Mercedes: Wann werden Dauer-Sieger unsympathisch?

Von Mathias Brunner
Die Turbohybrid-Ära der Formel 1: Wo Mercedes ist, da ist vorne

Die Turbohybrid-Ära der Formel 1: Wo Mercedes ist, da ist vorne

​​Die Fans mögen keine Dauer-Sieger. Das beste Beispiel: Als Michael Schumacher (Ferrari) und Sebastian Vettel (Red Bull Racing) alles in Grund und Boden fuhren. Mercedes-Teamchef Toto Wolff bleibt gelassen.

Vor kurzer Zeit hat FIA-Präsident Jean Todt eine Brücke geschlagen, von seiner Zeit als Ferrari-Teamchef bis zur heutigen Überlegenheit von Mercedes-Benz: «Michael Schumacher hat mit Ferrari Unfassbares geschafft. So wie das heute Mercedes mit Hamilton macht. Ich ziehe meinen Hut davor, denn ich weiss, wie schwierig es in der Formel 1 ist, eine solche Dominanz zu erzeugen. Mercedes ist heute in der gleichen Situation wie wir damals. Zunächst sagten mir die Menschen immer: „Herr Todt, wann wird Ferrari wieder siegen?“ Und später meinten sie: „Ich schaue keine Grands Prix mehr, weil Schumacher ständig gewinnt.“»

Ein ähnliches Phänomen habe ich erlebt, als Sebastian Vettel von 2010 bis 2013 vier Titel in Folge einfuhr. Von Belgien bis Brasilien 2013 gewann der Heppenheimer alle Rennen, ALLE. Längst gellten Pfiffe, wenn er das Siegerpodest betrat.

Dominanz ist nicht Dominanz: McLaren-Honda hat Ende der 80er Jahre auch Kreise um die Gegner gefahren, aber die Weltmeisterschaft lebte vom erbitterten Duell Ayrton Senna gegen Alain Prost. Heute müssen wir froh sein, haben wir Sebastian Vettel im Ferrari, denn seien wir mal ehrlich – ein echter Gegner ist dieser Valtteri Bottas für Lewis Hamilton nicht. Überhaupt: Wie ist das heute, wo Mercedes-Benz die Turbohybrid-Ära der Formel 1 dominiert?

Mercedes-Teamchef Toto Wolff glaubt fest daran: Das Interesse der Fans bleibt wach, auch wenn Lewis Hamilton einen weiteren Titel gewinnt. «Es liegt in der Natur des Sports, dass die Fans den Aussenseiter unterstützen, den Underdog. Seriensieger verlieren bald ihre Anziehungskraft. Aber wir gehen unsere Aufgaben in Bescheidenheit und Demut an, wir nehmen nichts als selbstverständlich und verfallen nicht in Überheblichkeit. Keiner hier hat das Gefühl, wir hätten so etwas wie einen Anspruch auf Siege. Ich glaube, wenn du mit diesem Ansatz an die Arbeit gehst, dann kannst du die Fans bei der Stange halten, auch wenn du mehrere Titel in Serie eroberst.»

«Letztlich gibt es wohl zwei Lager. Die einen Fans sind gespannt zu erfahren, ob wir es erneut schaffen und ob Lewis Hamilton in Sachen WM-Titel dem grossen Michael Schumacher näherrücken kann. Die Anderen feuern unsere Gegner an, weil sie möchten, dass unsere Serie zu Ende geht. Wir selber sehen die Chance, 2019 den Rekord von Ferrari mit sechs Markentiteln einzustellen, und das motiviert uns bis in die Haarspitzen.»

So stark ist Mercedes

Der Mercedes-Höhenflug in der neuen Turbo-Ära geht weiter: Fünf Jahre, fünf Fahrer-WM-Titel, fünf Mal den Konstrukteurs-Pokal errungen. Unsere Zahlen zeigen, wie erdrückend überlegen Mercedes ist.

Anfang 2014 haben wir ein neues Formel-1-Motorreglement erhalten, und keiner hatte die Hausaufgaben besser gelöst als Mercedes-Benz. Seither strahlt der Stern besonders glanzvoll. 2014, 2015, 2017 und 2018 ist Lewis Hamilton Weltmeister geworden, 2016 konnte Nico Rosberg den Durchmarsch des Engländers verhindern. Fünf Mal hintereinander hat Mercedes die Markenwertung gewonnen, den Konstrukteurs-Pokal. Nur Ferrari hat das mit sechs Titeln in Serie noch besser gemacht (von 1999 bis 2004, in der goldenen Ära mit Michael Schumacher). Einige Zahlen verdeutlichen, wie überlegen Mercedes in der Turbo-Ära wirklich ist.

Wir haben von Australien 2014 bis Abu Dhabi 2018 exakt 100 WM-Läufe erlebt. Bei 84 Prozent davon stand ein Silberpfeil auf der Pole-Position. Allerdings ist die Erfolgsquote von Mercedes am Sinken. 2014 und 2015 eroberte der Rennstall aus dem englischen Brackley noch jeweils 18 Poles, 2016 sogar 20. 2017 jedoch sank der Anteil Poles auf 15, 2018 auf 13. Das zeugt von einem erstarkten Ferrari. Die Italiener holten in 100 Qualifyings zwölf Mal die Pole, Red Bull Racing drei Mal, 2014 konnte Williams die Vormachtstellung der drei Top-Teams einmal durchbrechen.

Mercedes hat annähernd drei Viertel aller Rennen gewonnen: 74 von 100. Die restlichen 26 Siege teilen sich Ferrari (14) und Red Bull Racing (12). Jetzt mal ganz ehrlich: Wüssten Sie, wann letztmals ein anderer Rennstall als die erwähnten drei Top-Teams siegreich war? Es war Kimi Räikkönen im Lotus-Renault beim Saisonstart 2013 in Melbourne, also vor sechs Jahren oder 118 Rennen!

Wie sieht es mit besten Rennrunden aus? Ein Fahrer von Mercedes-Benz war im Schnitt bei jedem zweiten Rennen der schnellste Mann, in 53 Fällen. Red Bull Racing und Ferrari kommen auf je 19 beste Rennrunden, Force India auf 3, Williams auf 2, McLaren ebenso, Toro Rosso und Haas auf je 1.

100 Grands Prix, das bedeutet 200 Möglichkeiten für die beiden Mercedes-Fahrer, aufs Siegerpodest zu gelangen. Sie haben das 147 Mal geschafft! Ferrari kann 73 Podestränge vorweisen, Red Bull Racing 57. Die drei Top-Teams kommen damit auf 277 Podestplatzierungen (von 300), für die anderen Teams bleiben nur Krümel. Williams-Fahrer standen 15 Mal auf dem Podest, allerdings nur noch zwei Mal in den letzten drei Jahren, Fahrer von Force India fünf Mal, ein McLaren-Pilot zwei Mal, einer von Lotus ein Mal.

Mercedes, Ferrari und Red Bull Racing stampfen die restlichen sieben Teams in den Asphalt. In den vergangenen zwei Grand-Prix-Jahren haben es genau zwei Fahrer ausserhalb dieser drei Rennställe geschafft, aufs Siegerpodest zu gelangen. Bezeichnend, dass diese beiden Ausnahmen in den Chaos-GP von Baku passiert sind. Lance Stroll wurde mit Williams 2017 dort Dritter, Sergio Pérez schaffte 2018 mit Force India in Aserbaidschan ebenfalls Platz 3.

Die Top-Teams haben 1646 Punkte zusammengerafft, die sieben Gegner zusammen weniger als ein Drittel davon: 476. Der Abstand zwischen den WM-Dritten Red Bull Racing und den WM-Vierten Renault – fast 300 Punkte.

Demut ist gewiss eine gute Einstellung, denn Dauer-Sieger werden in der Regel unsympathisch; unter Anderem auch deshalb, weil sie hochmütig werden. Und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.

Das weiss der kluge Toto Wolff.

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