen war längst klar geworden, dass ehemalige MotoGP-Teams wie JiR oder Pons das nötige Budget nicht hätten, um kurzfristig 2 bis 3 Millionen bis zum Saisonende einzuschiessen.

Trotzdem steht inzwischen fest, um welches Unternehmen und welchen Investor es sich beim mutmasslichen Forward-Retter handelt: Um den in Luxemburg tätigen und ansässigen Baulöwen, Immobilienmakler und Sportmäzen Flavio Becca, der 2015 bereits das Moto3-Honda-Team von Kiefer (Fahrer: Kent, Vazquez, Ono) finanziert und mit Danny Kent überlegener Spitzenreiter in der WM ist. Becca promotet mit seiner Firma Leopard S.A. den neuen «natural power drink» Leopard.

Für den 52-jährigen Italiener Flavio Becca würde die Übernahme von Forward perfekt ins Konzept passen. Sie käme sogar wie gerufen. Denn Danny Kent sagte schon nach dem ersten Podestplatz 2015 in Katar: «Ich will 2016 in die MotoGP aufsteigen, ich will es Jack nachmachen.»

Und Teambesitzer Stefan Kiefer erklärte im vergangenen Mai gegenüber SPEEDWEEK.com: «Die MotoGP-WM bleibt unser Fernziel. Sie ist immer ein Traum.»

Kiefer wollte schon 2012 nach dem Moto2-Titelgewinn von Stefan Bradl in die MotoGP-WM aufsteigen, doch das 6,5 Millionen-Budget liess sich nach dem Ausstieg von Hauptsponsor Viessmann nicht finanzieren.

Die Connection zwischen Forward und Becca besteht nicht erst seit zwei Wochen. Der Baulöwe war offenbar schon ?in der Vergangenheit Sponsor bei Forward, es wurde aber danach von unbezahlten Rechnungen gemunkelt. Trotzdem flogen Forward-Teambesitzer Giovanni Cuzari und sein Managing Director Marco Curioni im Sommer 2014 im Learjet von Becca nach Luxemburg, wo ihnen das Natural-Power-Drink-Projekt präsentiert wurde. Cuzari liess sich jedoch auf keinen Deal ein, er zeigte allerdings stolz die Fotos vom Jet auf seinem Handy her. Cuzari wollte aber für 2015 lieber mit Sponsor NGM Mobile (der nachher im Winter ausstieg) weitermachen.

Vielleicht lag es auch daran, dass Becca in der Sportszene und in Luxemburg nicht den besten Ruf geniesst. Da war im September 2011 von Hausdurchsuchungen in den Büros und im Wohnhaus die Rede, es ging um den Verdacht auf betrügerische Unterschlagungen, später war von drohender Zahlungsunfähigkeit die Rede und von Korruptionsverdacht, es fanden gerichtliche Voruntersuchungen statt und es gab Vermutungen, Becca habe sich finanziell übernommen.

2012: Becca holte Jonas Folger zu Iodaracing

Der Name Becca wurde im Zusammenhang mit Motorsport erstmals im Winter 2011/2012 genannt, als er sich unter strengster Geheimhaltung bemühte, Jonas Folger ins Iodaracing-Project-Team von Giampiero Sacchi zu transferieren, wo sich der Bayer dann eine halbe Saison lang abmühte, die nicht konkurrenzfähige Moto3-Eigenbau-Maschine namens Emir ins Ziel zu bringen. Becca soll das gescheiterte Emir-Projekt mitfinanziert haben.

Im Profi-Radsport machte Becca durch die Gründung des Leopard Trek-Rennstalls für 2011 auf sich aufmerksam. Die Luxemburger Brüder Franck und Andy Schleck (sie waren zuvor in der Tour de France Gesamt-Zweite und -Dritte) galten als Favoriten für den Tour de France-Gesamtsieg, der Schweizer Fabian Cancellera dominierte die Zeitfahren.

Becca sprach von einem Jahresbudget von 15 Millionen, aber er hielt dieses Mega-Projekt finanziell nicht lange durch. Schon am 1. März 2012 (zu Beginn der zweiten Saison) hatte er sich von seinem Teammanager Johann Bruyneel ein Darlehen in der Höhe von 1,5 Millionen Euro auszahlen lassen, um die Gehälter bezahlen zu können. Der Belgier klagte später in Luxemburg auf Rückzahlung der Restsumme von 900.000 Euro – und bekam vor dem Gericht Recht.

Die seriöse Schweizer Tageszeitung «NZZ» berichtete im Juli 2012, die Trägergesellschaft Leopard S.A. habe mit dem Radteam im ersten Halbjahr einen Verlust (und Schulden) von 7,6 Millionen Euro erwirtschaftet. Der Radsportweltverband UCI drohte daraufhin den Verlust der kostbaren Pro-Tour-Lizenz an, die zur exklusiven Teilnahme an allen namhaften Weltcup-Rennen und Landesrundfahrten ermächtigt.

Am Jahresende übernahm Radhersteller Trek das Leopard-Team und führte es als Trek Factory-Team weiter.

Professionelle Strukturen bei Kiefer

Eines ist klar: Becca ?geriet in den letzten Jahren mehrmals in unruhiges Fahrwasser. Er schreckt vor geschäftlichen Risiken nicht zurück, hat aber mit viel Geschick immer wieder den Kopf aus der Schlinge gezogen. Und bei Kiefer wurden bisher alle Rechnungen pünktlich bezahlt.

Flavio Becca hat über seine Firma Leopard Racing bei Kiefer für sehr professionelle Moto3-Strukturen gesorgt. Kiefer wurde durch eine Art Franchise-Deal entmachtet, Becca schickte seine Statthalter Massimo Vergini (Finanzchef von Leopard Racing) und den Serben Miodrag Kotur (Chief Operation Officer) an die Front. Becca selbst hält sich im Hintergrund, er führt ein strenges Regime, manches wirkt ominös.

Was die Technik betrifft, engagierte Leopard den Spanier Christian Lundberg als Technical Director, der alle drei Crew-Chiefs überwacht.

Für 2016 sollte ursprünglich die Moto2-WM ins Auge gefasst werden, mit zwei oder drei Fahrern – und Danny Kent als Aushängeschild.

Inzwischen wurde Junioren-WM-Favorit Joan Mir (17) für die Moto3-WM 2016 verpflichtet. Und Massimo Vergini bestätigte auf dem Sachsenring: «Wir machen 2016 mit Kiefer weiter.»

Aber vielleicht nur in der Moto3? Das wird sich in den nächsten Wochen erweisen.

Die gegnerischen Teamchefs sind hellhörig, nicht erst seit der geplanten Übernahme des Forward-MotoGP-Teams durch Leopard.

Denn allein in den letzten zwölf Monaten sind mit Go&Fun (Gresini) und Drive M7 (Martinez) zwei ähnliche Getränkefirmen trotz gültiger Verträge und unter Hinterlassung von offenen Rechnungen aus der MotoGP-WM verschwunden.

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